Wie freiheitsliebend sind die Friesen?
Mythen, Traditionen und Legenden - die schleswig-holsteinische Geschichte bietet viele Märchen. Am Sonnabend wollen Historiker in Rendsburg den Besuchern die Mythen des nördlichsten Bundeslandes näherbringen - und ihnen auf den Grund gehen. Wir stellen in einer fünfteiligen Serie einige von ihnen vor. Heute beschäftigen wir uns mit der Frage, ob die Nordfriesen wirklich so freiheitsliebend waren, dass sie lieber tot als Sklave sein wollten.
"Lewwer duad üs Slaav" - diesen Wahlspruch der Friesen gibt es in einigen Dutzend Schreibvarianten. Das spiegelt die Sprachvielfalt in Nordfriesland. Der Ursprung geht zurück auf die 1840er Jahre. Sicher ist: 1844 tauchte der Wahlspruch auf einer Flagge auf. Sie wurde beim Volksfest der Nordfriesen in Bredstedt vorgestellt. Danach machte der Spruch in allen Schreibvarianten Karriere. Aber waren die Friesen wirklich so freiheitsliebend - oder überhöht der Spruch und ist damit mehr ein Mythos?
Aufrecht gehen und ducken
Dr. Claas Rieken vom Nordfriisk Instituut in Bredstedt beantwortet die Frage diplomatisch. Ja, es gebe den Freiheitswillen der Friesen. Der Mythos der freien Friesen entstand schon im Mittelalter. Eigentlich bezog er sich auf die heute in den Niederlanden lebenden Westfriesen. Weil der Mythos aber so schön war, wurde er dann auf alle Friesen übertragen und damit auch auf die Nordfriesen. Allerdings standen und stehen Anspruch und Realität oft im Widerspruch. So gibt es sogar gereimte Huldigungen der Nordfriesen für den Dänischen König. Auch als die Preußen 1867 Schleswig-Holstein als Provinz einverleibten, begrüßten viele Friesen begeistert die neue Zeit.
Dunkles Erbe
Stellt man den Ausspruch "Lieber tot als Sklave" auf den Prüfstand, waren zumindest die Nordfriesen wenig konsequent. Beim Sklavenhandel sollen auch friesische Seeleute mitgemacht und davon profitiert haben. Als die Nationalsozialisten nach der Macht griffen, waren viele Nordfriesen sehr früh und führend mit dabei. Die Freiheit der Friesen wurde sehr national interpretiert und die Lesart der Nationalsozialisten, die blonden, kernigen Friesen seien Edelgermanen, gerne und oft übernommen.
Eine Sage wird Mythos
Das 19. Jahrhundert war geprägt durch das Entstehen der Nationen. Sie lösten die bis dahin vor allem regionalen Bezüge auf. Dies wurde einerseits begrüßt, andererseits sah man den Verlust des regionalen und des landschaftstypischen. Deshalb wurde fleißig nach Traditionen und Geschichten gesucht. Und Geschichten wurden auch schlicht erfunden. Auf Sylt tat das besonders eifrig der "Chronist" Christian Peter Hansen (1803-1879). Er erfand auch die schöne Sage vom Fischer Pidder Lyng, der sich dem Steuereintreiber widersetzte und als der ihm in die Kohlsuppe spuckte, ihn darin ertränkte. Dabei soll er gerufen haben: "Lewwer duad üs Slaav". Pidder Lyng musste diese Tat in der Sage mit dem Leben bezahlen. Doch der Spruch blieb und Detlev von Liliencron machte daraus Jahre später ein Gedicht. Seitdem gibt es den Mythos der freien und widerständigen Friesen.
... und neu interpretiert
Den Nordfriesen ist schon lange klar, dass der Spruch von der nordfriesischen Urflagge die Realtität mythisch überhöht. Deshalb liest man in der gold-blau-roten Flagge der Nordfriesen heute eigentlich lieber: "Rüm Hart - Klaar Kiming". Das steht, je nach Dialekt oder Sprache in zahlreichen Schreibweisen, für "weites Herz - klarer Horizont". Und da die Nordfriesen nicht nur kritisch sondern auch selbstkritisch sind, gibt es zum Sklavenspruch auch die Alternative, die angeblich nicht nur Ausdruck friesischer Mentalität sein soll: "Lieber tot als Steuern zahlen".