Stand: 09.06.2016 05:00 Uhr

Alles ist Hanse - die Erfindung eines Gütesiegels

Die historische Kraweel «Lisa von Lübeck» läuft während einer Schiffsparade in Lübeck zur Eröffnung des 34. Internationalen Hansetages in den Hafen ein. © dpa- picture alliance Foto: Markus Scholz
Die "Lisa von Lübeck" - ein nachgebautes Hanseschiff - zeigt, wie man im 15. Jahrhundert die Frachten transportiert hat.

Mythen, Traditionen und Legenden: Die schleswig-holsteinische Geschichte bietet viel davon. Am Sonnabend wollen Historiker in Rendsburg den Besuchern die Mythen des nördlichsten Bundeslandes näherbringen - und ihnen auf den Grund gehen. Wir stellen in einer fünfteiligen Serie einige von ihnen vor. Die Hanse ist kein Mythos und keine Legende. Sie wird jedoch bis heute je nach Ziel neu interpretiert.

Lufthansa, Hansaplast, Hanse Merkur, Hansa Rostock – die Hanse steht für Zuverlässigkeit, Solidität, Unternehmertum, Vertrauenswürdigkeit, Nüchternheit und Weltläufigkeit. Der Zusatz "H" auf den Autokennzeichen hebt bis heute viele Hansestädte hervor. Und wer die Altstädte von Lübeck oder Greifswald besucht, kann einen Eindruck davon bekommen, wie mächtig und reich dieser Zusammenschluss erst von niederdeutschen Kaufleuten und dann auch von Städten war. Das ist belegbar - und so ist die Hanse als solche kein Mythos und keine Legende. Spannend ist jedoch, wie die Hanse vom 19. Jahrhundert an interpretiert und auch instrumentalisiert wurde.

Die Urform des "Networking"

Das Wort "Hanse" bedeutet Schar. Und es begann mit Gruppen niederdeutscher Kaufleute, die sich zusammentaten. Spätestens seit dem 12. Jahrhundert trieben sie nicht nur in der Ostsee, sondern auch bis England Handel. Erfolgreich wurde dieser Zusammenschluss von Händlern, weil es ihm gelang, Netzwerke aufzubauen. Sie schafften es, gemeinsam die Schiffe optimal auszulasten. An jeder Transport- und Veredlungsstufe verdienten dabei die Kaufleute. Salz aus Lüneburg wurde nach Lübeck gebracht, von dort nach Schonen, eine historische Provinz im Süden Schwedens. Die dort mit Heringen gefüllten Fässer gingen zurück nach Lübeck, um dann mit erneutem Gewinn in ganz Deutschland als Fastenkost abgesetzt zu werden. Die Hanse machte die Städte der Händler bis tief ins Landesinnere reich. Sie schuf auch ein eigenes Rechtssystem und organisierte Hansetage.

"Halbvergessene Antiquität"

1669 gab es den letzten Hansetag. Mit dem Entstehen der absolutistischen Territorialstaaten geriet die Hanse in Vergessenheit. 1802 wurde sie als "halbvergessene Antiquität" bezeichnet. Das änderte sich mit der deutschen Revolution 1848. Als es darum ging, eine deutsche Flotte zu gründen, wurde an hansische Tradition erinnert. Diese deutsche Flotte blieb eine vierjährige Episode. Die liberale deutsche Nationalbewegung berief sich auf die Hanse, weil sie die selbstverwalteten Hansestädte und die städtische Freiheit als Gegenbild zu Adelsgesellschaft und Fürstenherrschaft stilisierte. Nach der Jahrhundertwende avancierte die Hanse zur deutschen Interessenvertretung auf See, zur mittelalterlichen Kolonialmacht im Ostseeraum und für Kaiser Wilhelm II. zum Werbemotor für den Flottenausbau. Er nannte die deutsche Flotte sogar "seine Hanse". Die Nationalsozialisten schließlich machten die Hanse zusammen mit dem Deutschen Orden zu Symbolträgern für das Ziel, Lebensraum im Osten zu schaffen.

Neue Zeiten, neue Inhalte

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Hanse nüchterner gesehen. In der DDR galt sie schlicht als Städtebund. In der Bundesrepublik dagegen wurde die Hanse als abendländisches Bollwerk gegen den Osten eingestuft. Von den 1970er Jahren an schließlich wurde die Hanse als Vorläufer der Europäischen Gemeinschaft gesehen. Das war auch Grundlage für die von Björn Engholm 1988 vorgestellte Konzept der "Neuen Hanse". Kurz vor dem Ende des Kalten Krieges wollte der SPD-Ministerpräsident damit die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit im Ostseeraum in Gang bringen. Das gelang. Aber vor allem Dänemark und Norwegen lehnten den Bezug auf die Hanse entschieden ab.

Warum? Sie hatten 1361 bis 1370 Krieg mit der Hanse geführt und waren unterlegen - also sozusagen historische Opfer der hansischen Vormacht. Engholms Nachfolgerin Heide Simonis reagierte darauf. Sie machte weiter Ostseepolitik, doch der Begriff Hanse tauchte nun nicht mehr auf. Spannend ist dabei, dass gerade in dieser Zeit vor allem in Schweden die alte Hanse zu einem neuen Ideal aufstieg und nun als "EU des Mittelalters" – fast – gefeiert wurde.

Serie: Mythen aus Schleswig-Holstein
Abbildung des Vertrags von Ripen © Landesarchiv Schleswig-Holstein - Signatur (Urk.-Abt. 394 Nr. 8)

Wie lang ist "ewig" - das Privileg von Ripen

Schleswig-Holsteins Geschichte ist reich an Mythen. Viele werden so lange weitererzählt, dass kaum einer noch die Frage stellt, wie viel Wahres drinsteckt - so wie beim Privileg von Ripen. mehr

Restauriertes Manuskript von "Der Schimmelreiter" © dpa Foto: Markus Scholz

"Der Schimmelreiter" - eine urfriesische Novelle?

Schleswig-Holsteins Geschichte ist reich an Mythen. Viele werden so lange weitererzählt, dass kaum einer noch die Frage stellt, wie viel Wahres drinsteckt - so wie beim "Schimmelreiter". mehr

Friesische Flagge © fotolia Foto: Kaiya_Rose

Wie freiheitsliebend sind die Friesen?

Schleswig-Holsteins Geschichte ist reich an Mythen. Viele werden so lange weitererzählt, dass kaum einer noch die Frage stellt, wie viel Wahres drinsteckt - so wie bei den freiheitsliebenden Friesen. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Moin! Schleswig-Holstein – Von Binnenland und Waterkant | 09.06.2016 | 20:10 Uhr

Mehr Geschichte

Schriftsteller Thomas Mann auf einer undatierten Aufnahme © picture-alliance / dpa Foto: Bifab

Thomas Mann: 100 Jahre "Der Zauberberg"

Für die "Buddenbrooks" erhielt Thomas Mann den Literaturnobelpreis. Sein Werk "Der Zauberberg" wird jetzt 100 Jahre alt. mehr

Norddeutsche Geschichte

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?