Was übrig ist vom Lebensgefühl der 68er
Studentenunruhen, Prager Frühling und Hippie-Bewegung: Das Jahr 1968 war ein Jahr des Umbruchs und Aufbruchs. Was ist vom Lebensgefühl der 68er heute noch übrig?
"Make love, not war!": Der Slogan der amerikanischen Anti-Vietnamkriegs-Demonstranten wird 1968 auch zum Leitspruch der deutschen Studentenbewegung. Die jungen Linken protestieren nicht nur gegen die herrschende Ordnung, sondern auch gegen die erzkonservative Sexualmoral der 50er-Jahre. Zu den berühmtesten Vorkämpfern für die "freie Liebe" gehören das Model Uschi Obermeier und der Revoluzzer Rainer Langhans, Bewohner der legendären Kommune 1 in Westberlin. Sie propagieren eine nie dagewesene sexuelle Freizügigkeit.
"Rudelbumsen, das macht ihr doch!"
"Das war die Eintrittsbedingung für die Kommune. Keine Zweierbeziehung. Überhaupt keine Beziehung der alten Art in der Kommune. Sondern eine offene, eine freie Zärtlichkeit", erzählt der heute 77-jährige Rainer Langhans. Natürlich erregte das die Gemüter - die der spießigen Elterngeneration und die der Journalisten. Die Vorurteile halten sich bis heute, sagt Langhans: "'Wer zweimal mit derselben pennt, Rudelbumsen, Sexorgien - gell, das macht ihr doch!' - 'Nein', haben wir gesagt, 'aber schreibt es doch'. Weil - 'könnte man machen, klar, aber wir sind ganz woanders, mein Gott'."
Die sexuelle Revolution hat auch Auswirkungen auf deutsche Schlafzimmer. Im 1968 erschienenen Aufklärungsfilm "Das Wunder der Liebe" spricht "Sexpapst" Oswalt Kolle erstmals öffentlich über körperliche Liebe: "Das Problem der jungen Ehe ist es, sich anzupassen und Gewohnheiten zu entwickeln. Die Gefahr der älteren Ehe ist es, dass die Gewohnheit zur Langeweile erstarrt."
Der Körper als Schauplatz für Protest
Das neue Lebensgefühl der 68er findet seinen Ausdruck auch in unkonventioneller Mode, erklärt Petra Leutner, Professorin für Modetheorie an der AMD Akademie Mode und Design in Hamburg: "Dieser Aufstand gegen das Establishment hat sich in der Kleidung sehr deutlich niedergeschlagen. Man hat eben nicht mehr diese brav geschnittenen Konfirmationsanzüge getragen. Sondern man hat sich den Style selbst zusammengesucht." Zum Beispiel lange Haare und Schlaghosen bei den Männern, kurze Röcke und Hängekleidchen bei den Frauen. Nach dem Motto "nichts soll einengen" verzichteten viele Frauen zudem auf das Tragen von BHs und von Make-up, erklärt Modehistorikerin Petra Leutner.
Der Protest gegen die Konventionen sei nicht nur sprachlich artikuliert worden, sagt sie, sondern: "Eben durch die Inszenierung der eigenen Person. So dass man, wenn man auf der Straße mit langen Haaren herumlief, wirklich provozieren konnte, weil die Menschen empfindlich darauf reagiert haben, dass auf einmal der Körper als Schauplatz genutzt wird für Protest."
Elemente dieses Revoluzzer-Dresscodes finden sich bis heute - sowohl bei Designermode als auch in der "Street Fashion" - wieder. Wie zum Beispiel das Peace-Zeichen, der Hippie-Look oder der Hipster-Vollbart. Eine Provokation sind sie jedoch schon lange nicht mehr.