Biografien hinter 285 Hamburger Stolpersteinen
In der ganzen Stadt sind sie verteilt: die Stolpersteine, die die Namen unter anderem von ermordeten Jüdinnen und Juden tragen, von politisch Verfolgten und Homosexuellen. Mehr als 5.300 Stolpersteine wurden bis vor zwei Jahren in Hamburg verlegt. Die Biografien der ermordeten Menschen sind in 20 Büchern veröffentlicht. Nun gibt es die Nummer 21: ein Doppelband zu den Stolpersteinen in der Neustadt und Altstadt. Die Hamburgerin Susanne Rosendahl hat die Biografien recherchiert und verfasst.
"Ich habe vor einigen Jahren einen Stolperstein verlegen lassen, für meinen Großonkel, Willy Kölpien, der in St. Georg gewohnt hat und Kommunist war", erzählt Susanne Rosendahl. Er sei 1935 verhaftet worden. "Später nach seiner Entlassung ist er dann verstorben, weil er sehr schwer misshandelt wurde im KZ Neuengamme."
Eigene Familiengeschichte bewegte zum Buch
Das hat Rosendahl vor sechs Jahren auf dem Amt für Wiedergutmachung herausgefunden, als sie über ihren Großonkel recherchiert hat. "Da saßen ganz viele Leute, die haben genau das Gleiche getan, was ich auch gemacht habe. Ich habe dann eine Dame angesprochen. Die hat mir vom Projekt erzählt und dann war ich gleich dabei", erzählt sie.
285 Einzelbiografien im Stolperstein-Buchprojekt
Insgesamt 285 Einzelbiografien hat Susanne Rosendahl für das Stolperstein-Buchprojekt erforscht. Darunter die Biografien der Familie Bleiweiss. Wohnhaft waren sie am Enckeplatz 4, wo heute fünf Stolpersteine liegen, zu Ehren von Käthe, Selig Semmy, Selma, Uri und Rudolph Bleiweiss.
70 Jahre später: Treffen mit einem Enkelkind
Die Familie Bleiweiss sei 1942 nach Ausschwitz deportiert worden, erzählt Rosendahl: "Eine Schwiegertochter hat es geschafft, mit dem Enkelkind 1942 von Hamburg nach Amerika auszuwandern. Das Enkelkind ist 70 Jahre später nach Hamburg zurückgekehrt und hat mich besucht." Das sei eine schöne Erfahrung für beide gewesen, erzählt Rosendahl. Denn Judith Bleiweiss hat erst durch die Autorin Susanne Rosendahl etwas Wichtiges über ihren Vater erfahren, was sie all die Jahre nicht wusste. Rosendahl hat herausgefunden, dass Rudolph Bleiweiss nicht deportiert worden ist: "Er musste hier in Hamburg Zwangsarbeit leisten für eine Tiefbaufirma und ist bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen."
Wunsch nach Infos über Angehörige ist groß
Oft nehmen Familienangehörige von Ermordeten online über die Stolperstein-Internetseite mit Susanne Rosendahl Kontakt auf. Sie schicken ihr Fotos zu und hoffen, dass die Autorin ihnen mehr Informationen über ihre Angehörigen geben kann. "Vielleicht bin ich der Bote, der vielleicht irgendwas wieder in Ordnung bringt", sagt Rosendahl.
Das Buch entstand in Rosendahls Freizeit
Mit Leidenschaft engagiert sich Susanne Rosendahl ehrenamtlich für das Stolperstein-Projekt. Hauptberuflich ist sie Grafikerin. Neben ihrem Beruf hat sie sieben Jahre lang für die Bücher geforscht, recherchiert und geschrieben: "Ich hab das abends gemacht, in der Nacht, im Urlaub, in meiner Freizeit", erzählt sie. "Mein Freund hat mich am Leben erhalten. Er hat gekocht, die Wohnung sauber gemacht, alles in Ordnung gehalten."
Den Doppelband Nr. 21: "Stolpersteine in der Hamburger Neustadt und Altstadt - biographische Spurensuche" von Susanne Rosendahl gibt es für sechs Euro in der Landeszentrale für politische Bildung.