Stadttheater Stralsund feiert 100. Geburtstag
Überall in Deutschland werden Anfang des 20. Jahrhunderts Theater gebaut. Auch die Stralsunder eröffnen 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, ein sehr modernes Haus. Nun feiert die Hansestadt den 100. Geburtstag seines Stadttheaters.
"Weihe des Hauses"
Eröffnet wird das Stralsunder Stadttheater 1916 mit dem Stück "Prinz Friedrich von Homburg" von Heinrich von Kleist und mit einer "Weihe des Hauses", die der damals sehr gefragte Theaterautor Ludwig Fulda eigens für diesen Anlass dichtet. Die ersten Spielpläne sind überbordend: Neben Lustspielen und Komödien wollen die Stralsunder auch aktuelle Stücke von Frank Wedekind oder Gerhart Hauptmann auf ihrer neuen Bühne sehen. Immer aber auch die großen Dramen der Theatergeschichte: Schiller, Goethe, Lessing, Shakespeare.
Operetten und Konzerte zwischen den Kriegen
Der Ursprung des Stralsunder Theater-Orchesters ist eine Militärkapelle. Nach dem Krieg 1918 wechseln die Musiker das Metier und führen als erstes die 5. Sinfonie von Beethoven auf. Bis dahin hatte das Theater Musiker für einzelne Produktionen eingeladen. Aber ein Sinfonieorchester rentiert sich - Operetten und Konzerte sind bei den Stralsundern immer überaus beliebt, auch als gesellschaftliches Podium. In den Pausen flaniert man durchs Haus. Die Damen plaudern, die Herren regeln ihre Geschäfte.
Sehnsucht nach Kunst und Kultur
Nach dem Zweiten Krieg strömen die Menschen ins Theater - jahrelang war es Bühne für Nazipropaganda gewesen, die Sehnsucht nach Kunst und Kultur ist unermesslich. Aber auch die DDR nutzt die Bühne in den Folgejahren für politische Agitation.
Ungeheure Dynamik des Schauspiels
Freiwillig gehen die Stralsunder erst in den 80er-Jahren wieder ins Theater. Das Schauspiel bekommt eine ungeheure Dynamik. 1985 gibt es eine legendäre Inszenierung von "Einer flog über das Kuckucksnest". Außerdem läuft "Der Drache" von Jewgeni Schwarz und sogar Jean Paul Sartre wird gespielt. Mehr noch: Stralsund holt sich die DDR-Erstaufführung von "Amadeus" und das Musical "My Fair Lady" ins Haus.
Wein und politische Debatten
Das reicht den Stralsundern nicht. Um 23 Uhr beginnen die musikalisch-satirischen Nachtprogramme - und danach geht's auch noch weiter. Ralf Lehm ist in der Zeit ein beliebter Schauspieler in Stralsund: "Wir haben fünf Mark gekriegt, um 'ne Flasche Wein zu kaufen und uns mit den Besuchern zu unterhalten. Und da reflektierten die natürlich, was sie gesehen haben, was ihnen gefallen hat und wie es politisch weitergeht."
Wie es politisch weitergeht, ist auch heute die Frage. Nach der Komplettsanierung des Theaters zwischen 2005 und 2008 ist inzwischen beschlossen: Die Landesregierung will eine Fusion aller Theater im Nordosten. Das würde die Ensembles auflösen - und Stralsund hätte weniger Theater. Das Stadttheater könnte bald nur noch eine Spielstätte sein.
"Es riecht nach Theater"
Gerade ist der 68-jährige Rolf Lehm für eine Sprechrolle in der Operette "Die Gräfin Mariza" noch einmal in sein altes Theater zurückgekehrt: "Es hat sich nichts verändert, vor 100 Jahren wurde so Theater gespielt, vor 200 Jahren wurde so Theater gespielt, die Maske sieht genauso aus wie sie immer ausgesehen hat, es riecht nach Theater."