Stand: 06.05.2015 17:21 Uhr

"Alle Kinder hassten ihre Eltern, nur ich nicht"

von Marc-Oliver Rehrmann, NDR.de

Tel Aviv, New York, London und Wien - dies sind nur einige Städte, aus denen sich Zeitzeugen aufgemacht haben, um in Hamburg bei der Einweihung eines Denkmals für die Kindertransporte anwesend zu sein. Bürgermeister Olaf Scholz enthüllte am Mittwoch die Skultpur am Bahnhof Dammtor. Das Kunstwerk erinnert an eine der spektakulärsten Rettungsaktionen vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges: Von Dezember 1938 bis August 1939 wurden mehr als 10.000 - überwiegend jüdische - Kinder aus dem "Dritten Reich" per Zug und Schiff nach England gebracht - um sie vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten in Sicherheit zu bringen. Die Eltern blieben zurück.

"Hamburg war ein Drehkreuz"

"Hamburg ist neben Berlin und Frankfurt am Main eines der Drehkreuze für die Transporte gewesen", sagt Lisa Sophie Bechner vom Verein Kindertransport Organisation Deutschland im Gespräch mit NDR.de. "Auch etwa 500 Kinder aus Norddeutschland sind von ihren Eltern nach England geschickt worden." Die meisten von ihnen kamen aus Hamburg, aber auch aus Kiel, Jever, Bremen, Schwerin und Wismar seien Jungen und Mädchen dabei gewesen. "Die kleinsten Kinder waren erst drei Monate alt, die ältesten 17 Jahre", weiß Bechner.

Von Hamburg aus gingen die Transporte entweder per Zug nach Rotterdam und von dort aus mit dem Schiff nach England. Oder die Kinder bestiegen im Hamburger Hafen einen Dampfer nach Amerika, der in England Station machte.

Abschied mit einem Lächeln

Hellfried Heilbut, der als 12-Jähriger mit dem Kindertransport nach England kam, steht vor dem Kindertransport-Denkmal am Bahnhof Hamburg-Dammtor  Foto: Marc-Oliver Rehrmann
Hellfried Heilbut saß als Zwölfjähriger in einem der Kindertransport-Züge - und freute sich.

Einer, der mit den Kindertransporten nach England kam, ist der heute 88 Jahre alte Hellfried Heilbut. Auch er hat sich nach Hamburg aufgemacht, um die Denkmal-Einweihung zu verfolgen. Mit zwölf Jahren hatten ihn seine Eltern in Dresden in den Zug gesetzt. "Meine Eltern haben beim Abschied nicht geweint, sondern gelächelt", erinnert sich Heilbut, dessen Familie aus Hamburg stammt. "Während alle Kinder um mich herum im Zug weinten wie die Hunde, habe ich mich gefreut." Zum Trost habe er den Kindern immer wieder Lieder auf seiner mitgebrachten Quetschkommode vorgespielt.

"Endlich sagte niemand mehr Drecksjude zu mir"

Am 21. Juni 1939 kam Heilbut in England an. Dort fühlte sich der Junge gleich wohl. "Ich war begeistert, endlich wurde ich nicht mehr als Drecksjude beschimpft", sagt Heilbut. Während viele Kinder in englischen Pflegefamilien aufgenommen wurden, kam Heilbut zusammen mit 72 weiteren Jungen und Mädchen aus den Kindertransporten in einem Internat unter, das die Engländer für sie geräumt hatten. "Viele Kinder haben ihre Eltern dafür gehasst, dass sie fortgeschickt worden sind. Ich hingegen war mein ganzes Leben lang dankbar", schildert Heilbut. Sein Vater wurde in Auschwitz ermordet, seine Mutter überlebte - er traf sie nach dem Krieg wieder. Die Verbundenheit zu den anderen Kindern sei über Jahrzehnte hinweg sehr eng gewesen. "Alle fünf Jahre haben wir uns getroffen", erzählt der rüstige Mann. Inzwischen lebten aber nur noch zehn von den einst 72 Kindern aus dem Internat.

Auch der Bildhauer ist ein "Kindertransport-Kind"

Der Bildhauer Frank Meisler steht zusammen mit seiner Frau Lucy vor seinem Denkmal für die Kindertransporte nach England am Bahnhof Hamburg-Dammtor  Foto: Marc-Oliver Rehrmann
Der Bildhauer Frank Meisler ist mit seiner Frau Lucy aus Israel angereist.

Das Denkmal hat der international renommierte Bildhauer Frank Meisler geschaffen - auch er hatte einst einen Platz in den Kindertransporten. In Danzig geboren kam er im August 1939 nach England - im Alter von zehn Jahren. Von London aus wanderte er später nach Israel aus, wo er heute lebt. Meisler hat auch die Kindertransport-Denkmäler in London, Berlin, Danzig und Rotterdam entworfen. Die Hamburger Skulptur heißt "Der letzte Abschied". Denn die meisten Kinder sahen ihre Eltern nie wieder. In vielen Fällen waren sie sogar die einzigen aus ihren Familien, die den Holocaust überlebten.

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06.05.2015 | 19:30 Uhr

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