"Alle Kinder hassten ihre Eltern, nur ich nicht"
England: Pflegefamilien gesucht
Die Kindertransporte waren eine Reaktion auf die Reichspogromnacht im November 1938. Spätestens jetzt wurde vielen Juden klar, dass sie im "Dritten Reich" keine Zukunft haben werden. England erklärte sich bereit, Kinder aus jüdischen Familien aufzunehmen. Britische Juden und Quäker hatten darauf gedrängt. Am 21. November 1938 lockerte die britische Regierung die entsprechenden Einreise-Bestimmungen. Es durften nun jüdische Kinder bis zum Alter von 17 Jahren einwandern, sofern ein Förderer oder eine Pflegefamilie für sie gefunden wurde. Zugleich wurden britische Familien dazu aufgerufen, Pflegekinder aufzunehmen.
Die Nationalsozialisten duldeten die Rettungsaktion und unterstützen die Ausreise der Kinder, indem sie die erforderlichen Papiere ausstellten. Es war ja ganz im Sinne der NS-Ideologie, dass die Juden das Deutsche Reich verlassen.
Eltern durften nicht auf den Bahnsteig
Von dem Abreise-Termin für ihr Kind erfuhren die Familien in der Regel nur wenige Tage vorher. Um die tränenreichen Abschiedsszenen am Bahnhof vor der Öffentlichkeit zu verbergen, war es den Eltern und Angehörigen verboten, bei der Abfahrt der Kinder den Bahnsteig zu betreten. Daher fand die Verabschiedung meist in einem abgeriegelten Wartesaal oder einem anderen abgelegenen Teil des Bahnhofs statt. Die Kinder hatten nur einen kleinen Koffer bei sich - und womöglich noch einen Teddy. "Die Kinder saßen in separaten Waggons, die an die normalen Regionalzüge gekoppelt waren", sagt Kindertransport-Expertin Bechner.
Eine fremde Welt
In England war es für viele Kinder schwer, sich zurechtzufinden. Schließlich waren sie in einer ihnen fremden Welt gelandet und die allermeisten Jungen und Mädchen konnten die Sprache nicht sprechen. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September endeten die Kindertransporte offiziell - auch wenn später noch etliche Kinder nach England in Sicherheit gebracht wurden.
"Du nimmst nur einem anderen Kind den Platz weg"
Auch die heute 91 Jahre alte Esther Bauer erinnert sich noch gut an die bewegten Zeiten damals. Sie ist eigens aus New York angereist, um in ihrer Heimatstadt Hamburg von ihren Erlebnissen zu berichten. "Mein Vater war Direktor der Israelitischen Töchterschule in Hamburg und strenggläubig." Auswandern wollte er nicht, weil er zwar fünf Sprachen gesprochen habe - aber kein Englisch. Auch seiner Tochter erlaubte er es nicht, mit den Kindertransporten nach England zu fahren. "Er hat zu mir gesagt: 'Du nimmst nur einem anderen Kind den Platz weg'", berichtet Bauer. Und so brachten die Nationalsozialisten Esther Bauer ins KZ Auschwitz. Sie überlebte und wanderte in die USA aus. Sie freut sich, dass nun auch Hamburg ein Kindertransport-Denkmal hat.
"Geben Sie gut auf das Denkmal acht!"
Wesentlichen Anteil daran hat Lisa Sophie Bechner. Sie hat die Hamburger Politiker für ihre Idee begeistert und private Spenden an Land gezogen. Sie wünscht sich nun, dass die Hamburger gut auf das Denkmal achtgeben. Am Kindertransport-Denkmal am Bahnhof Friedrichstraße in Berlin würden immer wieder Blumen liegen. Das wünscht sie sich auch für Hamburg.
- Teil 1: "Hamburg war ein Drehkreuz"
- Teil 2: Kinder landen in einer fremden Welt