Wie die Stasi Westdeutschen die Identität stahl

Stand: 15.12.2017 13:32 Uhr

Der Liebe wegen siedelt Manfred Ebner 1972 in die DDR über. Kurz darauf wird er von der Stasi verhaftet. Erst Jahre später erfährt er warum: Mit seinem Pass war ein DDR-Spion im Westen unterwegs.

von Carolin Kock

Als Schiffsmechaniker reist Manfred Ebner in den 1960er-Jahren um die Welt. Die Seefahrt bringt ihn ans Mittelmeer, nach Asien, Amerika - und auch nach Rostock. Dort lernt er Karin kennen. Für sie gibt er die Seefahrt auf, arbeitet im Westberliner Stahlbau und reist regelmäßig über die Grenze, um Karin zu sehen. Der Staatssicherheit der DDR bleibt das nicht lange verborgen.

Stasi nutzte gestohlene Identität als Tarnung für Spione

Ein Blatt aus einer Stasi-Akte zeigt Karin und Manfred Ebner beim Spaziergang © NDR
Die Stasi beobachtete Karin und Manfred Ebner, wie dieser Auszug aus einer Akte beweist.

Von Anfang an beobachtet die Stasi das Paar, protokolliert alle Treffen. Obwohl Karin und Manfred Ebner verlobt sind und ein Kind erwarten, dürfen sie nicht gemeinsam nach Westdeutschland übersiedeln. Manfred Ebner zieht deshalb nach Rostock. "Die Stasi hat versprochen, dass wir ausreisen können, wenn es ihm in der DDR nicht gefällt. Doch das war eine Falle", erinnert sich Karin Ebner heute. Der Pass ihres Mannes und sein Seefahrtsbuch sind wertvoll für die Stasi. Sie öffnen ihr nicht nur die Tür nach Westdeutschland, sondern auch ins Ausland. Von Anfang an plant sie, Ebners Identität zu stehlen.

Die Geschichte der Ebners ist kein Einzelfall. "Die DDR hat im Westen klassische Spionage betrieben und schleuste Personen an die wichtigen Stellen", weiß Georg Herbstritt von der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU). Ziel waren Parteibüros, Ministerien, Unternehmen und das westdeutsche Militär. Die Spione waren entweder Westdeutsche, die für die Stasi arbeiteten oder DDR-Bürger, die in die BRD geschickt wurden - unter falschem Namen. Auch der Pass von Manfred Ebner sollte einen Spion sicher über die Grenze bringen.

Auftrag für IM "Eiche"

Kurz nach seiner Übersiedlung im Oktober 1972 wird Manfred Ebner verhaftet. Ohne Kontakt zu seiner Familie wird er für ein halbes Jahr in Pritzier in der Nähe von Schwerin festgehalten, einem Aufnahmeheim für Rückkehrer und Zuziehende der DDR. Mit seinem Pass reist genau in dieser Zeit der Inoffizielle Mitarbeiter "Eiche" als Spion nach Westdeutschland. IM "Eiche" meldet dort den Wohnsitz von Manfred Ebner mehrmals um, sogar nach Dänemark und in die Schweiz. Nur eine Akte belegt, dass es den Spion Eiche gab. Nicht aber, wer er war und welchen Auftrag er erfüllen sollte.

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Georg Herbstritt von der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen sitzt in seinem Büro. © NDR
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Rosenholz-Kartei enthält mehr als 18.000 Namen

Verantwortlich für die Spionage war die Hauptverwaltung Aufklärung der Stasi, kurz HVA. Die Akten der Abteilung für Auslandsaufklärung wurden noch bis Mitte 1990 von den Mitarbeitern fast vollständig vernichtet. Heute sind die sogenannten Rosenholz-Dateien und die ebenfalls erhaltene Datenbank SIRA der HVA die wichtigste Erkenntnisquelle über die DDR-Spionage. Die mikroverfilmten Rosenholz-Karteien enthalten mehr als 18.000 Personendatensätze mit Decknamen von ost- und westdeutschen Bürgern. Diese waren mehr oder weniger intensiv als Agenten tätig. "Für Friedenszeiten ist das eine große Zahl und eine intensive Form der Spionage gewesen", so Georg Herbstritt.

Der lange Kampf um die Ausreise

Nach sechs Monaten Isolation in Pritzier bricht der echte Manfred Ebner 1973 mit der DDR. Noch während der Haft schreibt er Ausreiseanträge. Die Stasi stellt ihn daraufhin vor die wichtigste Entscheidung seines Lebens: Entweder er bleibt in der DDR oder er reist ohne seine Familie nach Dänemark oder in die Schweiz aus. Nur die Stasi weiß: In die BRD kann er nicht, sonst würden die "feindlichen Organe" von der Spionage erfahren. Doch Manfred Ebner verlässt Frau und Kinder nicht und bleibt in der DDR.

Spion wurde nicht enttarnt

Erst 1984 darf Familie Ebner in den Westen ausreisen - nach elf Jahren und mehr als 100 Ausreiseanträgen. In der Bundesrepublik angekommen, informiert der Verfassungsschutz die Familie, dass mit Manfred Ebners Papieren ein Spion im Westen unterwegs war. Man zeigt ihnen sogar ein Passbild des Mannes. Karin Ebner erinnert sich bis heute daran: "Er sah völlig anders aus als mein Manfred. Er war Ende 20,  hatte ein breites Gesicht und schütteres Haar." Manfred Ebner solle künftig mit dem Tattoo auf seinem Arm beweisen, dass er der Echte ist, rät ihm der Verfassungsschutz. Die westdeutschen Dienste waren IM "Eiche" also auf der Spur, doch der konnte offenbar sicher in die DDR zurückkehren. Der echte Manfred Ebner stirbt im Jahr 2006 - ohne je aus den Akten erfahren zu haben, wer IM "Eiche" war - der Spion, der seine Identität benutzt hat.

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Nordmagazin | 17.12.2017 | 19:30 Uhr

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