Gestatten, Horst Schroth! Ich bin ein 68er!
Lang ist die 68er-Bewegung her - und für die meisten nur noch Geschichte. Einer von denen, die dabei waren, kommt hier zu Wort.
Eine Betrachtung von Horst Schroth
Vor ein paar Tagen las ich die Schlagzeile: "Die 68er werden 50!" So ein Quatsch! Ich, Horst Schroth, geboren 1948, bin einer der sogenannten 68er. Und wir werden mitnichten 50. Schön wär's, na ja, vielleicht. Nein, nur der Mythos von 68, der wird 50.
Und wir, die wir damals als APO auf die Straßen gingen und Steine gegen "Bild", "BamS" und Bullen geworfen haben, wir sind heute um die 70. Und damit sind wir alte Leute. Wir sind so alt, dass etliche von uns überhaupt nicht mehr da sind, die deckt bereits der grüne Rasen. Und die Überlebenden genießen schon lange ihre Renten. Und wer den 68er-Spruch vom Marsch durch die Institutionen ernst genommen hat, der lutscht an seiner fetten Pension und schaukelt sich auf einer luxuriösen Hängematte, freundlich umhegt von völlig unterbezahlten, osteuropäischen Pflegerinnen, seinem friedlichen Ende entgegen.
Ja, wir sind alt. Also seien Sie bitte entsprechend rücksichtsvoll, verständnisvoll und achtsam im Umgang mit uns. Und wenn wir in der Vergangenheit Fehler gemacht haben, ja, sorry, dann seien Sie bitte nicht nachtragend, sondern nachsichtig. Ja, wir haben genervt, wir waren laut, wir waren total gegen alles. Wir hassten den Kapitalismus, den Imperialismus und die angepassten Spießer, die wir damals nur Quadrados nannten. Dass viele von uns selber angepasste Quadrados waren, fiel uns natürlich nicht auf. Nein, wir trugen alle stramm die vorgeschriebene APO-Uniform, also lange Haare und einen völlig abgeranzten Parka aus US-Army-Beständen, den wir uns für zehn Mark im Freihafen besorgten.
An den Füßen trugen wir selbstverständlich die hohen Wildleder-Boots, denn wir hassten ja den Konsumterror wie die Pest, aber achteten stets streng darauf, dass die Jeans, die wir 24/7 trugen, eine echte Levi's war. Ersatzweise wurde noch die Wrangler akzeptiert, aber C&A? Die Kampfgenossen hätten uns sofort vom nächsten Sit-in ausgeschlossen.
Und dann die Beziehungskisten! Natürlich waren wir zuallererst für die sexuelle Freizügigkeit. Jeder mit jeder und jedem! Die Freilandversuche dazu fanden in unseren Wohngemeinschaften statt. Alles musste transparent sein, keine Heimlichtuerei mehr. Das hieß in manchen WGs: alle Türen raus, alle, ausnahmslos, auch die vom Klo. Freie Liebe, was für ein Stuss! Freie Liebe, klingt erst mal gut, kann aber auch verdammt weh tun. Und wenn dann die Eifersucht zuschlug, war Schluss mit lustig.
Oder wie mein lieber Kollege Matthias Beltz mal sagte: Die Gabi hatte mich verlassen, da war ich so sauer, dass ich dann beim Amerika-Haus die Scheiben eingeworfen habe.
Aber, wie wir wissen, alles fließt. Wie geht es jetzt weiter mit uns, den Veteranen von 68? Da lasse ich noch mal Matthias Beltz zu Wort kommen: "Parmesan und Partisan, wo sind sie geblieben? Partisan und Parmesan, alles wird zerrieben."