Geschichte lernen mit "Assassin's Creed"?
"Assassin's Creed - Unity", das jüngste Spiel in der seit Jahren erfolgreichen Assassinen-Reihe, sorgte durch eine ungeheuer detailreiche Rekonstruktion des Paris der französischen Revolution für Aufsehen. Die Geschichte ist eingebettet in die turbulenten Ereignisse der Jahre ab 1789. Nur: Passen die Story und die Historie zusammen? Wie stimmig ist das Geschichtsbild, das das Videospiel vermittelt?
Detailtreue bei Madame Tussaud
Madame Tussaud kennt beispielsweise jeder, durch die Wachsfigurenkabinette in der ganzen Welt. "Unity"-Spieler erfahren mehr von der historischen Figur. In dem Spiel erzählt Madame Tussaud, dass sie versprach, Masken von berühmten Opfern der Guillotine anzufertigen, um aus dem Gefängnis freizukommen. Nun habe jemand die Köpfe gestohlen. "Könnt Ihr sie bitte wiederfinden?", bittet Madame Tussaud verzweifelt.
Als Spielfigur Arno Dorian kann man ihr tatsächlich helfen. Und als historisch interessierter Mensch kann man erst in der spieleigenen Enzyklopädie, dann in den entscheidenden Geschichtsbüchern nachlesen: Madame Tussaud arbeitete als Kunstlehrerin am Hofe, kam während revolutionärer Unruhen tatsächlich kurzzeitig ins Gefängnis, und begann dann, die Köpfe bekannter Menschen, die unter die Guillotine kamen, nachzubilden. Denn diese sollten oft als Trophäen präsentiert werden, sahen aber sehr schnell unansehnlich aus. Und natürlich bringt der Spieler - in Gestalt des Arno Dorian - die gestohlenen Köpfe zurück.
Spieler als Zeuge der Revolution
In "Assassin's Creed" stolpert man ständig über solche Geschichten und Personen, Randnotizen der Geschichte. Sowohl in der erwähnten Enzyklopädie, als auch im Spielverlauf. Arno greift zwar selten direkt in die großen Ereignisse der Revolution ein, aber er ist immer ihr Zeuge: Er nutzt den Sturm auf die Tuilerien, um im Chaos einige brisante Dokumente aus dem Palast zu retten. In der Menschenmenge, die sich zur Exekution Ludwig XVI. versammelt hat, verfolgt er heimlich einen Gegner. Er untersucht den Tod des Revolutionärs Marat - und stört dabei in der Wohnung des Ermordeten den Maler Jaques-Louis David, der gerade an seinem bekannten Bild "Der Tod Marats" arbeitet. Der Spieler Arno geht verschiedenen Spuren nach und stellt letzten Endes die Mörderin Marats, Charlotte Corday, die die überlieferten Worte spricht: "Ein einziger Toter rettet Hunderttausend Lebende. Das ist es wert. Das bereue ich nicht."
Paris fast originalgetreu rekonstruiert
Viel Arbeit ist in die historischen Recherchen für "Assassin's Creed - Unity" geflossen. Auch die Stadt Paris wurde mit großer Sorgfalt fast originalgetreu rekonstruiert. "Jeden Tag recherchiere ich, lese, durchsuche Archive nach alten Stadtplänen oder dem damaligen Zustand alter Gebäude, damit wir genau wissen, wie ein Palast oder eine Kirche rekonstruiert werden muss", sagt Maxime Durand, leitender Historiker beim Spieleentwickler Ubisoft. "Diese Information gebe ich an das Entwicklerteam weiter. Und es liegt in der Verantwortung des Historikers, dass diese Informationen stimmen."
Geschichte als detailliertes Setting für Abenteuer
"Assassin's Creed - Unity" ist für historisch interessierte Spieler eine sehr befriedigende Erfahrung: Die Geschichte wird als äußerst detailliertes Setting für die Abenteuer Arnos genutzt und wird nicht, soweit man das bisher sagen kann, in fahrlässiger Weise verdreht. Der Spieler kann aufgehen in einer Atmosphäre, die mehr über diese Epoche erzählt als viele Bücher. "Als Historiker weiß ich, wie wichtig Schule und Bücher sind. Sie sind die Grundlage dessen, was wir im Spiel machen", erklärt Durand. "Aber klar, wie dies in einem Spiel gezeigt wird, dass es interaktiv ist, das kann man nirgendwo sonst finden."
Das zeigt sich ganz besonders, wenn man sich die Zeit nimmt, das pulsierende Leben in Paris zu beobachten: Tausende Menschen bevölkern die Straßen, reden miteinander, rotten sich vor Palästen zu revolutionären Mobs zusammen, arbeiten in Dutzenden von Berufen. So landet der Spieler bei seinen Wanderungen durch die riesige Stadt beispielsweise unversehens in einer Druckerei und kann über Minuten verfolgen, wie damals gedruckt wurde. Und wenn man den Druckern über die Schulter schaut, erkennt man, dass sie gerade die "Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte" von 1789 vervielfältigen.