"Ohne Kulturfrauen gäbe es den Wald nicht"
Mit einem Festakt haben die Niedersächsischen Landesforsten am Freitag die Leistung der "Trümmerfrauen des Waldes" gewürdigt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Frauen etwa 24 Millionen kleiner Bäume gepflanzt und so riesige Kahlflächen wieder aufgeforstet. In Neustadt-Otternhagen (Region Hannover) pflanzten 30 ehemalige Waldarbeiterinnen, die auch Kulturfrauen genannt wurden, gemeinsam mit Schulkindern junge Roteichen und Buchen an. "Ohne diese Kulturfrauen gäbe es den heutigen Wald wahrscheinlich nicht", lobte Landesforsten-Präsident Klaus Merker die Verdienste der Arbeiterinnen als historische Leistung. Zur Erinnerung bekamen die aus ganz Niedersachsen angereisten Kulturfrauen eine eigens geprägte Gedenkmedaille. Darauf ist eine knieende Frau zu sehen, die eine Eiche pflanzt. Das Motiv war jahrzehntelang auch auf der Rückseite der 50-Pfennigstücke zu sehen.
Kaum Saatgut und Pflanzgeräte
Kurz nach Kriegsende waren die Arbeitsgeräte von Edelgard Esther eine große Hacke und ihre bloßen Hände. Selbst wenn es schneite, stand sie im kahlgerodeten Fuhrberger Wald (Region Hannover) in schnurgeraden Reihen und pflanzte junge Fichten und Kiefern in den nasskalten Boden. Oft war sie länger als acht Stunden beschäftigt. Eine schweißtreibende Arbeit, über die sie 70 Jahre später sagt: "Ich hätte nichts anderes machen mögen." Die heute 88-Jährige gehört zu jenen Frauen, ohne die der deutsche Wald heute vermutlich nicht so aussehen würde, wie wir ihn kennen. Sie ist eine der letzten noch lebenden sogenannten Kulturfrauen, deren Geschichte langsam in Vergessenheit gerät. "Die Kulturfrauen mussten eine enorme Herausforderung bewältigen, da nach dem Krieg Saatgut, Pflanzgeräte und natürlich Geld fehlten", sagt Joachim Hansmann von den Niedersächsischen Landesforsten.
Wald in desolatem Zustand
Zu dieser Zeit war der deutsche Wald in einem desolaten Zustand: Während des Krieges hatten die Nazis ihn zum Teil rücksichtslos zerstört - etwa, um militärische Anlagen oder Autobahnen zu bauen. Nachdem der Krieg verloren war, wurde Deutschland dazu verurteilt, riesige Mengen Baumstämme an die Westmächte zu liefern. In Niedersachsen ließ die englische Besatzungsmacht große Waldflächen zur Reparation von Kriegsschäden in Großbritannien schlagen. Besonders betroffen waren die Fichten- und Kiefernwälder im Solling, im Harz, in der Heide und im Weser-Ems-Gebiet. Die Briten gründeten im Jahr 1946 die "North German Timber Control", um die Holzernte in ihrer Besatzungszone zu organisieren. Das Holz wurde vor allem für die Industrie im Ruhrgebiet, Brennholz für die Bevölkerung, als Bedarf für die Besatzungstruppen sowie für Holzexporte verwendet. Riesige Kahlflächen so groß wie 200.000 Fußballfelder entstanden. Etwa 140.000 Hektar wurden wieder aufgeforstet - meist von Frauen, weil es nach dem Krieg keine Männer gab, die diese Arbeit hätten erledigen können.
Nur Monokultur?
70 Jahre nach den sogenannten Reparationshieben, also den planmäßigen Abholzaktionen der Engländer, erinnern die Niedersächsische Landesforsten nun an dieses Kapitel deutscher Waldgeschichte. "Zum einen wollen wir die Arbeit der Kulturfrauen würdigen", sagt Hansmann. Zum anderen sei das Ziel, den Menschen zu erklären, dass damals nur Monokulturen aus Fichten und Kiefernwäldern entstanden, weil andere Baumarten schlicht und einfach fehlten. Das Ergebnis, aus der Not geboren, ist heute zum Beispiel im Harz zu sehen: ein sehr gleichmäßiger Fichtenbestand, der Probleme macht. Fichten sind anfällig für Schnee- und Eisbruch, Fäule, Rotwildschäle und Borkenkäferfraß. Das, so Hansmann, werde den Förstern heute vorgehalten. "Nach dem Motto: 'Ihr konntet ja nichts anderes als Monokulturen.'" Dabei hätten die Förster seit den 1970er-Jahren wieder versucht, für Vielfalt zu sorgen. So gebe es zum Beispiel in Fuhrberg, wo einst Edelgard Esthers Bäume pflanzte, wieder einen Mischwald mit alten Kiefern, aber auch mit Buchen und Eichen.
Erinnerung per Münze geplant
Wenn Edelgard Esther heute durch den Fuhrberger Wald spaziert, ist sie froh über die Fülle an Baumarten. Sie ist stolz darauf, ihren Teil dazu beigetragen zu haben. Sie hat es gern gemacht, weil sie den Wald liebt - aber auch, weil ihr nichts anderes übrig blieb. Wollte sie überleben, musste sie eine Kulturfrau sein, denn andere Verdienstmöglichkeiten waren in der Nachkriegszeit rar. 50 Pfennige erhielt sie vom Forstamt in der Stunde, also ungefähr den Gegenwert der später in Westdeutschland geprägten Münze. Die Landesforsten wünschen sich ein Comeback des Geldstücks. Die Förster wollen eine Petition starten. Das Ziel: eine Euro-Münze mit einer Frau, die ein Bäumchen pflanzt.