Das Rätsel der explodierten Kröten von Hamburg
Ein Hamburger Teich machte mit seinen zerplatzenden Kröten weltweit Schlagzeilen. Vom Amt kam eine Begründung à la Hitchcock, die bis heute Rätsel aufgibt.
Die Weiden am Ufer zeigen ihr erstes frisches Grün, im dunklen Wasser spiegelt sich ein Stockenten-Paar, das gemeinsam seine Runden zieht auf dem "Tümpel des Todes". So tauften Boulevard-Zeitungen den Teich an der Stadionstraße im Hamburger Bezirk Altona, nachdem sich dort im Frühjahr 2005 ein Tierdrama abgespielt hatte, das bis heute Rätsel aufgibt.
"Als ich am frühen Morgen am Regenrückhaltebecken ankam, sah ich, wie etliche Erdkröten hektisch aus dem Wasser an Land paddelten", erinnerte sich Werner Smolnik vom Naturschutzbund (NABU) Hamburg-Altona in einem Gespräch mit dem NDR im Jahr 2015. "Sie gaben unnatürliche Töne von sich, es war mehr ein Schreien als ein Quaken. Sie blähten sich auf und manche platzten so heftig, dass die Innereien herausspritzten." Er habe sogar etwas am Knie abbekommen.
Fast 1.000 tote Kröten
Auch Spaziergänger bemerkten die seltsamen Vorgänge. "Die waren ebenso schockiert, weil überall die Kadaver der aufgeplatzten Tiere herumlagen", sagte Smolnik. An die 1.000 tote Erdkröten zählte er damals. Er alarmierte das Tiefbauamt, das eine Biologin schickte. "Aber wir konnten uns beide keinen Reim darauf machen, was hier vor sich ging."
In den folgenden Tagen sperrten die Behörden den auch bei Spaziergängern mit Hunden beliebten Teich mit Flatterband ab, um die Ausbreitung einer möglichen Krankheit oder eine Berührung mit einem Gift zu vermeiden. "Betreten der angrenzenden Flächen verboten", hieß es auf einem Warnschild.
Internationale Presse und "Dittsche" berichteten

Bald berichteten neben der deutschen Presse auch ausländische Medien wie die BBC, "USA Today" oder "The Independent" über die mysteriösen Vorkommnisse an dem Tümpel in Altona. Sogar "Dittsche" fabulierte in seiner Eppendorfer Kneipe über die "Torpedo-Kröten". Der Aufklärungsdruck auf die Behörden wuchs: Was ließ die Kröten derart jämmerlich verenden? Ein Gift? Ein Keim, ein Parasit oder ein Pilz? Ein neuartiges Virus, das sich vielleicht schnell ausbreitete?
Das Institut für Hygiene und Umwelt schickte seine Experten ins Rennen. Sie untersuchten Wasserproben auf gefährliche Bakterien und auf Gifte, auf Pflanzenschutzmittel und auf Dünger - ohne eine Besonderheit zu finden. Wasserflöhe und Aquarienfische wurden in das Probenwasser gesetzt und überstanden die Prozedur unbeschadet. Amtstierärzte begutachteten die Kadaver und konnten zunächst keine Auffälligkeiten feststellen - außer einer Verletzung seitlich unterhalb des Rippenbogens.
Erklärung à la Hitchcock
Auch der Berliner Tierarzt Frank Mutschmann, der sich für eine Fachtagung in Hamburg aufhielt, hörte von dem Fall und nahm ein paar lebende und tote Tiere vom Tatort zur Untersuchung mit in seine Praxis. Für den Amphibienexperten stand die Ursache schnell fest: "Krähen haben es auf die Lebern der Kröten abgesehen, haben die Haut angepickt und den Leckerbissen herausgezogen."
Als Abwehrmechanismus hätten sich die trägen Amphibien aufgebläht, dabei seien dann die Innereien durch die Verletzung herausgeplatzt. Teilweise seien die inneren Organe aber auch direkt von den Krähen mit herausgezogen worden. Die Behörden in Hamburg übernahmen schließlich die Erklärung à la Hitchcock.
Zweifel an der Gourmet-Theorie
Waren wirklich Rabenvögel mit Gourmet-Attitüde für das Massaker im Volkspark verantwortlich? "Für eine Menge von mehreren Hundert toten Erdkröten müsste das schon eine große Gruppe von Vögeln gewesen sein", sagte Verhaltensforscherin Miriam Sima vom Max-Planck-Institut für Ornithologie im bayerischen Seewiesen. "Wenn eine Krähe die Kröten als Nahrungsquelle ausmacht, kann sie allerdings andere über Rufe heranholen." Auch sei es möglich, dass spezifisches Fressverhalten schnell imitiert werde. Jedoch bezweifelt die Krähenexpertin das gezielte Herauspicken der Amphibienlebern: "Die Krähen wären nicht so wählerisch, sondern würden dann schon alle Innereien fressen."
An der Krähentheorie lässt auch die Tatsache zweifeln, dass keine Krötenmassaker ähnlichen Ausmaßes bekannt geworden sind. Amphibienexperte Mutschmann war sich damals allerdings sicher, dass es sie gibt - in abgelegener Natur "mit weniger Publikumsverkehr". Nach seinen Informationen spielten sich ähnliche Tierdramen in kleinerem Ausmaß etwa in Brandenburg ab.
Verunreinigtes Pferde-Abwasser?
Augenzeuge Werner Smolnik, der das Regenrückhaltebecken von seinen Streifzügen gut kannte, glaubte nicht an die Rabenvögel als Übeltäter. "Ab und zu habe ich schon mal eine oder zwei Krähen in Teichnähe gesehen, aber nie eine größere Gruppe." Er ist davon überzeugt, dass ein Inhaltsstoff aus dem Wasser die Amphibien zum Explodieren gebracht hat. Er deutete 2015 im Gespräch mit dem NDR auf den Zulauf am südlichen Ufer: "Dort fließt Wasser, das von der Trabrennbahn kommt, über Rohre in dieses Becken." Nach seiner Theorie könnte etwa ein noch unbekannter Pilz ausländischer Rennpferde damals über das Abwasser in den Teich gelangt sein und die Krötenleiber aufgebläht haben. "Doch das kann ich natürlich nicht mehr beweisen."
"Nicht befriedigend gelöst"
Ganz zufrieden war man offenbar auch auf Behördenseite nicht mit der Krähentheorie: "Obwohl vieles dafür spricht, ist das Rätsel des Krötensterbens bis heute nicht befriedigend gelöst", schrieb das Institut für Hygiene und Umwelt 2005 in einem Jahresbericht. Froh war man allerdings sowohl beim Amt als auch bei den Naturschützern vom NABU über die Entwicklung im "Tümpel des Todes": Der Bestand an Erdkröten normalisierte sich wieder.
