Ostbeauftragter Wanderwitz: Der Fluch der ehrlichen Worte

Stand: 30.09.2021 15:00 Uhr

Marco Wanderwitz ist seit anderthalb Jahren Ostbeauftragter der Bundesregierung, zeigte als erster in diesem Amt klare Kante gegen die AfD. Genützt hat ihm das wenig, seinen Wahlkreis hat er verloren.

von Birgit Wärnke, Caroline Walter

Ein Mann in kurzen Hosen rennt schnurstracks auf Marco Wanderwitz zu und ruft wütend: "Schämen Sie sich!" Wanderwitz fragt: "Warum?" Die Antwort: "Für die ganze Politik." Der Mann will mit Wanderwitz im erzgebirgischen Limbach-Oberfrohna nicht diskutieren, ihm nur diesen Satz an den Kopf werfen. So schnell wie der Passant gekommen ist, ist er auch fast schon wieder weg. Aber auf die Panorama-Nachfrage, was denn genau das Problem sei, dann doch eine Antwort: "Wir sind 'nicht demokratiewürdig' - als wären wir bekloppt - hat er gesagt." Die Frau des Mannes fügt noch hinzu: "Und dass er sich über die Sachsen und Ostdeutschland schäme." Mit "er" ist Marco Wanderwitz gemeint.

VIDEO: Ostbeauftragter Wanderwitz: Der Fluch der ehrlichen Worte (9 Min)

Nicht demokratiefähig

Wanderwitz ist seit anderthalb Jahren Ostbeauftragter der Bundesregierung, und als erster in diesem Amt traute er sich, die klare Abgrenzung zur AfD auch klar auszusprechen. Zum Beispiel im Mai - kurz vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Wanderwitz wird in einem Interview gefragt, warum die AfD im Osten so stark sei. Wanderwitz spricht von erheblichen Teilen der Bevölkerung, die "gefestigte, nicht demokratische Ansichten" hätten. Die Menschen, die die AfD wählten, seien "teilweise in einer Form diktatursozialisiert, dass sie auch nach dreißig Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind". Nur ein geringer Teil der AfD-Wähler sei "potenziell rückholbar".

Schwerer Stand im Wahlkampf

Die Empörung über seine Aussagen bekam Wanderwitz an seinen Wahlkampfständen zu spüren. Einige Menschen fühlten sich von ihm beschimpft und wollten für ihre Entscheidung die AfD zu wählen, nicht von ihm kritisiert werden. Und das äußern sie lautstark, oft muss Wanderwitz hören: "Schämen Sie sich!" Als ihm ein Mann am Wahlstand das Ende der kostenlosen Coronatests vorwirft und behauptet, "die Politiker" würden Impfnebenwirkungen vertuschen, reagiert Wanderwitz mit Sprachlosigkeit. Mit Worten gebe es in solchen Situationen nichts zu gewinnen, so Wanderwitz. Das Impfen sei nur ein weiterer Baustein des Gesamtproblems, davor wäre es die Flüchtlingskrise gewesen, davor die Eurokrise. Die Parteien aus dem rechtsradikalen Spektrum sorgten dafür, dass es immer was Neues gebe, an dem man sich dann aufrichten könne in seiner Grundablehnung des Staates, der Demokratie.

Weitere Informationen
Wahlkampf-Mobil des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) © NDR Foto: Screenshot

Sachsen: Kretschmers Kampf gegen Windmühlen

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer muss im Wahlkampf Stellung beziehen zu den großen Konflikten unserer Zeit - und dabei der AfD die Stirn bieten. Eine Reportage aus einem gespaltenen Land. mehr

"Wer eine rechtsradikale Partei wählt, ist für mich kein Demokrat - das macht ein anständiger Demokrat nicht - gerade nicht in Deutschland", beschreibt der 45-Jährige im Panorama-Interview seine Haltung. Anders als etwa Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer will Wanderwitz nicht mehr mit allen reden. "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht bei diesem ständigen Hinterherlaufen dieser lauten, lärmenden, rechtsradikal wählenden Minderheit vergessen, Politik für die zu machen, die die Mehrheit sind und die mit uns gemeinsam am guten Zukunftskonzept dieses Landes weiterbauen wollen", sagt Wanderwitz. Die Vermittlungsversuche und der Weg des Verständnisses hätten seiner Meinung nach alle nicht funktioniert. Und so hat er sich für die "Konfrontation" entschieden, was für ihn bedeute, Rechtsradikale auch als Rechtsradikale zu bezeichnen.

Das Scheitern

Am Tag nach der Wahl ist Wanderwitz geschockt wie der Rest der CDU, vor allem in Sachsen und Thüringen. Dort gewinnt die AfD etliche Direktmandate und geht in Sachsen und Thüringen als stärkste Kraft aus den Wahlen hervor, in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern landet sie auf Platz zwei. Der Kampf um die Demokratie, wie ihn Wanderwitz versteht, hat in den ostdeutschen Bundesländern damit noch mehr Schlagseite bekommen. Im Schnitt wählen im Osten prozentual mehr als doppelt so viele Menschen die AfD wie im Westen.

Weitere Informationen
Demonstranten der rechten Szene zünden Pyrotechnik und schwenken Deutschlandfahnen. © dpa-Bildfunk Foto: Jan Woitas

Sachsen und die Nazis: Plattes Klischee oder echtes Problem?

"Wir sind mehr" - so der Slogan eines Konzerts gegen Rechts in Chemnitz vergangenes Jahr. Stimmt das wirklich? Sachsen landet wegen Rechtsradikalismus immer wieder in den Schlagzeilen. mehr

Wanderwitz ist wahrscheinlich sein Amt als Ostbeauftragter los, es sei denn, Armin Laschet wird doch noch Kanzler. Aber auch dann wäre es nicht sicher, dass Wanderwitz das Amt behalten würde. Verloren hat der gebürtige Karl-Marx-Städter (heute: Chemnitz) auf jeden Fall sein Direktmandat im Erzgebirge, das er zuvor fünf Mal gewonnen hatte. Diesmal aber musste sich Wanderwitz seinem schärfsten Konkurrenten, dem AfD Mann Mike Moncsek, geschlagen geben: "Es würde mich weniger ärgern, wenn das Direktmandat an die SPD gegangen wäre, auch, wenn ich auf Platz 3 gelandet wäre, aber dann hätte wenigstens ein Demokrat den Rechtsradikalen geschlagen", sagt Wanderwitz. Die Enttäuschung über die Wähler*innen ist groß. Und das, obwohl Wanderwitz über die Landesliste doch in den neuen Bundestag einzieht.

Schuldfrage

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). © NDR Foto: Screenshot
Gibt Wanderwitz eine Mitschuld: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer.

Die Verantwortung sucht so manche*r in der CDU nun auch beim Ostbeauftragten. Ministerpräsident Michael Kretschmer gibt seinem Parteikollegen Wanderwitz eine Mitschuld an dem desaströsen CDU-Ergebnis. Es hätten sich Menschen von Herrn Wanderwitz "stigmatisiert" und "angegriffen" gefühlt. Das gehöre zur Geschichte des Wahlkampfs dazu, lautet die Kritik von Kretschmer. Was folgt? Wanderwitz, bisher sächsischer Spitzenkandidat und Landesgruppenchef der CDU, wird in Zukunft die Landesgruppe der CDU Sachsen in Berlin nicht mehr anführen. Kommentieren möchte Wanderwitz diese Vorgänge nicht. Aber auf die Frage, ob er einen Fehler gemacht habe, sagt Wanderwitz selbstbewusst: "Nö!"

Weitere Informationen
Ein linker Pfeil einer Ampel in schwarz in rotem Kreis und ein grüner Pfeil, der nach rechts zeigt © picture-alliance Foto: picture alliance

Verwirrung in der Politik: Was ist links? Was ist rechts?

Die Einordnung politischer Positionen scheint zunehmend schwer zu fallen. Taugen Begriffe wie "links" und "rechts" noch? Oder sind sie zu unbrauchbaren Schablonen geworden?  mehr

Sigmar Faust, Angelika Barbe, Vera Lengsfeld © NDR/ARD/dpa - Report Foto: Montage

DDR-Bürgerrechtler: Vom SED-Gegner zum Corona-Leugner

Niemand muss ehemaligen Bürgerrechtlern und Dissidenten die DDR erklären. Und doch ziehen einige von ihnen heute Vergleiche zu früher. Sie sind wieder in der Opposition - und die steht weit rechts. mehr

Vorschaubild "der Traum vom Umsturz" © NDR Foto: Screenshot

Der Traum vom Umsturz - Neonazis und die Wende

Als die Mauer fiel, fingen die Neonazis an zu träumen. Sie wollten nicht nur die DDR stürzen sehen, sondern auch die Bundesrepublik Deutschland. Ein Ruck ging durch die Szene. mehr

Björn Höcke reicht Thomas Kemmerich nach seiner Wahl zum Ministerpräsident die Hand © NDR

Thüringen: Was heißt hier Demokratie

Thomas Kemmerich wurde mit Hilfe der AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt. Sowas rückgängig machen – ist das demokratisch? mehr

Peter Fischer © NDR Foto: Screenshot

Umgang mit der AfD: Schluss mit Verständnis

Jahrelang hieß es, "man müsse besorgte Bürger ernst nehmen". Doch prominente Vertreter von Vereinen und Verbänden fordern nun: Klare Kante zeigen! Nicht einladen! Abgrenzen! mehr

Eine Kamera filmt einen Redner auf einem Parteitag der Alternative für Deutschland. Im Hintergrund ist das Logo der Partei zu sehen © imago / Langer Eibner-Pressefoto Foto: Langer Eibner-Pressefoto

Demokratische Tragödie: Ausschluss von AfD-Kandidaten in Sachsen zweifelhaft

Keine gute Nachricht für die Demokratie sei die Entscheidung des sächsischen Landeswahlausschusses, die Liste der AfD teilweise zurückzuweisen. Denn sie bediene den Opfermythos der AfD, spiele denen in die Hände, die demokratische Institutionen ohnehin verachten, so Sophie und Christoph Schönberger. mehr

Garagentreff © NDR Foto: Screenshot

Zurück im Osten - Was ist in meiner Heimat los?

Die AfD wurde bei der Bundestagswahl 2017 zweitstärkste Partei in Brandenburg. Was bewegt die Menschen vor Ort? Ein Stammtischgespräch in einer Garage in Groß Kreutz. mehr

Ostbeauftragter Wanderwitz: Der Fluch der ehrlichen Worte

Der Panorama-Beitrag vom 30. September 2021 als PDF-Dokument zum Download. Download (82 KB)

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 30.09.2021 | 21:45 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

CDU

Bundestagswahl

AfD

Es fehlt etwas?

Computertastatur © picture-alliance Foto: Christian Ohde

Kontakt zur Redaktion

Sie vermissen einen Beitrag oder ein Video ist nicht abspielbar? Schreiben Sie uns, wir kümmern uns darum. mehr

Weitere Informationen

Kalender © Fotolia.com Foto: Barmaliejus

Panorama-Geschichte

Als erstes politisches Fernsehmagazin ging Panorama am 4. Juni 1961 auf Sendung. Die Geschichte von Panorama ist auch eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. mehr

Anja Reschke © Thomas & Thomas Foto: Thomas Lueders

60 Jahre Panorama

60 Jahre investigativ - unbequem - unabhängig: Panorama ist das älteste Politik-Magazin im deutschen Fernsehen. mehr

Panorama 60 Jahre: Ein Mann steht hinter einer Kamera, dazu der Schriftzug "Panorama" © NDR/ARD Foto: Screenshot

Panorama History Channel

Beiträge nach Themen sortiert und von der Redaktion kuratiert: Der direkte Einstieg in 60 Jahre politische Geschichte. mehr