Ostbeauftragter Wanderwitz: Der Fluch der ehrlichen Worte
Marco Wanderwitz ist seit anderthalb Jahren Ostbeauftragter der Bundesregierung, zeigte als erster in diesem Amt klare Kante gegen die AfD. Genützt hat ihm das wenig, seinen Wahlkreis hat er verloren.
Ein Mann in kurzen Hosen rennt schnurstracks auf Marco Wanderwitz zu und ruft wütend: "Schämen Sie sich!" Wanderwitz fragt: "Warum?" Die Antwort: "Für die ganze Politik." Der Mann will mit Wanderwitz im erzgebirgischen Limbach-Oberfrohna nicht diskutieren, ihm nur diesen Satz an den Kopf werfen. So schnell wie der Passant gekommen ist, ist er auch fast schon wieder weg. Aber auf die Panorama-Nachfrage, was denn genau das Problem sei, dann doch eine Antwort: "Wir sind 'nicht demokratiewürdig' - als wären wir bekloppt - hat er gesagt." Die Frau des Mannes fügt noch hinzu: "Und dass er sich über die Sachsen und Ostdeutschland schäme." Mit "er" ist Marco Wanderwitz gemeint.
Nicht demokratiefähig
Wanderwitz ist seit anderthalb Jahren Ostbeauftragter der Bundesregierung, und als erster in diesem Amt traute er sich, die klare Abgrenzung zur AfD auch klar auszusprechen. Zum Beispiel im Mai - kurz vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Wanderwitz wird in einem Interview gefragt, warum die AfD im Osten so stark sei. Wanderwitz spricht von erheblichen Teilen der Bevölkerung, die "gefestigte, nicht demokratische Ansichten" hätten. Die Menschen, die die AfD wählten, seien "teilweise in einer Form diktatursozialisiert, dass sie auch nach dreißig Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind". Nur ein geringer Teil der AfD-Wähler sei "potenziell rückholbar".
Schwerer Stand im Wahlkampf
Die Empörung über seine Aussagen bekam Wanderwitz an seinen Wahlkampfständen zu spüren. Einige Menschen fühlten sich von ihm beschimpft und wollten für ihre Entscheidung die AfD zu wählen, nicht von ihm kritisiert werden. Und das äußern sie lautstark, oft muss Wanderwitz hören: "Schämen Sie sich!" Als ihm ein Mann am Wahlstand das Ende der kostenlosen Coronatests vorwirft und behauptet, "die Politiker" würden Impfnebenwirkungen vertuschen, reagiert Wanderwitz mit Sprachlosigkeit. Mit Worten gebe es in solchen Situationen nichts zu gewinnen, so Wanderwitz. Das Impfen sei nur ein weiterer Baustein des Gesamtproblems, davor wäre es die Flüchtlingskrise gewesen, davor die Eurokrise. Die Parteien aus dem rechtsradikalen Spektrum sorgten dafür, dass es immer was Neues gebe, an dem man sich dann aufrichten könne in seiner Grundablehnung des Staates, der Demokratie.
"Wer eine rechtsradikale Partei wählt, ist für mich kein Demokrat - das macht ein anständiger Demokrat nicht - gerade nicht in Deutschland", beschreibt der 45-Jährige im Panorama-Interview seine Haltung. Anders als etwa Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer will Wanderwitz nicht mehr mit allen reden. "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht bei diesem ständigen Hinterherlaufen dieser lauten, lärmenden, rechtsradikal wählenden Minderheit vergessen, Politik für die zu machen, die die Mehrheit sind und die mit uns gemeinsam am guten Zukunftskonzept dieses Landes weiterbauen wollen", sagt Wanderwitz. Die Vermittlungsversuche und der Weg des Verständnisses hätten seiner Meinung nach alle nicht funktioniert. Und so hat er sich für die "Konfrontation" entschieden, was für ihn bedeute, Rechtsradikale auch als Rechtsradikale zu bezeichnen.
Das Scheitern
Am Tag nach der Wahl ist Wanderwitz geschockt wie der Rest der CDU, vor allem in Sachsen und Thüringen. Dort gewinnt die AfD etliche Direktmandate und geht in Sachsen und Thüringen als stärkste Kraft aus den Wahlen hervor, in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern landet sie auf Platz zwei. Der Kampf um die Demokratie, wie ihn Wanderwitz versteht, hat in den ostdeutschen Bundesländern damit noch mehr Schlagseite bekommen. Im Schnitt wählen im Osten prozentual mehr als doppelt so viele Menschen die AfD wie im Westen.
Wanderwitz ist wahrscheinlich sein Amt als Ostbeauftragter los, es sei denn, Armin Laschet wird doch noch Kanzler. Aber auch dann wäre es nicht sicher, dass Wanderwitz das Amt behalten würde. Verloren hat der gebürtige Karl-Marx-Städter (heute: Chemnitz) auf jeden Fall sein Direktmandat im Erzgebirge, das er zuvor fünf Mal gewonnen hatte. Diesmal aber musste sich Wanderwitz seinem schärfsten Konkurrenten, dem AfD Mann Mike Moncsek, geschlagen geben: "Es würde mich weniger ärgern, wenn das Direktmandat an die SPD gegangen wäre, auch, wenn ich auf Platz 3 gelandet wäre, aber dann hätte wenigstens ein Demokrat den Rechtsradikalen geschlagen", sagt Wanderwitz. Die Enttäuschung über die Wähler*innen ist groß. Und das, obwohl Wanderwitz über die Landesliste doch in den neuen Bundestag einzieht.
Schuldfrage
Die Verantwortung sucht so manche*r in der CDU nun auch beim Ostbeauftragten. Ministerpräsident Michael Kretschmer gibt seinem Parteikollegen Wanderwitz eine Mitschuld an dem desaströsen CDU-Ergebnis. Es hätten sich Menschen von Herrn Wanderwitz "stigmatisiert" und "angegriffen" gefühlt. Das gehöre zur Geschichte des Wahlkampfs dazu, lautet die Kritik von Kretschmer. Was folgt? Wanderwitz, bisher sächsischer Spitzenkandidat und Landesgruppenchef der CDU, wird in Zukunft die Landesgruppe der CDU Sachsen in Berlin nicht mehr anführen. Kommentieren möchte Wanderwitz diese Vorgänge nicht. Aber auf die Frage, ob er einen Fehler gemacht habe, sagt Wanderwitz selbstbewusst: "Nö!"