Zurück im Osten - Was ist in meiner Heimat los?
Schon vor der Bundestagswahl, bevor die rechtspopulistische Partei AfD mit einem zweistelligen Ergebnis ins Parlament einzieht, bin ich ratlos. Es ist Ende August, die Stimmung ist aufgeheizt. Vor allem in ostdeutschen Städten skandieren auf schön sanierten Marktplätzen Menschen ihre Parolen: "Merkel - hau ab!", "Volksverräterin", "Merkel ist eine Verbrecherin". Es sind wütende AfD-Anhänger - auch in meiner Geburtsstadt in Brandenburg an der Havel. Die Bilder von diesen aufgebrachten Menschen gehen mir nicht aus dem Kopf. Was macht sie so wütend? Warum sind sie so hasserfüllt? Und sind diese Pöbler, die so laut "Merkel hau ab" brüllen, repräsentativ für den Osten Deutschlands? Meine alte Heimat ist mir fremd geworden. Ich komme dort her, ich bin im Land Brandenburg aufgewachsen.
Nach dem Abitur in den "Westen"
Vor knapp 20 Jahren habe ich mein Heimatdorf Groß Kreutz verlassen. Ich war ein typisches DDR-Kind: Kinderkrippe, Kindergarten, Jungpionier in der Grundschule, dazu Sporterziehung im Armee-Sport-Klub. Dann kam die Wende. Neues Schulsystem - aus der EOS wurde das Gymnasium. Nur Russisch mussten wir noch weiter lernen. Ich machte das Abitur und wollte nichts wie weg, mit einem diffusen Gefühl von "im Westen habe ich bessere Chancen".
AfD in Brandenburg zweitstärkste Partei
Mit der Bundestagswahl tritt das ein, was viele befürchtet haben. Die AfD wird Teil unseres Parlaments. In Ostdeutschland wird diese Partei sogar zweitstärkste Kraft. Auch im Land Brandenburg. In meinem Heimatdorf in Groß Kreutz wählte fast jeder Fünfte diese Partei. Was ist also mit meiner alten Heimat los? Mit dem Dorf, dem es im Speckgürtel Berlins schon immer ganz gut ging, auch zu Ostzeiten. Eine Obstanbau-Region. Viel Landwirtschaft, Viehzucht. "VEG-Tierzucht" hieß es damals, heute "Rinderproduktion Berlin-Brandenburg". Circa zwei Drittel der 1.700 Einwohner haben Eigentum. Und die Arbeitslosenquote des Landkreises Potsdam Mittelmark liegt bei 4,5 % - der geringste Wert im Land Brandenburg. Ausländer gibt es hier kaum: Hakan ist akzeptiert, betreibt den obligatorischen Dönerimbiss. Und dann ist da noch ein vietnamesischer Textilladen - dort, wo früher der Konsum war. Ach und zwei italienische Restaurants. Das war es. Die nächste Flüchtlingsunterkunft ist Kilometer entfernt.
Stammtisch in der Garage
Ich fahre also zurück und besuche mein Heimatdorf. Jeden Freitagabend trifft sich mein Vater in einer Garage mit fünf Freunden zur Männerrunde. Es ist sozusagen ihre Kneipe. Diesmal darf ich ausnahmsweise dabei sein, weil ich doch noch eine von ihnen bin - Ossi, aber nicht mehr so ganz. "Du hast Dich schon in Richtung Wessi entwickelt, aber du musst ja in dieser Gesellschaftsordnung drüben im Westen Ellenbogen zeigen. Du lässt nichts raushängen, wenn du was raushängen lassen würdest, wärest du heute nicht hier", eröffnet mein Vater die Runde. Die Kategorie "West-Ost", "drüben-hier" schwingt in dieser brandenburgischen Garage immer noch mit, auch 27 Jahre nach der Wiedervereinigung.
"Seid ihr ausländerfeindlich?"
Es wird ein politischer Abend in einem kleinen Raum. Es geht um den Wahlerfolg der AfD, um empfundene Ungerechtigkeiten, um ihre Vorurteile gegenüber Flüchtlingen, um Ängste, um Sozialneid. Es ist am Ende eine Suche nach Identität. Auch für mich. Und ein Ringen um Antworten und Begrifflichkeit. "Seid ihr ausländerfeindlich?", will ich am Ende des Abends wissen. "Nein", sagen sie, "auf keinen Fall". "Ausländerabgeneigt?" Zögern. "Asylfeindlich sind wir nicht", sagt der eine. "Für die, die es brauchen." "Nicht für alle." "Für Familien." Sie reden durcheinander. "Was seid ihr dann?" frage ich. "Flüchtlingsskeptisch?"
"Ja", rufen sie fast erleichtert, "das ist der richtige Begriff".
"Aber Flüchtlingsskepsis", betonen sie, "ist kein Grund die AfD zu wählen."