DDR-Bürgerrechtler: Vom SED-Gegner zum Corona-Leugner
Sie haben Widerstand geleistet, die Diktatur gestürzt, saßen im Stasi-Knast. Niemand muss ehemaligen Bürgerrechtlern und Dissidenten die DDR erklären. Und doch ziehen einige von ihnen heute Vergleiche: Sie sehen Deutschland auf dem Weg in eine neue DDR, sind wieder in der Opposition - und die steht weit rechts.
Angelika Barbe streitet gern. "Haben Sie eine Maske?", fragt sie ein Polizist am Eingang des Bundestages. Und schon das bringt die ehemalige Bürgerrechtlerin auf die Palme. Denn eine Maske ist für Barbe so etwas wie der neue Judenstern. Das Coronavirus - so schreibt Barbe in einem offenen Brief - werde genutzt, um die Grundrechte einzuschränken. Angelika Barbe saß einst selbst im Bundestag und kommt deswegen ohne Probleme in das Gebäude. Am 18. November nutzt sie das, denn das Parlament stimmt über das neue Infektionsschutzgesetz ab. Für Barbe ein neues Ermächtigungsgesetz. Sie schreibt uns, sie sei ins Parlament gegangen, um ihren Brief zu verteilen. Politiker habe sie nicht unter Druck gesetzt.
Der CDU-Abgeordnete Martin Patzelt hat einen anderen Eindruck. Er beschreibt die Begegnung als unangenehm und nötigend. Patzelt, der selbst wie Barbe aus der DDR kommt, ärgert sich über den Brief: "Dieser feindliche, aggressive Ton, der uns unterstellt, dass wir eigentlich böse Menschen sind - mal schlicht gesagt. Das verletzt mich. Ich glaube nicht, dass das so ist."
Herzlich begrüßt wird Angelika Barbe gleich am Eingang von Rebecca Sommer. Der Frau, die kurze Zeit später Politiker und auch Wirtschaftsminister Altmaier bedrängen wird und deren Videos seitdem die Berliner Politik beschäftigen. Angelika Barbe steht nicht weit von der Kamera entfernt. Immer wieder ist ihre Stimme auf dem Video zu hören.
"Das ist unakzeptabel"
Angelika Barbe hat in der DDR die Sozialdemokratische Partei gegründet, wechselte dann später zur CDU. Heute ist sie wieder im Widerstand. Sie demonstriert regelmäßig gegen die Corona-Politik und wurde im Mai sogar festgenommen. Ein Video davon landete in den sozialen Netzwerken, ergänzt von mehreren Interviews mit Barbe. Sie schimpft: "Das ist jetzt schon wie DDR. Ich sehe keinen Unterschied mehr zwischen den Regierenden der DDR - also diesen Verbrechern - und der heutigen Regierung."
"Absoluter Mumpitz", sagt Werner Schulz. Der Grüne und ehemalige Bürgerrechtler schüttelt den Kopf als er das Video sieht. Er kennt Angelika Barbe lange. "Sie entwerten im Prinzip ihre eigene Biografie, wenn sie so etwas sagen. Wer heute sagt, es ist schlimmer als in der DDR, der kann von mir nicht mehr ernst genommen werden. Der hat entweder die DDR nicht erlebt oder hat eine derartige Verklärung im Kopf oder eine bösartige Art der Unterstellung. Das ist unakzeptabel. Absolut unakzeptabel."
Eine Reise voller Widersprüche
Werner Schulz und Angelika Barbe engagierten sich in den 80-er Jahren beim Pankower Friedenskreis, einer kirchlichen Oppositionsgruppe. Mit dabei war auch Vera Lengsfeld, die damals noch Wollenberger hieß. Sie hat eine weite Reise hinter sich, eine Reise mit vielen Widersprüchen. Sie war Mitglied in der SED, landete in den 80-er Jahren in der DDR-Opposition. Sie wurde vom eigenen Mann bespitzelt. Später verurteilt und abgeschoben. Nach der Friedlichen Revolution saß sie im Bundestag. Erst für die Grünen, dann für die CDU. Und heute zieht es auch sie nach Rechtsaußen. Sie spricht auf AfD-Veranstaltungen und ist regelmäßig zu Gast beim "Neuen Hambacher Fest". Dort wurde sie in diesem Jahr als "Corona-Leugnerin" vorgestellt und mit einem Preis für Zivilcourage ausgezeichnet. Deutschland sei besetzt, sagt Lengsfeld in ihrer Dankesrede. Besetzt von den "Politisch Korrekten". "Die heutigen Politiker sind nicht einen Deut besser als die Machthaber der DDR", sagt Vera Lengsfeld weiter. "Es ist ebenso peinlich, ihnen hinterher zu laufen."
Es dauert lange, Lengsfeld für ein Interview zu gewinnen - es wird nur wenige Minuten dauern. Lengsfeld hatte vorgeschlagen, sich an der alten Pfarrkirche in Berlin Pankow zu treffen - dem Ort des Friedenskreises. Ein Interview in der Kirche lehnt die Gemeinde aber ab. Die Wege hätten sich zu sehr auseinander entwickelt. Vera Lengsfeld kann das nicht verstehen. "Christlich finde ich es auch nicht. Ich finde das denunziatorisch", sagt sie und bricht das Interview ab.
Zerbrochene Freundschaft
Abgebrochen oder besser zerbrochen ist auch die Freundschaft zwischen Siegmar Faust und Wolf Biermann. Biermann, der wegen seiner Lieder aus der DDR ausgebürgert wurde, geht das nah. "Es tut mir weh, es ist mir auch nicht egal." Verloren hat Wolf Biermann seinen Freund, den Schriftsteller Siegmar Faust. Der saß in den Siebzigern im Cottbuser Stasiknast. Wurde isoliert und gefoltert. Biermann wollte helfen und verhandelte damals mit dem Staat, der ihn gerade rausgeworfen hatte: "Ich habe ein Brief von ihm liegen hier - wie er schreit um Hilfe. Und ich habe alles getan, was ich auch nur konnte, um ihm beizustehen." Biermann und andere haben Erfolg. Faust darf ausreisen, die Bundesrepublik kauft ihn frei.
Siegmar Faust begrüßt uns herzlich in seiner Berliner Wohnung. Er rede mit jedem, auch wenn er den Medien eigentlich nicht traut. Auch er ist wieder in der Opposition. Dabei gilt für ihn: Wenn einer weiß, was eine Diktatur ist, dann Siegmar Faust. Und doch zieht auch er heute Vergleiche. "Es häuft sich so sehr, dass Dinge passieren, die nicht demokratisch sind. Dann kommen manchmal Gefühle hoch, die man schon hatte in der Diktatur." Faust denkt, dass er nicht mehr offen und frei seine Meinung sagen darf - obwohl er genau das laut und deutlich tut. "Ich kann ihnen das auch nicht flott erklären", sagt der Freund Wolf Biermann. Er könne unterscheiden zwischen Demokratie und Diktatur. "Und er sollte es auch können. Im Grunde müsste er es besser können als ich. Er hat doch im Knast gesessen und ist gequält worden." Doch Faust regt sich auf über die Grünen, die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin, den Atomausstieg. Und vor allem: Über den Islam und Multikulti. "Ich will das nicht hier haben. Was kommt denn raus, wenn man alle Farben mischt. Das ist braun. Und das ist scheiße!"
Der Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur
Auch Faust demonstriert mittlerweile gegen die Corona-Politik. Die Frage, warum er dabei keine Maske trägt, findet er lustig. "Wenn die Querdenker aufrufen, gegen Corona zu demonstrieren, da können wir doch nicht mit Maske auftreten. Das ist doch lächerlich. Wir sind doch gegen die Masken." Faust wählt heute die AfD und sein alter Freund Biermann sagt, er könne mit ihm nicht mehr befreundet sein. Seine E-Mails landen heute ungesehen im Spam-Ordner "wie das nächste Viagra Angebot", sagt Biermann bitter. "Er war mein Freund. Und eigentlich möchte ich ihn auch nicht im Stich lassen. Aber er lässt ja mich im Stich. Und noch schlimmer: Er lässt sich selber im Stich. Er ist nicht bei sich selber. Ein Elend."
Für Angelika Barbe könnte der Besuch im Bundestag Konsequenzen haben. Der CDU-Abgeordnete Martin Patzelt wünscht sich, dass sie ihren Ausweis für das Parlamentsgebäude verliert. Das ist durchaus möglich, erklärt die Bundestagsverwaltung.