Verwirrung in der Politik: Was ist links? Was ist rechts?
Die Einordnung politischer Positionen scheint zunehmend schwer zu fallen. Taugen Begriffe wie "links" und "rechts" noch? Oder sind sie zu unbrauchbaren Schablonen geworden?
Linke Klimaaktivisten, rechte Corona-Leugner, linker "Gender-Gaga", rechte Besitzstandswahrer. In der Abgrenzung vom politischen Gegner sind die Attribute "links" und "rechts" immer noch gerne genutzt - und schnell verteilt. Doch die Einordnung der eigenen politischen Positionen, der eigenen Werte scheint zunehmend schwer zu fallen: Im beginnenden Bundestags-Wahlkampf verschwimmen die Grenzen im politischen Spektrum immer mehr: Was ist links? Was ist rechts? Und: Will man sich überhaupt bekennen? Waren früher damit noch klare politische Bekenntnisse verbunden, herrscht heute jenseits von der Beschreibung von Schreckgespenstern vor allem eines: viel Verwirrung.
Links als Label
In Berlin kämpft eine Initiative für eine klassisch linke Idee: Unter dem Slogan "Deutsche Wohnen enteignen" will sie erreichen, dass Großkonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen enteignet werden. Die Initiative hat nach eigenen Angaben mehr als 343.000 gültige Unterschriften gesammelt und damit wohl genug für einen Volksentscheid im September. Einige der Aktivistinnen und Aktivisten hier verstehen sich durchaus als links, doch die Kampagne soll nicht explizit als "linkes Projekt" gelten. Thomas, der Unterschriften sammelt, betont, es gehe um Inhalte. Die Frage, ob die Initiative und ihre Mitglieder links seien, hält er für zweitrangig. "Ich finde es wirklich schwierig zu beantworten, weil links ist meiner Meinung nach ein Label, was man am Ende aufgedrückt bekommt. Ich denke, es geht auch um Ideen und darum, dass man sich vielleicht um Leute kümmert oder um Schichten, die nicht stark repräsentiert sind." Ist SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz ein Linker? Nein, sagen hier viele. Seine Handlungen und Überzeugungen widersprächen in vielem dem, was links sei. Gleichzeitig will man sich selbst hier nicht zu sehr in die "linke Ecke" rücken lassen, die Initiative soll alle ansprechen.
Die CDU auf der Suche
Keine klare Verortung im politischen Spektrum, damit sich niemand abwendet? Das scheint auch bei der CDU in Mecklenburg-Vorpommern die Devise. Hier steht parallel zur Bundestagswahl auch die Landtagswahl an, beim letzten Urnengang in Mecklenburg-Vorpommern war die AfD stärker als die CDU. Muss die CDU also wieder versuchen, rechts der Mitte Stimmen zu gewinnen? So richtig darüber reden wollen sie hier nicht. "Ich lasse mich jetzt auf keinen Fall auf diese Diskussion rechts oder links ein. Ich kann Ihnen aber sagen, es hat sich tatsächlich unser Wertegerüst verschoben. Da gibt es überhaupt gar keine Frage", sagt Sascha Ott, der stellvertretende Vorsitzende der CDU in Mecklenburg-Vorpommern. Nach 16 Jahren Merkel-Kanzlerschaft sehen einige in der CDU die Partei nach links gerückt: Die Abschaffung der Wehrpflicht, das Ende der Kernenergie, die Flüchtlingspolitik 2015. Klassisch im rechten Spektrum verortet, das war einmal.
Konservativ oder Rechts?
Peter Flaske ist CDU-Mitglied und sagt, "dass Angela Merkel zumindest die Partei inhaltlich entkernt hat." Der 23-Jährige Medizinstudent ist Landesvorsitzender des "Ring Christlich-Demokratischer Studenten" (RCDS) in Sachsen, einer erzkonservativen Hochschulgruppe, die der CDU nahesteht. "Das war natürlich auch immer ein Stück weit im Zusammenspiel mit den Koalitionspartnern", sagt Flaske. Aber aus seiner Sicht sei die CDU in den vergangenen Regierungsjahren immer weiter nach links gedriftet. Was sie verbinde, seien Grundprinzipien wie zum Beispiel das Leistungsprinzip, weil "wir auch wollen, dass Menschen selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen". Vor allem das Gendern in der Sprache lehnen sie strikt ab, und natürlich seien sie "uneingeschränkte Patrioten", so Flaske. "Wir lieben unser Land und wir sind stolz darauf, Deutsche zu sein." Trotzdem legen auch sie Wert darauf, sich von dem historisch belasteten Begriff "rechts" abzugrenzen - auch hier begreift man sich als "Mitte" oder vielleicht noch "Mitte-rechts".
Komplizierte Realität
Die Grenzen zwischen links und rechts, sie verschwimmen. Auf einer Demonstration der sogenannten "Querdenker" in Hannover zeigt sich, wie kompliziert die Realität geworden ist. Auf der Bühne werden die Corona-Impfungen verteufelt und der angebliche "Verbrecherstaat" angeprangert. Ein Teilnehmer behauptet, der Begriff "Verschwörungstheorie" sei von der CIA erfunden worden. Ein anderer Demonstrant glaubt, "2011 hat Obama persönlich den Auftrag gegeben, dieses Virus zu produzieren im Labor."
Wo im politischen Spektrum verorten sich die hier Anwesenden selbst? "Eher Mitte, Mitte grün, bisschen mit linken Ansätzen. Im Grunde bin ich in der Geflüchteten-Hilfe aktiv, schon seit Jahren", erklärt eine Demonstrantin. Ein weiterer Teilnehmer sagt, er sei eher links; linke Werte seien für ihn, "dass man einfach als Gesellschaft mehr zusammenrückt, dass man als Gesellschaft in Gänze auch das zum Beispiel aushält, wenn hier mal ein paar Rechte rumrennen, dann rennen die hier halt rum. Aber man kümmert sich halt nicht mehr darum."
Die beiden sind nicht die Einzigen, die eine links-grüne Vergangenheit haben und sich nun in der Mitte der Gesellschaft wähnen. Gleichzeitig sehen sie "mächtige Eliten am Werk", die die Pandemie geplant hätten. Politische Gegensätze vermischen sich.
"'Links' steht nicht mehr für linke Politik"
Im Bundestag ist zumindest die Sitzordnung klar. Sie geht noch auf das Schema nach der Französischen Revolution zurück - auf der Linken die Revolutionäre, auf der anderen die Besitzstandswahrer. Und heute: Rechts sitzt die AfD, links die Linkspartei. Aber weiß man hier wenigstens, welche Inhalte links und rechts füllen? Oder sind alle in der "Mitte", um weniger als drei Monate vor der Bundestagswahl keine potenziellen Wählerinnen und Wähler abzuschrecken? Selbst bei der Partei, die den Begriff "links" im Namen trägt, scheint man sich nicht mehr so sicher zu sein, was es heißt, "links" zu sein: Auslöser ist das Buch der langjährigen Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht: Als "Die Selbstgerechten" sieht sie sogenannte "Lifestyle-Linke". Mit Gender-, Klima- oder Biolebensmittel-Debatten hätten sie traditionelle Wähler mit geringen Einkommen verprellt. "Das Traurige ist eben, dass der Begriff links so sinnentleert ist und dass er eben nicht mehr für das steht, was linke Politik ist", so Wagenknecht. Viele Bürger, die sich an sie wenden, würden links mit Arroganz, Überheblichkeit und Bevormundung verbinden. Mehrere Mitglieder der Linkspartei forderten Wagenknechts Parteiausschluss.
Doch auch andere Parteien ringen um die eigene Position im politischen Spektrum. Kaum jemand bekennt sich zu links oder rechts. Taugen die Begriffe noch? Oder sind sie zu unbrauchbaren Schablonen geworden? Vielleicht noch nicht ganz. Hans-Jürgen Irmer, Bundestagsabgeordneter von der CDU, hat eine klare Position: "Ich bin natürlich bekennender Konservativer. Damit bin ich im politischen Spektrum rechts. Nur die Frage ist eben: Was wird heute als rechts definiert? In dem Moment, wo Sie konservative Positionen vertreten, laufen Sie ja automatisch Gefahr, als Rechtsextremer diskreditiert zu werden, weil sich die Maßstäbe verschoben haben und die Toleranzschwelle Andersdenkenden gegenüber relativ stark gesunken ist. Das ist schade für den politischen Diskurs."
Für Katja Kipping von den Linken könnten die Begriffe bald wieder an Trennschärfe gewinnen. Dafür sorgen ihrer Meinung nach Corona und die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie: "Spätestens nach den Bundestagswahlen steht die große Frage im Raum, wer muss für diese Kosten aufkommen? Entweder die Millionäre durch eine einmalige Millionärsabgabe oder eben viele gemeinsam, weil es Kürzungen im Sozialen, in den Kommunen und in der Kultur gibt. Das ist eine ganz klassische Links-Rechts-Auseinandersetzung."