Sendedatum: 13.06.2019 21:45 Uhr

SPD: Schuld sind immer nur die Chefs

von Robert Bongen, Johannes Edelhoff, Pia Lenz und Christoph Lütgert

"Die SPD hat jeden Grund, über ihre Inhalte und nicht über ihre Personalien zu reden", sagt ein SPD Minister. Eine klassische Durchhalteparole. Mitglieder an der Basis klingen da schon verzweifelter: "Ich habe so eine Krise noch nicht erlebt", klagt ein Genosse des Ortvereins Dortmund-Scharnhorst. Die Angst vor dem nächsten Wahlkampf ist spürbar. "Was sage ich denen denn am Markt, wenn sie nachfragen?", will eine Genossin von ihrem Ortsverein wissen. "Hole ich Themen raus oder sage ich meine Meinung? Und sage: 'Ja, ich bin damit auch nicht einverstanden!'"

VIDEO: SPD: Schuld sind immer nur die Chefs (8 Min)

Heute wie damals: Tiefpunkt äußerst aktuell

Diese Statements sind elf Jahre alt, klingen aber seltsam aktuell. Die Interviews führte Panorama-Reporter Christoph Lütgert Mitte 2008, kurz bevor Kurt Beck vom SPD- Parteivorsitz zurücktrat. Darauf folgten: Frank-Walter Steinmeier, Franz Müntefering, Sigmar Gabriel, Martin Schulz, Olaf Scholz und Andrea Nahles. Keiner konnte die SPD auf Kurs bringen.

Oben Lärm, unten Jammern - Lütgert beobachtete damals eine SPD, die am Tiefpunkt schien. "Ein schwacher Parteivorsitzender. Und eine zerrissene Partei, die mal kraftvolle Volkspartei war", so sein Befund von damals. 2008 lag die SPD in den Umfragen bei 23 bis 25 Prozent. "Wir sind in einer schwierigen Lage, die muss man bewältigen", sagte ihm Peer Steinbrück, damals Finanzminister, ins Mikro, aber es gehe "sicher bergauf".

Weitere Informationen
Hans-Eberhard Urbaniak © NDR Foto: Screenshot
2 Min

Urbaniak: "Mehr Richtung Basis orientieren. Da ist der Kern!"

Hans-Eberhard Urbaniak (90) ist ein Urgestein der SPD, saß 32 Jahre im Bundestag. Heute wirft er der Partei vor, dass man sich nicht mehr um die Leute vor Ort kümmere, abgehobene Politik mache. 2 Min

Mehrere Stapel mit Parteibüchern der SPD. © dpa-Bildfunk Foto: Michael Kappeler

Oben Lärm und unten Jammer - Reise ins Tal der SPD

Die SPD ist in der Krise - ein Umfragetief jagt das nächste. Doch wie schlimm ist der Zustand der SPD und wie ist die ehemals große Volkspartei noch zu retten? mehr

Der ewige Niedergang der SPD

Ging es aber nicht. Es ging bergab. Bei der letzten Bundestagswahl lag die SPD bei 20,5 Prozent, bei der Europawahl nur noch bei 15,6 Prozent. Und in den jüngsten Umfragen fiel die Partei sogar auf nur noch zwölf Prozent. "Das ist ja wie Fliesssand", kommentiert Lütgert, der als Journalist die SPD seit fast einem halben Jahrhundert beobachtet und die großen Zeiten miterlebt hat, die Kanzler Brandt und Schmidt, absolute Mehrheiten.

Die SPD wirkt wie ein chronisch Kranker. Seit Jahren quält die Partei die Frage: liegt die Krise am schlechten Spitzenpersonal, den Themen oder fehlen gar die potentiellen Wähler?

Weitere Informationen
Ein SPD-Luftballon vor dunklem Himmel. © imago Foto: Thomas Koehler

Die (Selbst-)Zerstörung der SPD

Die SPD steckt in einer der tiefsten Führungskrisen, den Umgang der Genoss*innen findet Christoph Lütgert beschämend. Denn die einst so stolze Volkspartei zerfleischt sich selbst. mehr

Erneute Spurensuche

Für Panorama begibt sich Christoph Lütgert noch einmal auf Spurensuche, wie im Jahr 2008, als von der schlimmsten Krise aller Zeiten die Rede war. Nur wird diese Krise seit elf Jahren behandelt, doch statt einer Besserung tritt immer nur eine Verschlimmerung ein. Hat man die falschen Diagnosen gestellt? Was genau ist schief gelaufen?

Lütgert trifft die Dortmunder SPD-Mitglieder aus seinem Film vor elf Jahren wieder, trifft Steinbrück, trifft SPD-Bundestagsabgeordnete. Fragt nach, warum es nicht besser werde, ob man sich in den Wahlanalysen Jahr für Jahr geirrt habe. Gibt es noch eine Zukunft? Und wenn ja welche? "Wir sind nicht solidarisch mit Führungspersonal umgegangen, wir haben unsere Probleme immer an Führungspersonen festgemacht, aber nie erkannt, dass es auch etwas mit unseren Strukturen, mit unserer Politik zu tun hat", sagt ihm der langjährige SPD-Fraktionsschef im Bundestag, Thomas Oppermann, gnadenlos ehrlich. "Die SPD kommt jetzt tatsächlich an eine kritische Grenze. Ich glaube aber, dass wir den eindeutigen Trend zur Kleinpartei noch stoppen und umkehren können. Aber dann müssen wir uns besinnen auf unsere eigenen Kräfte. Und auf unsere Stärken. Und wenn wir das jetzt nicht schaffen, dann werden wir der historischen Verantwortung, die älteste demokratische Partei Deutschlands und Europas für die Zukunft zu erhalten, nicht gerecht."

 

Weitere Informationen
Thomas Oppermann © NDR Foto: Screenshot
4 Min

Oppermann: "Trend zur Kleinpartei stoppen"

Thomas Oppermann, Vizepräsident des Deutschen Bundestages, sieht die SPD an einer "kritischen Grenze". Die Partei habe einen Personal- und Mentalitätswandel vor sich. 4 Min

Achim Post © NDR Foto: Screenshot
6 Min

Post: "Steht nicht im Grundgesetz, dass die SPD 30 Prozent kriegt"

Achim Post, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion wünscht sich mehr inhaltliche Diskussion - unter anderem über ein neues Grundsatzprogramm. 6 Min

Martin Schulz spricht auf der Wahlparty der SPD am 24. September 2017 in Berlin © Kay Nietfeld / dpa Foto: Kay Nietfeld

SPD: Nicht Schulz ist das Problem, sondern Nahles...

Was ist bloß los mit der SPD, fragt sich Panorama-Autor Ben Bolz. Die einst so stolze Volkspartei macht sich immer kleiner - und setzt auf eine Altbekannte statt auf einen Neuanfang. mehr

Landesparteitag der SPD Baden-Württemberg © picture alliance / Franziska Kraufmann Foto: Franziska Kraufmann

SPD: Soziale Gerechtigkeit, aber bitte nicht konkret!

Heute im Bundestag stimmte die SPD gegen die Abschaffung der "sachgrundlosen Befristung". Komisch, denn im eigenen Wahlprogramm fordert sie genau das Gegenteil: deren Abschaffung. mehr

Hannelore Kraft und Martin Schulz

SPD: Die Bilanz von Hannelore Kraft

SPD-Hoffnungsträger Martin Schulz verspricht vor allem eins: Gerechtigkeit. Damit machte Hannelore Kraft schon 2012 Wahlkampf. Doch wie fällt die Bilanz ihrer Regierung aus? mehr

Ulla Schmidt © NDR Foto: Screenshot
4 Min

Schmidt: "Es gibt Parteien, die haben nur das Klima"

Die ehemalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt glaubt weiter an die Notwendigkeit von Volksparteien. Die "Botschaft der SPD" sei immer noch die soziale Gerechtigkeit. 4 Min

Downloads

SPD: Schuld sind immer nur die Chefs

Der Panorama-Beitrag vom 13. Juni 2019 als PDF-Dokument zum Download. Download (154 KB)

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 13.06.2019 | 21:45 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

SPD

Es fehlt etwas?

Computertastatur © picture-alliance Foto: Christian Ohde

Kontakt zur Redaktion

Sie vermissen einen Beitrag oder ein Video ist nicht abspielbar? Schreiben Sie uns, wir kümmern uns darum. mehr

Weitere Informationen

Kalender © Fotolia.com Foto: Barmaliejus

Panorama-Geschichte

Als erstes politisches Fernsehmagazin ging Panorama am 4. Juni 1961 auf Sendung. Die Geschichte von Panorama ist auch eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. mehr

Anja Reschke © Thomas & Thomas Foto: Thomas Lueders

60 Jahre Panorama

60 Jahre investigativ - unbequem - unabhängig: Panorama ist das älteste Politik-Magazin im deutschen Fernsehen. mehr

Panorama 60 Jahre: Ein Mann steht hinter einer Kamera, dazu der Schriftzug "Panorama" © NDR/ARD Foto: Screenshot

Panorama History Channel

Beiträge nach Themen sortiert und von der Redaktion kuratiert: Der direkte Einstieg in 60 Jahre politische Geschichte. mehr