Sendedatum: 13.06.2019 21:45 Uhr

Die (Selbst-)Zerstörung der SPD

von Christoph Lütgert
Ein SPD-Luftballon vor dunklem Himmel. © imago Foto: Thomas Koehler
Weit und breit niemand in Sicht, die/der die Partei aus der Misere führen und zugleich begeistern, überzeugen, einigen könnte.

Auch der längst überfällige Rücktritt von Andrea Nahles wird den Niedergang der SPD nicht mehr abbremsen. Für die "Zerstörung der CDU" musste noch der Youtuber Rezo ran. Die SPD macht’s bei sich selbst - mit unüberbietbarer Entschlossenheit und Perfektion. Die neuste Forsa-Umfrage gibt ihr nur noch 12 Prozent.

Bei der Europa-Wahl vor gerade mal einer Woche hatte die SPD es noch auf 15 Prozent gebracht. Statt konzentriert, konstruktiv und diszipliniert nach den Ursachen für den Absturz zu suchen und zu fragen, wie sich die Erosion der einstmals stolzen Volkspartei stoppen lässt, übten sich die Sozialdemokraten wieder nur in Selbstbespiegelung und Selbstzerfleischung. Der Wähler ist längst aus dem Blick geraten.

Wie die Genoss*innen mit ihrer Chefin umgingen… Zum Schluss konnte Andrea Nahles einem fast schon leidtun, obwohl sie wahrscheinlich gar kein Mitleid verdient hat. Bei ihrem viel zu lange unaufhaltsamen Aufstieg hatte sie immer wieder kaltes Machtkalkül und gierigen Machthunger offenbart. Da musste der Sturz dann auch "eingepreist" sein.

Solidarisches Fremdschämen

Die Führungsfigur der einstmals großen und großartigen Sozialdemokratie sollte nach Möglichkeit Charisma und Empathie haben, sollte überzeugende Botschaften vermitteln. An allem hatte es Andrea Nahles gefehlt - von Anfang an. Deshalb war es nüchtern betrachtet unverständlich, dass die Parteitagsdelegierten sie überhaupt zu ihrer ersten Frau machten. Nahles‘ Leistungen als Ministerin konnten sich sehen lassen, aber bei öffentlichen Auftritten hatte sie auch schon vor ihrer Wahl zur Vorsitzenden sich lächerlich gemacht - bis zur Peinlichkeit. Unvergessen ihr atonales Pippi-Langstrumpf-Gesinge im Bundestag. Da musste der SPD das Gefühl des solidarischen Fremdschämens kommen. Die Genossen allesamt oder zum größten Teil sind an dem Untergang ihrer Partei mitschuld. Denn wie sich Andrea Nahles unmittelbar nach dem blamablen Abgang des hoffnungslosen Hoffnungsträgers Martin Schulz im Handstreich und unter Missachtung aller Partei-Gremien und -Regularien an die Parteispitze putschen wollte; - spätestens da hätte die SPD ihr noch Einhalt gebieten können und müssen. Hat sie aber nicht. Mit der offenkundigen Lust am Untergang hob sie Andrea Nahles auf den Schild, und die zeigte ganz schnell und dann auch wiederholt, dass sie es einfach nicht konnte. Beispielsweise, als sie der Beförderung des unhaltbaren Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen zum Staatssekretär zustimmen wollte. Sie wurde durch einen Aufstand der Basis gestoppt. Aber da war es schon zu spät.

Weitere Informationen
Die Buchstaben SPD auf einer Bühne werden zugedeckt. © picture alliance / NurPhoto Foto: Omer Messinger

SPD: Schuld sind immer nur die Chefs

Seit Jahren scheint es bei der SPD nur eine Richtung zu geben: bergab. Liegt die Krise am schlechten Spitzenpersonal oder den Themen? Was läuft schief bei der ehemals großen Volkspartei? mehr

Schulz - Beschleuniger des Niedergangs

Vielleicht noch hoffnungsloser als der Blick zurück der Blick nach vorn. Weit und breit keine Genossin, kein Genosse in Sicht, die/der die Partei aus der Misere führen und zugleich begeistern, überzeugen, einigen könnte. Geradezu blamabel, dass Martin Schulz schon wieder im Gerede ist. Der Mann mit dem dröhnenden Pathos, der nach der bislang letzten verlorenen Bundestagswahl zur Inkarnation des Wortbruchs wurde und damit den demokratie-schädlichen Politiker-Verdruss im Wahlvolk steigerte. Erst schloss er den Gang in die Groko aus, dann wollte er doch; dann wollte er keinesfalls Minister werden, kurz darauf aber gleich Außenminister. Schulz der Beschleuniger des Niedergangs und jetzt vielleicht dessen Profiteur - man kann es auch übertreiben… in dieser SPD möglicherweise aber auch nicht mehr.

Und dass sich Finanzminister Olaf Scholz jetzt bei seinen Genossen mit dem Versprechen anbiedert, die SPD werde nach der nächsten Bundestagswahl keinesfalls mehr in eine Große Koalition gehen… Ja, warum hat er nicht schon früher kapiert, dass die Groko für die Sozialdemokraten seit langem schädlich ist - toxisch bis zum Exitus. Und jetzt ist dieser Exitus verdammt nah.

Der Kommentar erschien zuerst auf Blog der Republik.

 

Weitere Informationen
Martin Schulz spricht auf der Wahlparty der SPD am 24. September 2017 in Berlin © Kay Nietfeld / dpa Foto: Kay Nietfeld

SPD: Nicht Schulz ist das Problem, sondern Nahles...

Was ist bloß los mit der SPD, fragt sich Panorama-Autor Ben Bolz. Die einst so stolze Volkspartei macht sich immer kleiner - und setzt auf eine Altbekannte statt auf einen Neuanfang. mehr

Landesparteitag der SPD Baden-Württemberg © picture alliance / Franziska Kraufmann Foto: Franziska Kraufmann

SPD: Soziale Gerechtigkeit, aber bitte nicht konkret!

Heute im Bundestag stimmte die SPD gegen die Abschaffung der "sachgrundlosen Befristung". Komisch, denn im eigenen Wahlprogramm fordert sie genau das Gegenteil: deren Abschaffung. mehr

Wahlplakate der CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Norbert Röttgen und der SPD mit Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. © dpa-Bildfunk Foto: Martin Gerten dpa/lnw

NRW-Wahl: Alle wollen sparen, keiner sagt wo

Es ist das beherrschende Wahlkampfthema in Nordrhein-Westfalen: Wie kann man den Haushalt konsolidieren und wo muss gespart werden? mehr

Hannelore Kraft und Martin Schulz

SPD: Die Bilanz von Hannelore Kraft

SPD-Hoffnungsträger Martin Schulz verspricht vor allem eins: Gerechtigkeit. Damit machte Hannelore Kraft schon 2012 Wahlkampf. Doch wie fällt die Bilanz ihrer Regierung aus? mehr

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 13.06.2019 | 21:45 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

SPD

Panorama 60 Jahre: Ein Mann steht hinter einer Kamera, dazu der Schriftzug "Panorama" © NDR/ARD Foto: Screenshot

Das Panorama-Archiv

Alle Panorama-Beiträge seit 1961: Stöbern im Archiv nach Jahreszahlen oder mit der Suchfunktion. mehr

Kalender © Fotolia.com Foto: Barmaliejus

Panorama-Geschichte

Als erstes politisches Fernsehmagazin ging Panorama am 4. Juni 1961 auf Sendung. Die Geschichte von Panorama ist auch eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. mehr