Bildcollage aus einer Demonstration von Fridasy for Future und rauchenden Kraftwerksschornsteinen

Fridays for Future: Angriff auf die Freiheit?

Stand: 10.10.2019 12:19 Uhr

Freiheit oder Zukunft, Liberalismus gegen Fridays for Future - das "Klimapaket" ist ein Kompromiss aus denkbar gegensätzlichen Positionen. Panorama lässt beide zu Wort kommen.

von Stefan Buchen

Wieviel Klimapolitik ist möglich, ohne die Mehrheit zu verlieren? Wieviel Klimapolitik ist nötig, um die Aufheizung der Erde zu bremsen? Mit diesen Fragen quält sich die große Koalition. Herausgekommen ist bekanntlich das von Vorsicht gekennzeichnete "Klimapaket". So einschneidend werden die Veränderungen nicht sein, und sie werden langsam und allmählich kommen. "Disruption", das ist ein Begriff für intellektuelle Spielereien. Aus dem realen politischen Leben soll er herausgehalten werden, signalisiert die Bundesregierung.

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Das Klimapaket ist ein Kompromiss, in einem tieferen Sinn als dem alltäglich politischen. Genau darin könnte seine Verwundbarkeit liegen. Denn: Ist es glaubwürdig, dass jemand den Weckruf der Jugend hört und gleichzeitig beschließt, den Liter Benzin um der Klimarettung willen nur drei Cent teurer zu machen? Die Regierung lässt erkennen, wie stark gegensätzliche gesellschaftliche Kräfte an ihr zerren.

"Die zentrale Frage unserer Generation ist eine existenzielle"

Linus Steinmetz, Gymnasiast aus Göttingen
"Das ist eigentlich der Inbegriff der Demokratie, wenn wir sagen, wir gehen auf die Straße, wenn uns etwas nicht gefällt. Wir fordern die Politik auf, etwas zu verändern", sagt Linus Steinmetz, Gymnasiast aus Göttingen.

Panorama hat zwei prägnante Stimmen dieser entgegengesetzten Kräfte ausführlich zu Wort kommen lassen. Der eine musste uns, damit wir ein Interview mit ihm aufzeichnen können, zunächst das schriftliche Einverständnis seiner Eltern vorlegen, weil er erst 15 Jahre alt ist: Linus Steinmetz, Gymnasiast aus Göttingen. Er steht bei Fridays for Future in der vordersten Reihe. "Die zentrale Frage unserer Generation ist eine existenzielle," sagt der Schüler - und klingt dabei ein bisschen wie ein Lehrer. "Wir fragen uns, was getan werden muss, damit wir überhaupt eine Zukunft haben können." Linus Steinmetz fordert von der Politik ein robustes Eingreifen, damit die Treibhausgasemissionen sinken. Denn sonst drohe ein "dauerhafter Krisenzustand."

"Freiheit ist das Wichtigste"

Sein Kontrahent Ulf Poschardt fürchtet um die Freiheit. Nichts weniger als diese stehe in der Klimadebatte auf dem Spiel. Das sei besorgniserregend, denn "Freiheit ist das Wichtigste," wie er im Interview mit Panorama betont. Ulf Poschardt ist Chefredakteur der "WELT-Gruppe". In der Zeitung, die zum Axel-Springer-Konzern und damit neuerdings zu großen Teilen dem US-amerikanischen Investor KKR gehört, schreibt er regelmäßig über Klimapolitik und die Proteste von Fridays for Future. Dabei nimmt Poschardt einen kritischen Blickwinkel ein. "Bei unseren Lesern kommt das gut an," berichtet der Publizist.

Ulf Poschardt, Chefredakteur "WELT-Gruppe"
"Da bricht sich etwas Bahn, was ein typisch deutscher antiwestlicher Antifreiheitsreflex ist." Den Klimaaktivisten gehe es darum, die Menschen umzuerziehen, meint Ulf Poschardt, Chefredakteur der "WELT-Gruppe".

Der Protestbewegung wirft er vor, das neueste Update eines in der deutschen Gesellschaft latent vorhandenen autoritären Reflexes zu sein. "Im Augenblick haben wir - angeregt durch ein paar dramatische Zahlen bei der Klimadiskussion - das Gefühl, dass man jetzt einmal mehr so eine Chance hat, den Alltag der Menschen neu zu regulieren. Es ist aber nur die neueste Fassade eines grundsätzlichen Freiheitsekels, wie es ihn in Deutschland gibt," erklärt Poschardt. Den Warnern vor der Klimakrise gehe es darum, die Menschen umzuerziehen. Die Jugendlichen von Fridays for Future liefen Gefahr, von "ergrauten" linken Kräften instrumentalisiert zu werden. "Da bricht sich etwas Bahn, was ein typisch deutscher antiwestlicher Antifreiheitsreflex ist", so Poschardt. Dahinter steckten "dieselben Leute, die vor vierzig Jahren den Kommunismus als Studentenbewegung einführen wollten oder vor siebzig Jahren irgendwie was ganz anderes wollten. Das ist eine Konstante deutschen Denkens. Und wir stellen uns dem halt entgegen."

"Der Inbegriff der Demokratie"

Als Marionette altlinker Kräfte sieht sich der 15-jährige Gymnasiast Linus Steinmetz nicht. "Das Bild von freien Menschen, die mündig sind und fähig, innerhalb dieser Demokratie zu handeln, wird uns irgendwie abgesprochen", sagt der Schüler. "Uns wird gesagt: 'Ihr werdet beeinflusst'". Das sei für ihn nicht akzeptabel. "Das ist eigentlich der Inbegriff der Demokratie, wenn wir sagen, wir gehen auf die Straße, wenn uns etwas nicht gefällt. Wir fordern die Politik, also unsere Entscheidungsträger auf, etwas zu verändern. Für mich ist das höchst demokratisch."

Es gehe darum, jetzt auf die Klimakrise zu reagieren, um Freiheiten, die der einzelne jetzt habe, auch für die Zukunft zu bewahren. An die Adresse von Kritikern wie Ulf Poschardt sagt der Klima-Aktivist: "Wir als jugendliche Bewegung werden da nicht verstanden. Und es ist auch ganz klar, dass wir auch nicht verstanden werden sollen oder man uns nicht verstehen will."

Handeln müsse das mündige Individuum

Zeitungsmann Ulf Poschardt bestreitet den menschengemachten Klimawandel nicht. Er will sich nicht vorwerfen lassen, die Ängste der jugendlichen Demonstranten nicht ernst zu nehmen. Aber handeln müssten der Einzelne und die Wirtschaft, nicht der Staat. "Gespenstisch" sei es, wenn in der allgemeinen "Klima-Erregung" nun alle "verbotsgeil" würden. "Jeder hat verstanden, dass sich die Dinge ändern müssen. Ich kenne keinen Verantwortlichen in der mittelständischen Wirtschaft oder in großen Dax-Unternehmen, der nicht kapiert hat, dass es anders werden muss", sagt Poschardt.

Dem hält der Schüler Steinmetz entgegen, dass die Unternehmen, die viele Treibhausgase verursachen, in den vergangenen zwanzig Jahren von alleine nicht gehandelt hätten. Dabei seien die Fakten hinsichtlich der globalen Klimaveränderungen "schon alle bekannt" gewesen. "Wenn man die Prämisse akzeptieren würde, dass die Unternehmen von alleine verstehen, was sie zu tun hätten und was jetzt genau passieren muss, dann müsste ich mich fragen, wieso denn gerade jetzt noch nichts passiert."

Klimapaket: nicht ausreichend oder zu viele Verbote?

Die im "Klimapaket" der Bundesregierung vorgeschlagenen Eingriffe wie etwa ein allmählich steigender CO2-Preis und ein Ausstieg aus der Verstromung von Braunkohle erst im Jahre 2038 halten die Jugendlichen von Fridays for Future nicht für ausreichend.

Die Idee, dass Verbrauch, Konsum und Ausstoß von Treibhausgasen abnehmen müssen, findet Blattmacher Ulf Poschardt richtig. Aber er wäre eben kein respektabler Vertreter der liberalen Bürgerlichkeit, wenn er dabei nicht auf das mündige Individuum vertrauen würde. Regelmäßig plädiert er dafür, langlebige Produkte zu kaufen, die man nicht wegwirft, wie etwa einen Porsche oder eine Rolex-Uhr. "Firmen wie Hermès und Louis Vuitton produzieren für die Ewigkeit", schrieb Ulf Poschardt in einem Essay. Ohne bewussten Genuss sei Konsum sinnlos.

Die in solchen Appellen zu Tage tretende Freiheit von Ironie ist vielleicht eine Gemeinsamkeit, die Ulf Poschardt mit den Klima-Aktivisten von Fridays for Future teilt. Denn die schmunzeln ja auch nicht, wenn sie sagen, dass die freiheitliche Existenz auf Erden von naturwissenschaftlichen Voraussetzungen zehrt, auf die wir selbst Einfluss haben.

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Der Panorama-Beitrag vom 10. Oktober 2019 als PDF-Dokument zum Download. Download (75 KB)

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 10.10.2019 | 21:45 Uhr

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