Osnabrück am Abgrund - Der VfL braucht mal wieder ein Wunder
Kaputtes Stadion, ständige Trainer- und Manager-Wechsel, Tabellenschlusslicht der Dritten Liga: Für den VfL Osnabrück ist das Jahr des 125. Geburtstags zu einer Katastrophe verkommen. Die Niedersachsen erleben einen Niedergang, der ohne ein Fußball-Wunder im erstmaligen Absturz in die Viertklassigkeit münden dürfte.
Gerade einmal anderthalb Jahre ist es her, da fiel die Bremer Brücke beinahe auseinander. Am letzten Spieltag der Drittliga-Saison 2022/2023 feierten die "Lila-Weißen" gegen Borussia Dortmund II dank zweier Tore tief in der Nachspielzeit den gleichermaßen sensationellen wie dramatischen Zweitliga-Aufstieg.
Die Bilder, die es im Mai 2023 anschließend im Stadion des VfL Osnabrück und in der Stadt zu sehen gab, werden sich jedem, der es mit den Niedersachsen hält, auf ewig ins Gedächtnis eingebrannt haben - und auch denjenigen, die es nicht tun. Zu historisch, ja fast unwirklich waren die Eindrücke dieses Last-Second-Aufstiegs, als dass man an ihnen vorbeigekommen wäre. Der Aufstieg war ein weiteres Kapitel in der langen Geschichte des "Mythos Bremer Brücke" - und dieses stolzen Clubs.
Marode Bremer Brücke als Symbol des VfL-Absturzes
Nun, 18 Monate später, im Jahr des 125. Geburtstags, droht die Bremer Brücke wieder auseinanderzufallen. Baulich - vor allem aber im übertragenen Sinne. Denn der VfL Osnabrück als Ganzes gleicht im Dezember 2024 einer einzigen Baustelle. Das Stadion ist nur das Symbol, dass der Mythos marode ist. Gejubelt wird hier nur noch, wenn man Gegner ist.
Denn seit jenem Tag Ende Mai 2023 haben sich die Niedersachsen in eine Abwärtsspirale begeben, die den erstmaligen Absturz des VfL in die Viertklassigkeit wahrscheinlich macht.
Hohe Fluktuation in der Führung
Und tatsächlich hat der drohende abermalige Abstieg seine Wurzeln auch im damaligen Aufstieg. Nach dem Gang in Deutschlands zweithöchste Spielklasse verließen in Omar Traore, Sven Köhler und Ba-Muaka Simakala drei wichtige Leistungsträger den Verein - Abgänge, die Osnabrück nicht ansatzweise kompensieren konnte.
Der junge Aufstiegstrainer Tobias Schweinsteiger musste gehen, Routinier Uwe Koschinat kam, besser wurde es nicht. Im Februar schied auch der damalige Sportchef Amir Shapourzadeh, mittlerweile bei Liga- und Nordkonkurrent Hansa Rostock, aus.
Der zuständige Beirat, der überwiegend aus dem Vorstand des VfL besteht, beauftragte eine Agentur mit der Suche nach einem Sport-Geschäftsführer. Tiefergehende Kenntnisse der deutschen zweiten und dritten deutschen Fußball-Ligen waren offensichtlich nicht Teil der Ausschreibung. Denn den Zuschlag für diesen mit weitreichenden Befugnissen ausgestatteten Posten erhielt im März der Schweizer Philipp Kaufmann - zuvor als Kaderplaner und Technischer Direktor beim FC Basel aktiv.
Schleppende Stadionsanierung in Osnabrück
Doch auch der 30-Jährige konnte den direkten Wiederabstieg nicht verhindern, der zudem von der Einsturzgefahr eines Tribünendachs im April begleitet wurde. Das Dach über der Ostkurve, der Heimat der VfL-Fanszene, ist zwar mittlerweile entfernt, das Stadion aber weiterhin extrem sanierungsbedürftig.
Ein erster Kostenplan weist weit über 60 Millionen für die nötigen Maßnahmen in den Bereichen Ost- und Westkurve sowie an der Südtribüne aus. Zumindest die Planungskosten sind seitens der Stadt Osnabrück freigegeben, ein endgültiger Beschluss für die Umsetzung dieser angestrebten Sanierung seitens des Osnabrücker Stadtrates wird im September 2025 erwartet.
Trainer kommen und gehen, die Probleme bleiben
So lange sich dieser Prozess zieht, so lange hatten die Verantwortlichen des VfL, sportlich betrachtet, in der zurückliegenden Saison Zeit, sich auf den Abstieg - passenderweise aufgrund der Einsturzgefahr an der Bremer Brücke vor leeren Rängen am Hamburger Millerntor - und die aktuelle Spielzeit in der 3. Liga vorzubereiten.
Der ambitionierte Ansatz aber, mit Ballbesitz-Fußball in die Drittliga-Spielzeit zu starten, schlug kapital fehl. Trainer Koschinat war immer wieder gezwungen, Spieler positionsfremd einzusetzen - auch, weil einige der Neuzugänge erst sehr spät zum Kader stießen. Nach nur einem Sieg aus sechs Partien schasste der VfL Koschinat und verpflichtete im 41-jährigen Pit Reimers einen in der Nachwuchsarbeit des HSV zwar über Jahre erfolgreichen, in der 3. Liga aber komplett unerfahrenen Coach.
Und da unter seiner Führung in neun Liga-Partien nur ein Sieg gelang, ist der neue auch schon wieder der ehemalige Mann auf der Trainerbank. Am Dienstag wurde Reimers freigestellt - ebenso die Co- Trainer Tim Danneberg und Heiko Flottmann.
Unausgewogener Kader
Doch auch wenn die Trainer gehen, die Probleme bleiben. Denn der vom am Dienstag ebenfalls bereits wieder freigestellten Sport-Geschäftsführer Kaufmann zusammengestellte Kader ist unausgewogen. Auf den Außen etwa fehlt dem VfL schlicht Tempo - das auch, weil Noel Niemann, ohne finanzielle Not, noch in der laufenden Saison abgegeben wurde.
Zudem fehlt neben Neuzugang Bastian Conus ein weiterer linker Außenverteidiger. Florian Bähr, der noch beim VfL unter Vertrag steht, ist zum Ligakonkurrenten 1860 München verliehen worden. Daher tummeln sich defensiv links gelernte Innenverteidiger.
Und auf den Außenbahnen? Da finden sich gerne auch mal gelernte Mittelstürmer wieder, von denen die "Lila-Weißen" wiederum weit mehr als benötigt im Kader haben. Zudem spielen einige etablierte Kräfte im Team aus unterschiedlichsten Gründen weit unter ihren Möglichkeiten. Dazu sucht man vergebens Führungsspieler.
"Wenn solche Dinge möglich sind, dann hier an der Bremer Brücke. Wir haben viele Fußballwunder hier erlebt, jetzt gilt es ein neues zu realisieren." VfL-Geschäftsführer Michael Welling
Finanziell sind zumindest Nachverpflichtungen im Winter möglich, wie Michael Welling betont, als alleiniger Geschäftsführer der neue starke Mann beim VfL. Und Welling ist der Misere zum Trotz optimistisch. Seine Zuversicht zieht er aus der besonderen Historie dieses Clubs, der noch nie viertklassig war: "Wenn solche Dinge möglich sind, dann hier an der Bremer Brücke. Wir haben viele Fußballwunder hier erlebt, jetzt gilt es ein neues zu realisieren."
Gelingt ein weiteres Wunder?
Blickt man auf die nackten Zahlen der bisherigen Saison, ist es nicht übertrieben, von einem Wunder zu sprechen, das der VfL benötigt: Tabellenschlusslicht mit acht Punkten Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz. Nur zwei Siege aus 17 Spielen und ein Punkteschnitt von unter 0,65 Zählern pro Spiel, zudem eine harmlose Offensive und die mit 35 Gegentreffern schwächste Defensive der Liga. Alles Merkmale eines Absteigers.
Da man von mindestens 45 Punkten ausgehen muss, um am Saisonende die Klasse zu halten, benötigen die Osnabrücker in den verbleibenden 21 Partien einen Schnitt von mehr als 1,6 Zählern pro Spiel - das ist der Schnitt eines Spitzenteams. Gelingt dies, wäre es ein weiters lila-weißes Fußball-Wunder. So wie vor anderthalb Jahren.