Zeitreise: Der erfolglose Missionar
Friedrich Groth wollte 1849 den Glauben der lutherischen Kirche ins heutige Ghana bringen, hatte dabei aber keinen Erfolg. Sein Tagebuch erzählt von einer Zeit, bevor die Kolonialherren die uralten Religionen und Kulturen zerstörten.
In dem Haus in der Lübecker Mühlenstraße ist die lange Familiengeschichte überall spürbar: alte Möbel, Gemälde, Fotos - alles von den Vorfahren übernommen, alles liebevoll gepflegt. Eines der faszinierendsten Stücke kam aber erst durch Zufall wieder ans Tageslicht. "Bei Renovierungsarbeiten im Geschäft fiel es aus der Decke", erzählt Andreas Groth. Ein kleines Notizbuch, in Leder gebunden, im Taschenformat. Auf dem Deckblatt steht "Tagebuch von Fritz Groth, 1848". Fritz Groth, der Urgroßonkel, von dem Andreas Groth bis dahin wenig wusste. "Einer von drei Brüdern meines Urgroßvaters hat in den USA gelebt, und er war eine Zeit lang in Afrika als Missionar", sagt der Papier- und Schreibwarenhändler: "Viel mehr wussten wir eigentlich nicht."
Handwerker entdeckten altes Tagebuch bei Renovierungsarbeiten
Die winzige, gestochen akurate Handschrift des Tagebuchs ist schwer zu lesen für heutige Augen. Es dauerte ein paar Jahre, bis Andreas Groth sich damit beschäftigen konnte. Aber dann war klar: Es sind auch die Jahre in Afrika, von denen Friedrich Groth in dem Tagebuch berichtet. Noch an Bord des Schiffes, nach mehrmonatiger Seereise von Bremen über London, vor der afrikanischen Küste, notiert der damals 26-Jährige:
27. Januar 1849
"Und dann gegen 8 Uhr sah ich in der Ferne zwei Canoe auf uns zurudern. Ein eigenes Gefühl durchdrang mich bei der Herannäherung dieser Leute. Denn das ist ja das Volk, unter denen ich vom Herren gewürdigt bin aus Gnade das Evangelium zu verkünden."
Aufzeichnungen sind wissenschaftlicher Schatz für Ethnologen
Mittlerweile hat Andreas Groth das Tagebuch komplett transkribiert, abgetippt, eigenhändig gebunden und es in der Lübecker Völkerkunde-Sammlung vorgezeigt. "Ich hatte in der Zeitung gelesen, anlässlich einer Ausstellung, dass in der Sammlung Dinge liegen, die Friedrich Groth aus Afrika mitgebracht hat", erzählt er.
Das Tagebuch eines Missionars, der 1849 in Afrika angekommen ist, also lange vor der brutalen Kolonisierung des Kontinents durch die europäischen Mächte. "Das ist ein einzigartiges Dokument und schließt geradezu eine Lücke", sagt Dr. Lars Frühsorge, Leiter der Lübecker Völkerkundesammlung: "Wir haben viele Dokumente aus der Zeit um 1900. Aber Friedrich Groth kommt ein halbes Jahrhundert früher nach Afrika, in eine multikulturelle Gesellschaft, in der der Kontakt zwischen Europäern und Afrikanern noch relativ auf Augenhöhe stattfindet." Das ist auch in einem Tagebucheintrag kurz nach der Ankunft zu erleben.
1. und 2.Februar 1849
"Als wir an Land gingen, begrüßte uns Mr. Brees, ein Eingeborener, aber sehr reich. Er ging ohne Kleidung, hatte nur ein langes Gewand über der Schulter hängen. Wir gingen in sein Haus und wurden mit Champagner bewirtet, es ist bei ihm alles auf englischem Fuß eingerichtet, er ist ein feiner Mann, aber Heide. Er hat in seinem Haus 11 Frauen…"
Europäer im Landesinneren von Afrika damals noch Exoten
Ein Afrikaner, der sich traditionell kleidet, aber wie ein englischer Gentleman wohnt. Zwei Welten, zwei Kulturen. "In dieser Gegend, an der westafrikanischen Gold- oder Sklavenküste, waren Europäer damals schon seit mindestens 250 Jahren aufgetreten, aber eben vor allem in der Küstenregion. Das Landesinnere war noch ein weißer Fleck - noch", sagt Dr. Frühsorge. Groths Ziel ist der Ort Peki im heutigen Ghana. Die Norddeutsche Mission aus Bremen, die ihn und seinen Kollegen Hermann Quinius entsandt hat, unterhält dort eine Station. Dort arbeitet bereits der Missionar Friedrich Wolf. Aber, so notiert es Groth nach der Ankunft im Landesinneren, Europäer sind dort immer noch Exoten.
7. März 1849
"Um das Missionshaus hatte sich eine Menge Volks zusammengedrängt, die uns sehen und begrüßen wollte. Auch der König stellte sich bald ein und willkommte uns. …. Sie alle begaffen uns und unsere Bewegungen, so wie wir aber aufstehen, rennen sie davon."
Klima und Krankheiten: Viele Missionare überleben Afrika nicht
Das Leben für die Missionare ist hart: Hausbau, Garten, Korrespondenz mit der Zentrale in Deutschland, Einkauf von Lebensmitteln: Sie haben zwar einheimisches Personal, müssen aber vieles selbst machen. Und sie sind ständig krank. Das notiert Friedrich Groth immer wieder.
21. Juni 1849
"Ich bekam eine starke Diarrhoe, so dass ich glaubte, mein Ende sei nahe, zumal ich Blut mit ausbrach. Ich entschloss mich zum Äußersten, ließ mir Wasser bringen und trank große Mengen. Ich befahl meine Seele dem Herren, und wartete, was er nach seiner Gnade tun werde."
Wasser trinken, das war damals für Europäer in Afrika ein Risiko. Alkoholische Getränke gelten als gesundheitlich sicherer. Gegen die tropischen Infektionskrankheiten kennt die Medizin um 1850 nur Chinin, Opium und allerlei zweifelhafte Kuren. "Grob gerechnet, überlebte jeder zweite Missionar den Einsatz in Afrika nicht", erklärt Ethnologe Dr. Lars Frühsorge: "Das wussten die Missionare damals auch. Wenn Friedrich Groth notiert, dass er abends betet und vor dem Einschlafen seine Seele dem Herrn befiehlt, dann sind das keine Floskeln."
Häufiger Eintrag: "Ich befahl meine Seele dem Herren"
Urgroßneffe Andreas Groth sagt: "Das beeindruckt mich schon, diese Glaubensfestigkeit und Hingabe." Wirklichen Erfolg hat der Missionar Groth damals aber nicht. Keine einzige Taufe verzeichnet das Tagebuch. Nur das Bedauern, dass er mit Gottes Wort nicht durchdringt zu den Afrikanern.
14. Dezember 1849
"Wolf und ich hatten noch eine Unterredung mit dem Koch. Wolf sagte ihm, dass er jeden Sonntag zum Gottesdienst käme, aber alles gleich wieder vergäße. So wenig Sinn ist beim Volk für das Höhere, Himmlische. Ihr Trachten geht nur aufs Essen und Trinken."
Warum hatten die späteren Missionare um 1900 dann so viel Erfolg, wo Friedrich Groth und seine Kollegen ein halbes Jahrhundert zuvor scheiterten? "In der Hochzeit des Kolonialismus ist eine Taufe zumindest ein kleiner Schutz gegen allzu brutale Ausbeutung", sagt Dr. Frühsorge. Diesen Druck habe es zu Groths Zeiten noch nicht gegeben, "und er will auch nicht nur um der Statistik willen taufen, das ist herauszulesen, sondern er will überzeugen. Das macht ihn sympathisch, auch, weil er seine Zweifel im Tagebuch ja nicht verschweigt. Da ist er sehr modern." Aber Groth ist eben auch lutheranischer Christ, und der christliche Gott duldet keine Götter neben sich. "Und da wird es schwierig für die damaligen Afrikaner", sagt Dr. Frühsorge: "Für sie galt in der Religion: Viel hilft viel und ein zusätzlicher Gott oder ein Kreuz neben ihren gewohnten Fetischen kann nicht schaden. Aber für den Christengott ihre eigenen Gottheiten aufgeben, das hätte sie überfordert."
Aus Lübeck nach Afrika, in die USA und zurück nach Lübeck
Das kleine, 175 Jahre alte Tagebuch endet mit dem 31. Dezember 1849. Keine Taufe. Friedrich August Gottfried Groth verlässt Afrika später, geht in die USA. Dort heiratet er und wird Pastor in Ohio. 1887 kehrt er noch Lübeck zurück, wo er noch sechs Jahre lebt. Wahrscheinlich hat er mehr Tagebücher geschrieben als das über sein erstes Jahr in Afrika. Urgroßneffe Andreas Groth sagt: "Ja, er hat keinen einzigen Menschen getauft. Aber heute steht in Peki eine für Ghana wichtige Kirche. Mein Urgroßonkel hat da ein bisschen mit den Grundstein gelegt." In dem alten Tagebuch hat er viel gelesen. "Manchmal ist es, als würde er neben mir stehen und gehen. Wir haben uns sozusagen kennengelernt. Wie Brüder."