Proteste vom "Mittelstand": Wer demonstriert gerade in SH?
Sie fordern "Die Ampel muss weg", "Neuwahlen" oder "keine Kriegsteilnahme". Bei den Demonstrationen im Land geht es längst nicht mehr nur um landwirtschaftliche Aspekte.
Inzwischen sind fast täglich Menschen auf der Straße, um gegen die Politik der Bundesregierung zu demonstrieren. Meist sind es kleinere Gruppen mit ein paar Dutzend Teilnehmerinnen und Teilnehmern: Sie stehen mit Blinklichtern auf Autobahnbrücken, zünden Mahnfeuer an oder fahren in Kolonnen durch die Innenstädte. Hin und wieder gibt es auch größere Aktionen wie Anfang Februar am Nord-Ostsee-Kanal. Die Proteste hatten im Januar mit mehreren großen Treckerdemos der Landwirte begonnen. Inzwischen sind bei den Aktionen nur wenige Schlepper dabei.
Bauernverband rät von Teilnahme ab
Nach eigenen Angaben hat der Verein Land schafft Verbindung in Schleswig-Holstein und Hamburg seit 6. Februar keine Aktionen initiiert oder organisiert. "Wir planen derzeit eine Großveranstaltung, aber voraussichtlich wird diese erst im März stattfinden. Andere Aktionen sind derzeit nicht in Planung", sagt die LSV-Landesvorsitzende Uta von Schmidt-Kühl auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein. Auch der Bauernverband ist nach eigenen Angaben derzeit nicht beteiligt: "Die jetzige Zeit nutzen wir für Gespräche. Am Ergebnis orientiert sich unsere weitere Vorgehensweise", teilt der Bauernverband Schleswig-Holstein mit. Der Deutsche Bauernverband rät in sozialen Netzwerken sogar davon ab, an Aktionen teilzunehmen, die nicht vom Verband organisiert sind und bei denen der Veranstalter und dessen Ziele nicht eindeutig zu erkennen sind.
Wer organisiert die Aktionen?
Einige Aktionen werden offiziell bei den Behörden angemeldet, wie zum Beispiel die Mahnwachen vor dem NDR in Hamburg und in Kiel. Andere Proteste, wie die Blockade einer Druckerei in Ahrensburg im Kreis Stormarn, hatten nach Angaben der Behörden keine Genehmigung. Die Aufrufe werden über Netzwerke wie WhatsApp verteilt. Wer der Absender ist, bleibt häufig unklar. Auf vielen Flyern steht gar keine Quelle. Auf anderen heißt es zum Beispiel lediglich "Der Mittelstand", "Eure Orga" oder "Gruppe Segeberg". Ob Vereine, Verbände oder Parteien beteiligt sind, bleibt offen.
Der Verein Mittelstand Community soll künftig die verschiedenen Gruppen vernetzen. Noch befände sich der Verein in Gründung, schreibt Uta von Schmidt-Kühl. Die LSV-Vorsitzende ist auch als Sprecherin für die Mittelstand Community aktiv. Eine Anfrage an die Mittelstands Community zu den aktuellen Protesten beantwortete sie nicht.
Demonstranten aus Dänemark
An einem Fahrzeugkorso am Wochenende in Kiel beteiligten sich auch etwa 15 Menschen mit ihren Autos aus Dänemark. Sie sagten dem NDR, dass sie "Deutschland unterstützen" wollten, und kritisierten unter anderem den Getreideexport aus der Ukraine. Eine Frau sagte, sie glaube nicht an den Klimawandel.
"Es geht um Oben gegen Unten"
Der Protest am Nord-Ostsee-Kanal geht nach Angaben von Organisator Marco Emmerich ausschließlich auf Privatleute zurück, die nicht politisch organisiert sind. "Wir drängen uns politisch in keiner Weise auf irgendeine Seite", sagt Emmerich. "Es geht nicht mehr um Rechts gegen Links, sondern es geht um Oben gegen Unten." Bei der ersten Demo am Kanal waren nach seinen Angaben mehr als 20.000 Menschen dabei. Die Polizei schätzte die Zahl auf 850. Die Organisatoren wollen sich nun wöchentlich an einem anderen Fähranleger zwischen Brunsbüttel (Kreis Dithmarschen) und Kiel treffen. Laut Polizei kamen 14 Menschen zum ersten Termin.
Krisenforscher: "Landwirtschaft ist eine Signalbranche"
Für den Kieler Krisenforscher Frank Roselieb kommt die aktuelle Entwicklung nicht überraschend. "Wir wissen aus der vergleichenden Krisenforschung, dass die Landwirtschaft oft so eine Art Signalbranche ist. Wenn die ihre Traktoren rausholen und auf die Straße gehen, dann schließen sich da viele andere Gruppen an", sagt Roselieb im Gespräch mit NDR Schleswig-Holstein. Nach seiner Einschätzung wollten die Menschen wissen, wie es mit dem Land weiter geht. "Das eint sie. Sie erwarten Antworten für die Zukunft, die bisher die Politik nicht geliefert hat."
Innenministerium: Aktuell keine Erkenntnisse zu Unterwanderung
Das Innenministerium beobachtet mithilfe des Verfassungsschutzes, ob die Proteste von Rechtsextremisten, Reichsbürgern oder anderen radikalen Gruppen unterwandert werden. Bei den aktuellen Aktionen liegen nach Angaben einer Sprecherin keine polizeilichen Erkenntnisse zu den anmeldenden Personen vor. "Grundsätzlich versuchen extremistische Gruppierungen jedweder Couleur regelmäßig, das politische Protestgeschehen für eigene Zwecke zu nutzen", heißt es vom Ministerium.