Streit in Trittau: Wer steckt hinter der Mittelstands-Demo?
Was im Januar als Bauernprotest gestartet ist, hat sich in den vergangenen Wochen offenbar deutlich verändert. In Trittau führt die Frage, wer da genau zu Protesten aufruft, zu einem Zerwürfnis mit dem Bürgermeister.
An einem ziemlich nassen und grauen Freitagnachmittag zeigt sich in Trittau (Kreis Stormarn) auf kleinem Raum, wo momentan Bruchstellen der Gesellschaft verlaufen: Oben im ersten Stock des Rathauses sitzt der parteilose Bürgermeister Oliver Mesch. In seinem Amtszimmer plant er mit Kommunalpolitikern von Grünen, SPD und CDU zusammen einen "Runden Tisch Demokratie". Der Termin habe bereits länger festgestanden, so der Bürgermeister. Die Initiative sei ein Ergebnis einer Demonstration Ende Januar gegen Rechtsextremismus. Damals gingen in Trittau laut Polizei 500 Menschen unter anderem gegen die AfD auf die Straße.
Oben der Bürgermeister, unten der Protest
Während oben also der "Runde Tisch Demokratie" vorbereitet wird, finden sich unten vor dem Rathaus laut Polizei etwa 100 Menschen ein. Auch sie reklamieren für sich, für die Demokratie einzustehen. Sie sind dem Aufruf des "Organisationsteams des Mittelstandes" in Trittau gefolgt, so stand es in einem Offenen Brief, der im Internet veröffentlicht wurde - und in einer Einladung, die Bürgermeister Oliver Mesch per Mail erhalten hatte. Demnach wollen sie eine Protestaktion mit Gesprächen und Diskussion veranstalten. Politik und Presse würden sie bislang meistens ignorieren oder in ein falsches Licht stellen, deswegen müssten sie mit ihrer Wut und ihren Themen auf die Straße. Unter dem Brief stehen "Das Organisationsteam des Mittelstandes Trittau" und zehn Vornamen.
AfD-Mitglied unter den Organisatoren
Von den etwa 100 Leuten, die am Freitag vor allem gegen die Politik der Bundesregierung protestieren, seien etwa ein Viertel Landwirte, schätzen die Organisatoren. Außerdem seien Spediteure, Selbstständige und Angestellte gekommen. Sie sagen: "Hier ist der Mittelstand". Eine Person aus dem Orga-Team hat die Aktion ordnungsgemäß angemeldet. Doch wer noch alles hinter dieser Gruppe steht, ist anfangs nicht erkennbar. Auch nicht für Bürgermeister Oliver Mesch.
Er habe erst am Abend vor der Demo erfahren, wer dazu aufgerufen hat. In einem Facebook-Post schreibt er: "Der Aufruf war zunächst anonym, nur mit Vornamen der Organisatoren". Laut Mesch sind die Nachnamen erst "auf Druck redlicher Landwirte" herausgekommen: "Und siehe da: Wiebke Neumann, AfD, unter anderem Landtagskandidatin, ist darunter." Unter den Text hat Mesch ein bekanntes Symbol gesetzt: Eine Person, die ein Hakenkreuz in einen Papierkorb schmeißt. Dazu der Text: "Wer für Demokratie steht, steht nicht mit Feinden der Demokratie auf der Straße."
Buh-Rufe für Bürgermeister Mesch
Auf dem Europaplatz erntet Mesch dafür laute Buh-Rufe. Mitorganisatorin Sophie Pries, die die Rede eines Mitorganisatoren vorliest, ruft vom Anhänger eines Traktors, der als Bühne dient: "Wir als Orgateam wollten uns heute zur Verfügung stellen und für euch Rede und Antwort stehen. Seit gestern Abend werden wir allerdings vom Bürgermeister Oliver Mesch namentlich als Rassisten, Rechtsradikale und Feinde bezeichnet - und mit dem Hakenkreuz in Verbindung gebracht", so Pries. "Das ist unangebracht und spiegelt keineswegs unsere Meinung und Ziele wider."
Bauernverband nicht involviert
In Trittau geht es auch um die Anliegen der Landwirte. Offiziell eingebunden waren sie aber nicht, heißt es vom Bauernverband. "Sollte das auch für parteipolitische Ziele genutzt werden, dann können wir das als Bauernverband nicht unterstützen", sagt Peter Koll vom Kreisbauernverband Stormarn. Er habe bei der Veranstaltung kein Programm erkennen können. "Nicht jeder, der für den Mittelstand eintritt, vertritt den Mittelstand. Nicht jeder, der mit einem Schlepper losfährt, vertritt die Interessen der Bauern. Da müssen wir als Gesellschaft insgesamt schauen, wie wir damit umgehen."
"Betrug an Bürgern"
Oben im Rathaus hinter der Scheibe äußert sich Mesch zur Situation unten und seinem Post: "Demokraten demonstrieren nicht zusammen mit Gegnern der Demokratie. Und wenn man die Leute vorher darüber im Unklaren lässt, wer hier in Trittau demonstriert, dann ist das eine Scharade und ein Betrug an den Bürgern."
Seit dem Posting erlebe er einen Shitstorm. Leute hätten über Verwandte versucht, seine Privatadresse herauszufinden. Dabei habe nicht er die Nazi-Keule rausgeholt: "Das haben sie selber getan, indem sie Frau Neumann von der AfD hier Raum gegeben haben."
Orga-Team: Anzeigen gegen Bürgermeister
Die Organisatoren unten vor dem Rathaus widersprechen dem Bürgermeister: Er sei derjenige, der eine rote Linie überschritten habe. Wiebke Neumann, Mitorganisatorin des Protests und AfD-Mitglied, ist der Meinung: "Das ist natürlich schockierend, dass der Bürgermeister sein Neutralitätsgebot da verletzt hat. Und fast das gesamte Orga-Team hat auch heute Anzeigen abgegeben."
Auch Mitorganisatorin Sophie Pries sieht den Bürgermeister im Unrecht: "Muss ich jetzt jedem sagen, wer ich bin, wo ich herkomme, was ich mache? Warum? Wir stehen doch alle für die gleiche Sache, und das ist im Vordergrund. Alles andere ist völlig egal." Und Mario Flöter aus dem Orgateam sagt: "Wir sind alles Menschen, wir kennen uns ewig. Das ist Demokratie, dafür stehen wir hier." Er sei mit dem Bürgermeister und Wiebke Neumann zur Schule gegangen, man kenne sich: "Muss ich mich jetzt irgendwie von diesen Personen distanzieren, weil sie eine Partei wählen oder einer Partei zugehören, die mir vielleicht nicht recht ist? In was für einem Land leben wir denn?"
Bürgermeister geht auf Distanz zur AfD
Bürgermeister Mesch hat auf solche Fragen eine klare Antwort. Er sagt, er wolle sich von Feinden der Demokratie, als die er die AfD sieht, distanzieren. Deshalb bleibt er im Rathaus und geht nicht runter zu den Protestierenden auf den Vorplatz. Er nennt noch einen zweiten Grund. "Wenn ich eine vernünftige Einladung kriege, mit Vor- und Nachnamen, dann bin ich immer zum Dialog bereit." Dass sein Posting Konsequenzen haben wird, damit rechnet er nicht: "Als Bürgermeister ist es meine Aufgabe, die Leute aufzuklären und zu sagen, was ist. Und wenn Feinde der Demokratie hier an einer Demonstration beteiligt sind, dann muss ich das sagen." Das müssten alle Menschen wissen, so Mesch.
Und wenn ihn Menschen als feige bezeichnen, weil er hinter der Fensterscheibe geblieben ist? "Ja, damit kann ich leben, denn ich bin nicht feige." Der Bürgermeister wendet sich wieder seinen Kollegen zu, mit denen er den "Runden Tisch Demokratie" plant. Der soll möglichst schnell Lösungen finden - gegen die Spaltung in der Gesellschaft.