Sorgentelefon für Landwirte: Vom großen Frust und Seelenmüll
Treckerkolonnen in Städten, Blockaden auch auf Autobahnen, Kundgebungen gegen Subventionskürzungen - seit Wochen halten die Proteste der Bauern in Deutschland an. Wie sehr nagt das alles an den Landwirten? Das weiß niemand besser als die Berater an landwirtschaftlichen Sorgentelefonen.
"Landwirtschaftliches Sorgentelefon, schönen guten Abend." Wenn Albrecht Veldermann* den Telefonhörer abhebt, muss er sich auf vieles gefasst machen: Generationenkonflikte, kummervolle Ehen, Streit ums Erbe, Bauer sucht Frau. Denn wer die Nummer des Landwirtschaftlichen Sorgentelefons für Familien und Betriebe in Barendorf bei Lüneburg wählt, der schimpft in den seltensten Fällen über Politik - die geplante Streichung von Subventionen etwa, Umweltvorgaben und EU-Bürokratie.
Und doch, so Veldermann, speist sich aus dem alltäglichen Seelenmüll, der hier abgeladen wird, auch der große Frust, der die Bauern auf die Straßen treibt - das Gefühl fehlender Wertschätzung, die Angst vor dem Strukturwandel in der Landwirtschaft, das Höfesterben.
In allen Fällen gehe es ums Verstehen, sagt Veldermann: "Und wenn ich das so runterbreche, da bin ich ganz schnell bei den Familien, mit denen wir zu tun haben. Da geht es ja auch selten um Sachthemen." Er spüre vielmehr, dass viele der Anrufer Probleme mit den sogenannten weichen Themen haben, da seien sie "manchmal richtig untrainiert".
Aggressionen bei Bauern-Protesten - "Wie lange läuft das schon?"
Veldermann macht den ehrenamtlichen Job am Telefon seit zehn Jahren. In der Erntezeit meldet sich selten jemand, an dunklen Tagen im Winter klingelt es manchmal stündlich. Er hat fast alles erlebt: von Berichten über abgrundtiefe verbale Gewalt bis hin zu Suizidgedanken. Am meisten zu schaffen machen ihm aber aufgezwungene Lebensentwürfe, "wenn 40, 50 Jahre alte Männer anrufen und sagen, dass sie ihren Hof jetzt aufgeben, weil sie es eigentlich nie machen wollten". Manchmal, so sagt er, müsse er nach einer Schicht erst mal aufs Rad steigen, um selbst den Kopf wieder frei zu bekommen.
Doch so gut er verstehen kann, wenn Emotionen mit einem durchgehen - die Feindseligkeit mancher Landwirte auf Demonstrationen hat ihn geradezu erschreckt: "Da ist ja schon sehr viel Aggression, sehr viel Unzufriedenheit unterwegs. Und ich frage mich: Wie lange läuft das eigentlich schon?"
Landfrauen-Präsidentin Brunckhorst: "Auch Frauen sollen gesehen werden"
Lange, glaubt Elisabeth Brunckhorst, und spricht im Zusammenhang mit der angekündigten Streichung von Agrardiesel-Subventionen vom berühmten Tropfen, der das mit Zukunftssorgen gefüllte Fass zum Überlaufen gebracht hat. Die Aufmerksamkeit, die die Proteste generiert haben, begrüßt die Präsidentin der Landfrauen in Niedersachsen: "Ich glaube, das gab es noch nie, dass die Landwirtschaft so geschlossen beisammen stand."
Doch sie fragt sich auch, warum so wenige von denen sichtbar sind, die sie vertritt - nämlich Frauen? Natürlich müssten viele zu Hause die Stellung halten, sich um die Familie und Kinder kümmern, sagt die 52-Jährige, die mit ihrem Mann seit 25 Jahren einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Ackerbau und Mastschweinen im Landkreis Schaumburg betreibt. "Aber als Verband finden wir es wichtig, dass Frauen eben auch gesehen werden bei solchen Anlässen um zu zeigen: Landwirtschaft ist keine One-Man-Show, sondern das sind Familienbetriebe - und natürlich stehen wir Frauen auch dahinter."
Am Sorgentelefon rufen mehr Frauen an
Frauen sind auch die, die eher bereit sind, sich Hilfe zu suchen. Etwa 60 Prozent der Anrufenden an den Sorgentelefonen seien weiblich, sagt Albrecht Veldermann. Spricht der Bauer nicht, tut es die Frau? "Na ja, die Männer haben aufgeholt", sagt er - auch auf dem Land seien alte Rollenbilder aufgebrochen. Aber das Denken bleibe traditionsbehaftet und die Beziehungsgeflechte speziell, weil Betrieb und Familie so eng miteinander verwoben sind.
Das niedersächsische Landwirtschaftsministerium finanziert diese Art der Familienfürsorge bereits seit drei Jahrzehnten. Neben der Anlaufstelle in Barendorf gibt es noch je eine Bauern-Hotline in Rastede bei Oldenburg und in Oesede bei Osnabrück. Insgesamt engagieren sich um die 30 Beraterinnen und Berater. Wer hier anderen Gehör schenken will, muss selbst einen landwirtschaftlichen Hintergrund haben. Die Gespräche sind vertraulich, Hilfesuchende und Berater kennen sich nicht.
"Reden über Probleme ist gerade im ländlichen Raum, im Dorf, in der Nachbarschaft, schwierig oder fast nicht möglich, weil ich mich dann ja auch oute und etwas zugeschrieben bekomme, was ich vielleicht gar nicht möchte", sagt Veldermann. Um die Anonymität in den Beratungsgesprächen zu wahren, nennen wir ihn nicht mit seinem echten Namen.
Höfesterben: Noch 255.000 landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland
Albrecht Veldermann ist selbst gelernter Landwirt, hat den Strukturwandel miterlebt. In dem Dorf, aus dem er stammt, gab es früher zehn Höfe, geblieben ist einer. Im großen Maßstab lesen sich die Zahlen des Statistischen Bundesamtes so: 1975 gab es noch gut 900.000 landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland, im vergangenen Jahr wurden noch 255.000 gezählt. Vor allem kleinere und mittlere Betriebe geben auf, die großen wachsen. Im Jahr 2022 bewirtschafteten 5,3 Prozent der Betriebe fast 40 Prozent der landwirtschaftlichen Gesamtfläche. Einen deutlichen Anstieg verzeichnen Betriebe mit ökologischem Landbau, sie bewirtschaften rund elf Prozent der gesamten Agrarfläche.
Wachsen oder weichen - Albrecht Veldermann betrachtet es pragmatisch: "Vielleicht haben wir irgendwann nur noch 20.000 Betriebe. Man wird diesen Wandel nicht aufhalten können", sagt er. Es gelte, gute Lösungen für diesen Umbau zu finden. "Das geht nicht ohne Schmerzen. Und ich bin jeden Tag froh, dass ich das nicht lösen muss."
Telefonberater sind Kummerkasten und Wegweiser
Was er beitragen kann, tut er gern - als Kummerkasten, aber auch als Wegweiser. Albrecht Veldermann spricht ruhig, mit Bedacht. Nie gibt er seinem Gegenüber das Gefühl, sowieso alles besser zu wissen. Der Bauernversteher, wie er sich selbst gern nennt, kann vieles nachfühlen, aber die Dinge auch sachlich betrachten - und er kann wunderbar schweigen. Es gebe viele Gespräche, so Veldermann, in denen er nach seiner Begrüßungsformel erst einmal nicht mehr viel sagt: "Das Zuhören ist eigentlich schon die größte Leistung. Und dann auch ertragen, wenn jemand mal ins Weinen kommt", sagt er.
Es sei hart, wenn Anrufer an ihren eigenen Grundfesten rütteln, ihre Sorgen vielleicht das erste Mal überhaupt einem anderen anvertrauen. Solche Gespräche können 30, 40 Minuten dauern. Viele rufen auch mehrfach an. "Denn wenn man auflegt, fängt das Denken im Kopf erst richtig an." Jenseits der Telefonberatungen werden längst auch Begleitungen für Hofübergaben angeboten. Im besten Fall gelingt es, nicht nur den Anrufenden zum Reden zu bringen und eine Familienberatung anzuschließen.
Einmal ist solch ein langwieriger Prozess so gut gelaufen, dass Albrecht Veldermann und seine Mitstreiter von der Hilfe suchenden Familie eine Spende für das Sorgentelefon erhalten haben. Diese Art der Rückmeldung habe er sehr schön gefunden, sagt er, weil ein Telefonberater das gute Ende normalerweise nicht miterlebe: "Aber es bleibt immer unser geheimer Wunsch, dass es so läuft."
* Name von der Redaktion geändert