Staatssekretär Dr. Otto Carstens sitzt in einem Raum an einem Tisch mit einem Mikrofon im Justizministerium im Schleswig-Holsteinischen Landeshaus Kiel. © IMAGO / Frank Peter Foto: Frank Peter

Plagiatsjäger: Carstens' Doktorarbeit hätte nicht angenommen werden dürfen

Stand: 12.10.2022 21:45 Uhr

CDU-Justizstaatssekretär Otto Carstens steht seit Wochen unter Druck: Neben seiner Mitgliedschaft in schlagenden Verbindungen werden ihm dabei auch Plagiate in seiner Doktorarbeit vorgeworfen. Ein Experte äußert sich zu den Hintergründen.

von Sven Brosda und Judith Pape

In der Branche ist er gefürchtet: Dr. Stefan Weber aus Salzburg. Seine Mission: Plagiate aufdecken. Auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) stolperte bereits über Webers Arbeit, sie stoppte daraufhin im vergangenen Jahr den Druck ihres Buches "Jetzt. Wie wir unser Land erneuern", weil sie keine Zeit mehr für eine Überarbeitung hatte. Vor einigen Monaten bekam Weber den Hinweis, dass er sich die Doktorarbeit von Schleswig-Holsteins Justizstaatssekretär Otto Carstens (CDU) anschauen sollte. 

Plagiat bedeutet: Flächendeckend abgeschrieben

"Zunächst war der Stand, dass Carstens einige Seiten aus Wikipedia abgeschrieben haben soll", sagt Weber. Er habe dann das gemacht, was schon vor Jahren die Uni Innsbruck hätte machen sollen. "Ich habe die Dissertation von Carstens aus dem Jahr 2010 durch eine Plagiatssoftware laufen lassen." Danach wurde die Liste deutlich länger. "Ich habe herausgefunden, dass noch mehr abgeschrieben wurde, also nicht nur aus Wikipedia, sondern auch aus der Doktorarbeit von Andreas von Gehlen aus dem Jahr 2005." Weber wundert sich, dass die Universität Innsbruck diese Softwareprüfung offenbar nicht durchgeführt hat, als Carstens seine Arbeit eingereicht hatte. Aufgrund der Plagiate hätte sie dann nicht angenommen werden dürfen, so Weber.

Weber: Keine wissenschaftliche Leistung

Der Plagiatsjäger lässt kein gutes Haar an der Doktorarbeit von Justizstaatssekretär Carstens. "Man muss sich vorstellen, dass in dieser Dissertation nicht nur zehn oder zwölf Seiten von Wikipedia paraphrasiert wurden, sondern auch bei der Doktorarbeit von Herrn von Gehlen abgeschrieben wurde. Quellen wurden nicht angegeben." Außerdem hat Carstens nach Ansicht von Weber mehrere Parteiprogramme mehr oder weniger in anderen Worten wiedergegeben. "Wenn ich mal ehrlich sein darf, ist das keine wissenschaftliche Leistung, es fehlt die wissenschaftliche Auseinandersetzung. Diese Arbeit gibt nur etwas wieder, dass ist zu wenig, also keine Wissenschaft", sagt der Kommunikationswissenschaftler.

Opposition: Das Maß ist voll

Die Fraktionen von SPD, FDP und SSW hatte im Landtag in Kiel Justizstaatssekretär Carstens in den vergangenen Wochen mehrfach in den Innen- und Rechtsausschuss zitiert, auch um Antworten zu seinen umstrittenen Studentenverbindungen zu bekommen. SPD-Oppositionsführer Thomas Losse-Müller sagte NDR Schleswig-Holstein, "für uns ist das Maß voll." Die Vorwürfe seien so gravierend, dass die Landesregierung handeln müsse. Bernd Buchholz von der FDP meint, es sei durch die Plagiatsanzeige auf 37 Seiten inzwischen nachgewiesen, dass Carstens weite Teile seiner Doktorarbeit abgeschrieben habe. Wer dann den Richtern in Schleswig-Holstein noch sage, sie sollten den Strafrahmen bei Verurteilungen ausschöpfen, habe die richterliche Unabhängigkeit nicht so ganz verstanden.

Buchholz meint damit Äußerungen von Carstens während des Wahlkampfes in Schleswig-Holstein. Er hatte auf seiner Homepage geschrieben: "Opferschutz vor Täterschutz. Mehr Polizei vor Ort. Eine Justiz, die den Strafrahmen des Gesetzes ausreizt. Ein Strafvollzug, der keinen 'Urlaub' darstellt. Hierfür sind die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen!". Diese Sätze wurden mittlerweile gelöscht, die Homepage ist offline. Für Buchholz ist dennoch klar: "Carstens ist für das Amt des Justizstaatssekretärs ungeeignet, Regierungschef Daniel Günther soll ihn ersetzen."

Günther: Opposition betreibt Klamauk

Ministerpräsident Günther hatte in der vergangenen Woche zur Kritik an Carstens erklärt, dass die Landesregierung sicherstellen müsse, dass das Land gut durch die Krise komme. Für ihn sei es ein Zeichen der Schwäche der Opposition, dass sie an inhaltlicher Auseinandersetzung kein Interesse habe, sondern Dinge skandalisiere, um eine Regierung in Misskredit zu bringen. Günther sprach außerdem von "Klamauk", den die Opposition in Sachen Carstens betreibe. SPD-Fraktionschef Losse-Müller sagte, er könne keinen "Klamauk" erkennen, wenn er sich Sorgen darüber mache, dass es in Schleswig-Holstein einen Justizstaatssekretär gebe, der nicht wisse, wo die Mitte der Gesellschaft sei. FDP-Mann Buchholz sagte, er sei über Günthers Aussage "irritiert". Insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch Richterverbände in Schleswig-Holstein der Meinung seien, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Justizstaatssekretär Carstens nicht mehr möglich sei.

Otto Carstens, Justizstaatssekretär in Schleswig-Holsteins, sitzt in der Sitzung des Innen- und Rechtsausschuss der schleswig-holsteinischen Landesregierung. © dpa-Bildfunk Foto: Axel Heimken
AUDIO: Günther: Debatte um Carstens ist unangemessen (1 Min)

Carstens will Fragen nicht beantworten

NDR Schleswig-Holstein hatte Justizstaatssekretär Carstens Ende des vergangenen Monats darum gebeten, konkrete Fragen zu seiner Mitgliedschaft in einer schlagenden Studentenverbindung in Innsbruck zu beantworten. Ein Sprecher des Justizministeriums teilte mit, dass Carstens sich im Innen- und Rechtsausschuss zu seiner Mitgliedschaft im Corps "Gothia Innsbruck" äußern werde. In dem Ausschuss verlas Carstens eine elf-minütige Erklärung. Er endete mit den Worten, dass er keine weiteren Ausführungen machen werde, weil seine Privatsphäre betroffen sei. Der Fragenkatalog, den NDR Schleswig-Holstein per Mail geschickt hatte, blieb unbeantwortet. Nach einem Interview mit Plagiatsjäger Weber erneuerte NDR Schleswig-Holstein die Anfrage. Dieses Mal ging es insbesondere um Fragen zu den Plagiatsvorwürfen. Auch in diesem Fall gab es keine Antworten. Der Sprecher des Justizministeriums schrieb, dass sich der Justizstaatssekretär im Innen- und Rechtsausschuss ausführlich geäußert habe. Dort hatte Carstens lediglich gesagt, dass Ergebnis der Prüfung der Universität Innsbruck sei ohne Vorverurteilung abzuwarten.

Plagiatsprüfung unterliegt der Amtsverschwiegenheit

Auf die Frage von NDR Schleswig-Holstein, wann mit einem Ergebnis der Plagiatsprüfung zu rechnen ist, schreibt die Pressestelle der Universität Innsbruck: "Weil dies ein behördliches Verfahren ist, sind alle relevanten Verfahrensunterlagen der Öffentlichkeit nicht zugänglich, sondern nur den Verfahrensbeteiligten und unterliegen gemäß § 48 UG der Amtsverschwiegenheit." Plagiatsjäger Weber sagt dazu, Österreich habe als letzte Demokratie in Europa die Amtsverschwiegenheit. Sollte Carstens bei der Uni Innsbruck fordern, die Entscheidung über seinen Doktorgrad nicht zu veröffentlichen, dann bekomme nur Carstens ein Einschreiben und die Sache sei erledigt.

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Otto Carstens (CDU), Justizstaatssekretär in Schleswig-Holsteins, sitzt in der Sitzung des Innen- und Rechtsausschuss der schleswig-holsteinischen Landesregierung. © picture alliance/dpa Foto: Axel Heimken

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein 18:00 | 12.10.2022 | 19:30 Uhr

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