Im Norden fehlen Sozialwohnungen - Neue SH-Standards als Vorbild?
In Norddeutschland fehlten Ende des vergangenen Jahres 112.000 bezahlbare Wohnungen. Das zeigen Zahlen des Verbändebündnisses Soziales Wohnen. Neue Standards aus Schleswig-Holstein könnten die Lage verbessern.
Familien mit Kindern, Singlehaushalte, Senioren oder auch Studierende: Menschen aus allen Lebensbereichen sind in Norddeutschland auf bezahlbaren Wohnraum angewiesen. Mit einem sogenannten Wohnberechtigungsschein können Personen, deren Haushaltseinkommen unter einem Grenzwert liegt, eine Sozialwohnung anmieten. Aber davon gebe es immer weniger, unterstreicht das Bündnis Soziales Wohnen.
Dieses Bündnis aus Deutschem Mieterbund, Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie, der Gewerkschaft IG Bau sowie den Bundesverbänden der Mauerstein-Industrie und des Baustoff-Fachhandels hatte beim Pestel-Institut zur aktuellen Lage auf dem Wohnungsmarkt eine Studie in Auftrag gegeben. Diese zeigt, dass es vor allem in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern deutlich weniger Sozialwohnungen gibt als noch vor ein paar Jahren.
Deutlicher Rückgang in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern
Der Studie zufolge ist die Zahl der Sozialwohnungen in Niedersachsen zwischen 2017 und 2023 um 38 Prozent zurückgegangen. In absoluten Zahlen heißt das: Vor rund acht Jahren gab es dort 83.000 Sozialwohnungen - 2023 waren es nur noch 51.000. Auch in Mecklenburg-Vorpommern liegen die Zahlen deutlich niedriger als noch vor einigen Jahren. Während es 2017 in MV noch 6.700 Sozialwohnungen gab, waren es 2023 noch 2.400. Ein Rückgang von 64 Prozent. Weniger Sozialwohnungen gibt es dem Ländervergleich nach nur im Saarland.
Hamburg und Schleswig-Holstein auf ähnlichem Niveau
Deutlich geringer fallen die Unterschiede in Schleswig-Holstein und Hamburg aus. In Schleswig-Holstein ist die Zahl der Sozialwohnungen im betrachteten Zeitraum um vier Prozent zurückgegangenen, in Hamburg lag sie auf einem ähnlichen Niveau wie noch 2017.
Bündnis fordert Trendwende
Das Bündnis "Soziales Wohnen" fordert von der Bundespolitik eine Trendwende. Die Zahl der Sozialwohnungen müsse sich bundesweit in den kommenden fünf Jahren auf etwa zwei Millionen verdoppeln, heißt es von den Experten. Nach Angaben des Chef-Ökonomen des Pestel-Institutes, Matthias Günther, liegt das unter anderem an den Baby-Boomern, die in den kommenden Jahren in Rente gehen. Die geburtenstarken Jahrgänge hätten oft zum Niedriglohn gearbeitet, viele gingen mit einer eher kleinen Rente nach Hause, erklärt Günther. "Hunderttausende werden deshalb in den kommenden Jahren zusätzlich auf eine Sozialwohnung angewiesen sein", so der Experte weiter.
Vorbild Schleswig-Holstein
Aus Sicht von Prof. Dietmar Walberg vom Kieler Bauforschungsinstitut ARGE gibt es auch deshalb zu wenige bezahlbare Wohnungen, weil sozialer Wohnungsbau in Deutschland zu viel Geld kostet. Mehr als nötig, findet Walberg. "Deutschland baut Premium-Sozialwohnungen. Es geht in guter Qualität auch deutlich günstiger", erklärt der ARGE-Chef. Eine Lösung sieht er in neuen Regelstandards, die er und sein Team vom Bauforschungsinstitut in Kiel erarbeitet haben. Diese werden in Schleswig-Holstein bereits im sozialen Wohnungsbau angewendet. Das heißt beispielsweise, dass Wände und Decken in den Häusern dünner, Fenster nur zweifach statt dreifach verglast sind oder auf Tiefgaragen verzichtet wurde. "Die reinen Baukosten bei Sozialwohnungen lassen sich um bis zu ein Drittel senken", so der Kieler Experte.
Schleswig-Holstein mit guten Erfahrungen
Geringere Baukosten bei gleicher Fördersumme bedeuten mehr Wohnungen. Diese neuen Regelstandards sind beim sozialgeförderten Wohnungsbau in Schleswig-Holstein seit September Pflicht. Das Ministerium wolle damit zeigen, dass es ein Umdenken im Baubereich geben kann, ohne auf ausreichende und sehr gute Standards verzichten zu müssen, heißt es von einem Sprecher des Innenministeriums. Die bisherigen Erfahrungen seien durchweg positiv. "Die Baukosten selbst befinden sich zwar weiterhin auf einem hohen Niveau, aber aufgrund der Vorgaben des Regelstandards konnten in Schleswig-Holstein die insgesamt anfallenden Herstellungskosten erstmals seit 40 Jahren im Bereich der sozialen Wohnraumförderung im Vergleich zum Vorjahr gesenkt werden", so der Sprecher weiter.