Professor hilft Musikstudenten bei Versagensängsten und Lampenfieber
An der Musikhochschule Lübeck gibt es ab diesem Wintersemester eine neue Professur für Musizierendengesundheit. In den Seminaren geht es um den Umgang mit Ängsten und anderen psychischen Beschwerden von Musikschaffenden.
Daniel Scholz ist Neurowissenschaftler, Diplom Psychologe, Verhaltenstherapeut und Musiker - und ab diesem Wintersemester besetzt er die neue Professur für Musizierendengesundheit an der Musikhochschule Lübeck. Unter anderem gibt er Seminare zum Umgang mit Lampenfieber. Die in Deutschland einzigartige Professur soll dem steigenden Bedarf an Beratung und Behandlung für Musikschaffende gerecht werden. Für die Anschubfinanzierung gibt die Possehl-Stiftung 600.000 Euro aus.
Herr Scholz, wie entstehen bei Profi-Musikerinnen und -Musikern psychische Belastungen?
Prof. Daniel Scholz: Musizieren bedeutet konstant am Leistungslimit zu arbeiten. Die Musikerinnen und Musiker wollen immer Bestleistungen abrufen - und das ist sehr schwierig. Es gibt daher nur sehr wenige Zeiträume, wo sie in so einer fordernden Tätigkeit mal ein bisschen entspannen können. Das heißt, dieses konstante sich Beschäftigen ist eines der Probleme. Ein anderes ist, dass die meisten von ihnen selbständig tätig sind. Sie müssen langfristig planen. Es geht immer um ihre Zukunft, es geht immer darum: Was kommen als nächstes für Auftritte, was kommen für Verträge, finde ich eine Agentur? Also es gibt sehr viele Stressfaktoren, die einen da übers Maximum herausgehen lassen.
Welche Symptome haben die Musizierenden?
Scholz: Am meisten kommen Schmerzen des Bewegungsapparates vor, weil das einfach eine Überlastungsreaktion von sehr viel ausdauerndem Üben ist. Das geht ja täglich mehrere Stunden über einen langen Zeitraum. Da gibt es natürlich Schmerzen, Karpaltunnelsyndrome und anderes. Wir sind hier auf die psychischen beziehungsweise mentalen Gesundheitsaspekte spezialisiert. Da gibt es Auftrittsängste, Versagensängste, Zukunftsängste, depressive Episoden, aber auch Panikstörungen. All das kann vorkommen.
Warum sind die Ängste der Musizierenden noch immer tabuisiert?
Scholz: Früher hieß es: "Wenn Sie Angst haben, sind Sie nicht gemacht für diesen Job.'" Das herrschte vor. Das löst sich zum Glück ein bisschen auf. Lampenfieber war aber immer ein Thema. Darüber wurde nur lange nicht gesprochen. Es galt: Man muss Nerven wie Drahtseile haben, sonst kann man nicht Berufsmusikerin und -musiker werden. Ich glaube, auch das löst sich gesamtgesellschaftlich zum Glück ein bisschen auf und wird endlich thematisiert. Es gibt Ängste, auch bei großen Namen. Profis, die sagen: Ich muss da rangehen. Das wurde früher noch weggedrückt.
Haben Sie eigene Erfahrung mit Lampenfieber?
Scholz: Ja, auf jeden Fall. Ich habe auch unterschiedlich Lampenfieber - je nachdem, in welcher Situation. Manchmal ist es angenehmer, vor einer Gruppe zu sprechen. Ich habe aber auch schon ein, zwei sehr große Vorträge gehalten, wo ich dann im Nachhinein gedacht habe, dass ich lieber eine Gitarre wie so einen Schutz vor mir gehabt hätte. Also klar, ich habe auch immer wieder Lampenfieber, aber nicht mehr dieses hinderliche Auftrittsangst-Ding. Durch viel Übung habe ich inzwischen einen ganz guten Umgang damit.
Was lernen die Studierenden denn im Lampenfieber-Seminar?
Scholz: Das Seminar heißt "Guter Umgang mit Lampenfieber". Es soll eine positive Sache sein, es soll motivieren, es soll Angst nehmen und es soll den Studierenden Werkzeuge an die Hand geben. Wir geben am Ende einen kleinen Notfallkoffer mit Techniken mit. Ganz konkret machen wir progressive Muskelrelaxation nach Jacobson, das ist eine Entspannungsübung. Dann machen wir unterschiedliche Atemübungen. Ganz konkret machen wir auch Auftrittstraining, das heißt, die Studierenden müssen regelmäßig vorspielen, sich präsentieren - und wir evaluieren das.
Ein wichtiger Aspekt ist, dass sie danach positive Selbstaussagen treffen - also zwei oder drei positive Aspekte über ihren Auftritt. Da merke ich häufig, dass das ihnen sehr schwer fällt. Das ist erstmal nicht so einfach, weil das in unserer Kultur nicht so verankert ist, dass man gut über sich selber spricht. Vor allem habe ich nicht diesen strafenden, defizitorientierten Blick, der häufig vorkommt und dieses perfektionistischen Leistungsstreben, was ja typisch ist an Musikhochschulen - da war der Lauf nicht perfekt oder da war die Intonation nicht ganz so gut. Wir üben am meisten positive Selbstaussagen.
Was bedeutet es für Sie, den Studierenden zu helfen?
Scholz: Es ist extrem schön, die Studierenden zu empowern, ihnen Mut zu machen. Es ist so: Wir haben Studierende, die wahnsinnig viele Ressourcen haben, die extrem viele Potentiale haben, die sind größtenteils sehr, sehr begabt, sehr intelligent, kreativ und die können so viel. Und das zu entfalten und möglich zu machen, dadurch, dass es nicht mehr gehemmt und eingeengt wird durch diese Ängste, das ist eine extrem bereichernde Erfahrung. Das gibt mir natürlich auch Kraft und Energie zurück.
Das Interview führte NDR Schleswig-Holstein Reporterin Kati Bochow.