Kolumne: Klassenfahrten zur Bundeswehr - muss das sein?
Hitzige Online-Debatten über Klassenfahrten zur Bundeswehr zeigen, wie umstritten das Thema ist. Unsere Kolumnistin fragt sich, warum es so spaltet - und ob die "Zeitenwende" nicht Anlass sein sollte, zumindest offener darüber zu sprechen.
Auf unserer NDR SH Facebook Seite haben wir vergangene Woche einen Post über die zweitägige Klassenfahrt einer neunten Klasse aus Chemnitz zur Marine nach Eckernförde geteilt. Das Thema: Die Bundeswehr kämpft gegen die Personalnot und greift zu ungewöhnlichen Rekrutierungsmethoden. Das Ergebnis: Eine hitzige Debatte, fast 2.000 Kommentare. Die einen argumentieren, die Schülerinnen und Schüler würden mit so einer Aktion rekrutiert werden, um dann "nur als Kanonenfutter zu dienen", während andere mit Parolen wie "Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin" die Diskussion auf eine pazifistische Ebene ziehen. Das Thema brennt - und das nicht ohne Grund.
"Krieg" kannten wir nur aus Geschichtsbüchern
Ich finde, dass wir erst einmal über einen entscheidenden Punkt sprechen müssen: den Ukraine-Krieg, der uns alle wachgerüttelt hat. Plötzlich reden wir in Deutschland, einem Land mit pazifistischer Grundhaltung, über die Notwendigkeit von Aufrüstung und militärischer Präsenz. Die Zeiten, in denen wir uns darauf verlassen konnten, dass militärische Konflikte weit entfernt bleiben, sind vorbei. Und genau in dieser neuen Realität müssen wir uns fragen, wie wir das Thema Bundeswehr - und damit auch Marine - in unseren Schulen und in der politischen Bildung platzieren. Und diese Debatten müssen wir öffentlich führen - online, wie es augenscheinlich ja schon passiert - aber auch offline. In der Familie, unter Freunden, in der Kantine. Neue Zeiten bedürfen neuer Gespräche - und Gedanken.
Frieden galt als selbstverständlich
Denn bis zum Februar 2022 mussten wir nicht viel darüber nachdenken. Frieden galt vor der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) proklamierten "Zeitenwende" für viele von uns lange als selbstverständlich. "Krieg" war ein Begriff, den man aus Geschichtsbüchern oder Nachrichten kannte, aber nicht aus dem eigenen Leben. Und nun schicken wir Schülerinnen und Schüler zu Exkursionen an Orte, die Krieg und Militär so greifbar machen? Kein Wunder, dass viele besorgt sind. Nicht nur Eltern oder die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die nämlich wehrt sich gegen eine "Militarisierung des Bildungsbereichs" und lehnt auch den Vorschlag der Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) aus dem März dieses Jahres, Schulen für Zivilschutzübungen zu öffnen, ab.
Dürfen wir noch ignorieren, dass die Welt sich geändert hat?
Aber mal ehrlich: Was haben wir noch für Alternativen? Wegsehen? Ignorieren, dass die Welt sich geändert hat? Die Realität ist doch, dass die Bundeswehr - ob wir das wollen oder nicht - eine wichtige Rolle in der heutigen Sicherheitspolitik spielt. Und wie sollen junge Menschen, die sich ohnehin in einer komplexen und oft verunsichernden Welt bewegen, lernen, mit diesen neuen Realitäten umzugehen, wenn wir ihnen die Möglichkeit nehmen, sich selbst eine Meinung zu bilden?
Natürlich gibt es dabei Grenzen. Kein Schüler und keine Schülerin sollte gezwungen werden, an einer solchen Klassenfahrt teilzunehmen. Auch muss klar sein: Das Ziel solcher Ausflüge darf nicht die Rekrutierung sein.
Wissen ist Macht - Aufklärung auch
Aber sich nur theoretisch mit dem Thema Bundeswehr auseinanderzusetzen reicht leider nicht mehr. Bei Aktionen wie solchen Klassenfahrten haben Jugendliche die Möglichkeit, sich tatsächlich mit der Realität des Militärs auseinanderzusetzen. Bis 2011 war das für junge Erwachsene noch beim verpflichtenden Wehrdienst möglich. Seitdem es diesen aber leider, wie ich mittlerweile finde, nicht mehr gibt, brauchen wir dafür solche Exkursionen. Und wir brauchen den Mut, schwierige Fragen zu stellen - und müssen unseren Kindern die Chance geben, sich aktiv mit diesen auseinanderzusetzen. Denn die Generation, die jetzt zur Schule geht, sieht einer anderen Zukunft entgegen als wir. Einer, in der man über Krieg und Frieden nachdenken muss.