Experte der DLRG: "Zivilschutz muss niedrigschwellig beginnen"
Schülerinnen und Schüler sollen laut Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) mit Übungen auf Krisen und einen Kriegsfall vorbereitet werden. Zivilschutz sei wichtig und gehöre in die Schulen. Diese Meinung vertritt auch Hanno Thomas von der DLRG im Gespräch mit NDR.de.
Das Thema polarisiert: Während der Deutsche Lehrerverband und Nothilfeorganisationen den Vorschlag der Ministerin unterstützen, äußerten mehrere Bildungspolitiker Kritik - darunter auch Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU): "Es hilft nicht, der Bevölkerung und insbesondere Kindern und Jugendlichen Angst zu machen."
Hanno Thomas ist Bereichsleiter Medizin beim Bundesverband der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG). Als Verantwortlicher für Kurse zum Thema "Erste Hilfe mit Selbstschutzinhalten" geht er mit verschiedenen Programmen an Schulen. Thomas erklärt, welche Programme es bereits gibt und welche Hoffnungen mit Stark-Watzingers Vorstoß verbunden sind.
Herr Thomas, Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger fordert Zivilschutz als Konstante im Unterricht. Was halten Sie davon?
Hanno Thomas: Das hätte auf jeden Fall einen positiven Effekt auf die Resilienz der Bevölkerung. Denn auch hier gilt: "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr." Wenn man beginnt, das Thema Zivilschutz niedrigschwellig zu behandeln, dann schafft man es vielleicht auch, es in der Bevölkerung zu verankern. Meine Großeltern hatten Eingewecktes im Keller. Die konnten mehrere Tage oder sogar Wochen überleben, denn es gab genug zu essen und zu trinken. Heute wissen viele Leute nicht mehr, wie man einweckt. Wir müssen also dringend eine Lösung finden, um Zivilschutz-Wissen in der Gesellschaft aufzubauen.
Ab welcher Altersgruppe beginnen Sie mit Kursen zum Thema Zivilschutz?
Thomas: Es gibt verschiedene Module: Modul 1 richtet sich zum Beispiel an Kinder im Alter von drei bis zehn Jahren. Das Thema lautet bei unseren Kursen für Kinder und Jugendliche immer "Außergewöhnliche Notlagen", aber die Kurse sind in einen kindgerechten Rahmen eingebettet. Wir gehen also nicht in eine Kita und rufen "Es ist Krieg! Zieht einen Helm auf und duckt euch!", sondern wir denken uns eine Situation aus der Erlebenswelt der Kinder aus. Zum Beispiel eine Rauchentwicklung im Gebäude und die Kinder müssen aus der Kita raus. Oder der Strom fällt ganz lange aus und man kann nicht mehr das Licht anschalten.
Auf welche Krisen würden Sie ältere Kinder und Jugendliche vorbereiten?
Thomas: In den Modulen 2 und 3, die sich an Menschen ab zehn Jahren richten, thematisieren wir auch explizit, welche Notlagen entstehen können. Einbezogen sind auch kriegerische Auseinandersetzungen. Wir beantworten die Frage: Worin münden die allermeisten dieser Probleme? Ein Beispiel: Bei einer langanhaltenden Dürre können die Kraftwerke irgendwann nicht mehr gekühlt werden, dann gibt es einen Stromausfall. Das Gleiche geschieht bei Hochwasser, wenn die Infrastruktur überspült ist. Bei kriegerischen Auseinandersetzungen ist die Stromversorgung auch immer ein Ziel. Die Auswirkungen eines Stromausfalls können sich Kinder und Jugendliche immer gut vorstellen.
Der Strom fällt aus. Was üben Sie dann also mit Kindern?
Thomas: Bei kleinen Kindern geht es zunächst darum zu erkennen, dass es sich um eine außergewöhnliche Situation handelt. Sie sollen darauf trainiert werden, sich Hilfe zu holen bei einem Erwachsenen, aber auch, sich untereinander zu helfen. Und natürlich hoffen wir auch auf einen Multiplikatoreneffekt: Dass also die Kinder nach Hause gehen und den Eltern davon erzählen.
Und welche Situationen stehen bei älteren Kindern und Jugendlichen im Fokus?
Thomas: Mit Jugendlichen besprechen wir zum Beispiel, dass es im Normalfall die Rettungswache gibt, die sie informieren können. Was aber passiert bei einer Lage wie im Ahrtal, wenn die Rettungswache weggeschwemmt wurde, die Brücke zerstört ist, die Telefonleitungen nicht mehr funktionieren? Wenn auch die Feuerwehr nicht mehr kommt, um mir Trinkwasser zu bringen? Da geht es um die persönliche Vorbereitung. In der zweiten Hälfte des Lehrgangs geht es ans Konkrete: Was brauche ich bei einem Stromausfall: Kerzen müssen her, Wasser- und Essensvorräte, ein Kurbelradio, damit wir uns mit Informationen versorgen können. Außerdem bereiten wir darauf vor, was in ein Notgepäck gehört. Was brauche ich also, wenn ich schnell zu Hause raus muss?
Bundesministerin Stark-Watzinger bekam auf ihren Vorschlag für Zivilschutzübungen an Schulen Gegenwind. Manche Kritiker sprachen davon, dass die Krisenvorbereitung Ängste auslösen könnte?
Thomas: Das sehe ich anders. Bei unseren Kursen haben die Kinder ganz viel Spaß. Sie tüfteln über Problemen und finden Lösungen. Den Vorwurf kann ich nur verstehen, wenn ich mit der "Kriegskeule" ankomme. Aber wir nehmen eine Situation aus der Erlebenswelt der Kinder, die ihnen nicht grundsätzlich neu ist. Nur die Dimension wird erhöht.
Gibt es Länder, in denen Zivilschutz ein eigenes Schulfach ist? Und wie sehen die Kenntnisse dort aus?
Thomas: Ich schlage mal eine Brücke zum skandinavischen Raum. Dort ist zum Beispiel das Thema Herz-Lungen-Wiederbelebung in den Schulen verhaftet. Diese Länder haben es geschafft, die Laien-Reanimationsquote auf bis zu über 80 Prozent zu steigern. Es funktioniert also, so ein Wissen in Schulen zu vermitteln. In Deutschland gibt es seit 2014 eine Empfehlung der Kultusministerkonferenz, zwei Stunden Herz-Lungen-Wiederbelebung pro Schuljahr zu implementieren. Aber diese Empfehlung wird nicht flächendeckend umgesetzt.
Zivilschutz als eigenes Fach oder eingebettet in verschiedene Fächer: Wie könnte man Zivilschutz umsetzen?
Thomas: Es gibt ganz viele Aufhänger, wie man das Thema starten könnte. In Mathematik könnte man berechnen, wie wahrscheinlich man als Bürger von einem Stromausfall betroffen sein könnte. In der Physik könnten Pädagogen das ebenfalls thematisieren. Im Musikunterricht ließe sich der Takt zur Herz-Lungen-Massage üben. Man könnte also Kooperationen bilden mit der Lehrerschaft. Aber Bildung ist Ländersache und kann nicht vom Bund vorgegeben werden. Es ist daher gut, wenn eine Bundesministerin das Thema mitträgt. Wenn sie es nicht tut, entsteht auf keinen Fall eine Willensbildung in den Ländern. Auch halte ich es für richtig, dass sie das Wort "Krieg" in den Mund nimmt. Das war jahrelang Tabu, aber die Bevölkerung muss ein Stück Ehrlichkeit vertragen können.
Das Interview führte Birgit Broecheler.