Gewalt: Wie Frauen in SH besser geschützt werden sollen
An jedem dritten Tag tötet bundesweit ein Partner oder Ex-Partner eine Frau. Mindestens acht solcher Fälle gab es in Schleswig-Holstein allein im Jahr 2023. Ein Hochrisikomanagement soll Frauen nun besser schützen.
Fälle, in denen Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern ermordet wurden, gibt es viele - allein im vergangenen Jahr haben mindestens acht solcher Femizide in Schleswig-Holstein Schlagzeilen gemacht: Mann ersticht Ehefrau in Kiel, Mann erschießt Ehefrau in Oldenburg (Kreis Ostholstein) auf der Straße, Ehemann ersticht Frau in Elmshorn (Kreis Pinneberg) - die Liste geht weiter. Besonderes Aufsehen erregte ein Fall in Dänischenhagen (Kreis Rendsburg-Eckernförde) im Mai 2021: Ein Mann, der seine Frau immer wieder verprügelt, bedroht und verfolgt hat, erschießt sie, ihren neuen Freund und einen Bekannten der Familie auf brutale Weise. Seine Gewalttätigkeit und der Besitz vieler Waffen war bekannt. Trotz dieses Wissens ist diese Tat nicht verhindert worden.
Behörden und Beratungsstellen dürfen jetzt mehr Informationen teilen
Fälle wie dieser und viele andere haben Druck auf die Politik ausgeübt, dass sich etwas verändern muss. Nach jahrelanger Vorbereitung hat die Landesregierung jetzt das sogenannte Hochrisikomanagement eingeführt, um Frauen besser vor Gewalt zu schützen. Kern ist dabei eine bessere Zusammenarbeit und ein besserer Austausch einzelner Stellen und Behörden wie Frauenberatungsstellen, Polizei, Justiz und Jugendämter. Ein zentraler Punkt ist dabei zunächst die Gefährdungsanalyse.
Bedrohung von Frauen einschätzen, dann schnell handeln
Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) erklärte diese Gefährdungsanalyse am Donnerstag in einer Landtagsdebatte so: "Eine gewaltbetroffene Frau wendet sich an eine Facheinrichtung, die schätzt dann zuerst einmal die konkrete Gefahr ein." Mit einer wissenschaftlichen Analyse anhand eines Fragenkatalogs und einem an die Antworten geknüpften Punktesystem werde die Gefährdung eingestuft. Dabei werden Fragen gestellt wie: "Gab es bereits eine polizeiliche Intervention wegen häuslicher Gewalt? Kontrolliert er die meisten oder alle ihrer Aktivitäten? Hat er jemals gedroht, sie umzubringen oder einen Selbstmordversuch unternommen?" Je mehr Fragen mit ja beantwortet werden, desto höher die Punktzahl. Überschreitet das Ergebnis einen bestimmten Wert, ist die Frau in akuter Gefahr. Sie ist ein Hochrisikofall.
Liegt ein solcher Hochrisikofall vor, wird so schnell wie möglich eine Fallkonferenz einberufen: Dabei kommen Vertreter von Polizei, Frauenhäusern, Beratungsstellen, Justiz - und wenn die Frau Kinder hat von Jugendämtern zusammen an einen Tisch. Bereits vor zwei Jahren seien für den Datenaustausch zwischen den Institutionen die rechtlichen Grundlagen geschaffen worden, so Touré. "Es werden Schutzmaßnahmen für die betroffene Frau und meistens ihre Kinder erarbeitet, Schutzlücken identifiziert und geschlossen." Die betroffene Frau werde von Frauen-Facheinrichtungen beraten, begleitet und unterstützt. "Es darf nicht darum gehen, dass Frauen ihr Leben und ihre Lebensweise wegen des Täters komplett verändern müssen. Nicht die Betroffenen sollten ihr gesamtes Leben verändern, sondern die Täter."
Nicht Opfer sollen ihr Leben einschränken, sondern die Täter
Der Landesverband für Frauenberatung Schleswig-Holstein war daran beteiligt, dieses Hochrisikomanagement auf den Weg zu bringen. Geschäftsführerin Katharina Wulf sagt: "Das ist tatsächlich ein Fortschritt, weil es oft so ist, dass jede Institution so für sich herumdoktert." Wenn jetzt eine hochgefährdete Frau in die Beratung kommt, gebe es mit der Gefährdungsanalyse und den Fallkonferenzen ein Verfahren, bei dem alle Erkenntnisse zusammengebracht werden könnten: "Die Frauen-Facheinrichtungen, die sagen: Diese Frau berichtet uns, dass sie bedroht wird, dass sie geschlagen wird, dass auch ihre Familie eventuell bedroht wird. Und die Polizei berichtet dann: Wir haben auch Erkenntnisse, wir haben da Einsätze gehabt. Und wenn wir das zusammenschmeißen, dann ergibt sich ein viel schärferes Bild davon, in welcher Lage diese Frau sich befindet." In den nächsten Schritten soll es dann darum gehen, eine konkrete Lösung für den Fall zu finden.
Katharina Wulf erhofft sich durch das Hochrisikomanagement einen Paradigmenwechsel: Bisher sei es oft so, dass Frauen bei Gefährdung durch den Partner oder Ex-Partner in ein Frauenhaus gehen oder für den Mann ein Annäherungsverbot erlassen wird. Diese Maßnahmen würden aber vor allem die Frau einschränken: Bei Annäherungsverboten dürfe sich der Mann bestimmten Orten nicht mehr nähern - die die Frauen dann aus Angst nicht mehr verlassen. Und wenn ein Mann gegen ein solches Verbot verstößt, folge die Konsequenz oft spät und milde - wie in Form eines Ordnungsgeldes: "Und das nützt der Frau leider nichts. Also wird die Frau eventuell gar nicht diesen Weg gehen und die Übertretung des Annäherungsverbot melden." Es gebe bereits Mittel im Gesetz, die Tatfreiheit der Männer einzuschränken, die für Frauen eine Bedrohung darstellen: Beispielsweise durch ein Aufenthaltsgebot für den Mann, das ihm nur erlaubt, sich an festgelegten Orten aufzuhalten - wie die Wohnung, den Arbeitsort und den nächsten Supermarkt.
"Gewalt ist keine Privatsache"
Nach einer Pilotphase in Ratzeburg (Kreis Herzogtum-Lauenburg) und Flensburg gibt es das Hochrisikomanagement jetzt in ganz Schleswig-Holstein. Nach einem Jahr soll es eine ausführliche Auswertung geben, dafür sprachen sich alle Fraktionen im Landtag aus. "Gewalt ist keine Privatsache", sagt die CDU-Abgeordnete Katja Rathje-Hoffmann. Das gemeinsame Ziel sei die Verringerung der Gewalt an Frauen. Und die SPD-Abgeordnete Beate Raudies machte deutlich, dass es bei allen entsprechenden Maßnahmen keine finanziellen Kürzungen geben dürfe. Unterstützt wird das Hochrisikomanagement auch von der FDP, deren Abgeordnete Annabell Krämer sich aber noch mehr Engagement bei dem Thema wünscht. Denn der Schutz vor Gewalt sei keine freiwillige Aufgabe des Landes, sondern Pflicht.