Schweigeminute und Gottesdienst: Hunderte gedenken der Opfer von Brokstedt
Ein Jahr nach der tödlichen Messerattacke wurde in Brokstedt an die Opfer erinnert. Zahlreiche Angehörige und Freunde versammelten sich, Ministerpräsident Daniel Günther und der Bürgermeister des Ortes hielten Ansprachen. Auch der Vater eines der Opfer wandte sich an die Anwesenden.
Vor einem Jahr, am 25. Januar 2023, kam am Bahnsteig in Brokstedt (Kreis Steinburg) ein Regionalzug zum Stehen, in dem ein Mann eine 17-Jährige und einen 19-Jährigen mit einem Messer getötet hatte. Vier weitere Menschen erlitten erhebliche Verletzungen.
Kränze am Gedenkstein niedergelegt
Am Donnerstag wurde deshalb an die Opfer erinnert. Zu der Gedenkveranstaltung sind Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) und Justizministerin Kerstin von der Decken (CDU) nach Brokstedt gekommen. Auch der Bürgermeister des Ortes, Clemens Preine (CDU), der Vater der getöteten 17-Jährigen, Michael Kyrathund, und ein Vertreter der Deutschen Bahn sind vor Ort. Kurz nach 17 Uhr hielten sie auf dem Bahnsteig in Brokstedt eine Schweigeminute ab. Außerdem legten sie Kränze nieder - ein Gedenkstein für die beiden Todesopfer wurde dort schon vor wenigen Tagen aufgestellt.
Bereits einen Tag nach der Tat im vergangenen Jahr hatten Günther, Sütterlin-Waack und Bürgermeister Preine gemeinsam mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Wartehäuschen auf dem Bahnsteig weiße Blumen niedergelegt, um der Opfer zu gedenken. Die Wartebank glich damals einem Meer aus Blumen und Kerzen.
Günther: "Tat hat sich ins kollektive Gedächtnis gebrannt"
Vom Bahnhof aus gingen die Teilnehmenden zur Evangelischen Kirche in Brokstedt. Dort entzündeten sie gemeinsam Kerzen. In einer anschließenden Ansprache sagte Ministerpräsident Günther, die Tat am 25. Januar 2023 habe sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt. "Wir alle denken heute an zwei junge Menschen, die aus dem Leben gerissen worden sind, wir denken an Menschen, die im Zug waren, die verletzt sind an Leib und Seele", so der Ministerpräsident. Günther sprach den Familien, allen Trauernden und den Menschen, die noch immer unter den Ereignissen leiden, sein Mitgefühl aus. Außerdem erwähnte er den Mut der Mitreisenden, die den Täter überwältigten und dankte allen Helferinnen und Helfern. Dann betonte er, dass die politische Aufarbeitung laufe. Ihm sei bewusst, dass sich viele Fragen stellen. "Wir müssen auch in der Politik Lehren ziehen", so Günther. Die Landesregierung habe gemeinsam mit Hamburg Maßnahmen auf den Weg gebracht - man sei aber noch nicht am Ende.
Bürgermeister: Geschehnisse bleiben für immer in Erinnerung
Brokstedts Bürgermeister Clemens Preine sagte, die Geschehnisse und Bilder würden für immer im Gedächtnis bleiben. "Das Leben zweier Teenager, die noch so viele Pläne hatten, ein junges Glück wurde durch diese sinnlose Tat ausgelöscht." Heute sei klar, dass fehlende Absprachen zwischen Behörden die Tat begünstigt hätten. Erste Konsequenzen seien bereits gezogen worden, weitere müssen aber folgen, so Preine. Er bedankte sich bei allen, die geholfen hätten, die schlimmen Ereignisse zu verarbeiten und Brokstedt wieder halbwegs zur Normalität zu führen. Durch die Opferschutzberatung und viel Eigeninitiative sei etwas Großes entstanden.
Notfallseelsorge für Betroffene
Doch gerade zum Jahrestag ist die Tat im Ort wieder sehr präsent. Auch Opferschutzbeauftragte Ulrike Stahlmann-Liebelt erklärte, für viele Betroffene sei der Tag schwer. "Der Jahrestag wird nochmal viele Erinnerungen wach rufen. Der wird die Bilder nochmal bringen. Das bleibt nicht aus", sagte sie. Deshalb sei zum Beispiel eine Notfallseelsorge organisiert worden. Vor der Gedenkveranstaltung wurde von der Gemeinde, dem Land, der Opferberatung und auch mit Schildern im Ort ausdrücklich darum gebeten, den Trauernden Raum zu geben und sie in Ruhe an der Veranstaltung teilnehmen zu lassen.
Vater dankbar für Anteilnahme und Unterstützung
Auch Michael Kyrath richtete einige Worte an die Anwesenden. Ihm ist es besonders wichtig, dass die Tat und die Opfer, zu denen seine Tochter Ann-Marie gehört, nicht vergessen werden. "Plötzlich war nichts mehr wie vorher", sagte er. Die letzten zwölf Monate seien von allgegenwärtigem Schmerz und unvorstellbaren Gedanken, Herausforderungen, aber auch Lernen geprägt gewesen. Kyrath dankte Günther und Innenministerin Sütterlin-Waack für die Anteilnahme und Unterstützung. "Schleswig-Holstein hat bewiesen, dass man mit vereinten Kräften Berge versetzen kann", sagte er. "Das Zusammenspiel von Politik, den Ministerien, der Polizei, den verschiedenen Hilfsorganisationen, Rettungsdiensten und allen anderen Beteiligten war beispielhaft und für uns eine große Hilfe."
Gedenkgottesdienst am Abend
Um 18 Uhr begann in der Kirche ein Gedenkgottesdienst. Die 300 Plätze waren alle belegt. Vor der Kirche gab es eine Ton-Übertragung.
Zum Gottesdienst vor rund einem Jahr hatten sich Hunderte Menschen in der Vicelinkirche in Neumünster versammelt. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nahm damals teil. Etwa 200 Angehörige, Betroffene und Anwohner waren zuvor zu einer kleineren, stillen Andacht in Brokstedt zusammen gekommen. Bei beiden Veranstaltungen waren zahlreiche Landespolitiker vertreten.
Prozess und politische Aufarbeitung laufen weiter
Mit der politischen Aufarbeitung der Tat und der Frage, welche Konsequenzen bereits erfolgt sind, befasst sich am Freitag der Landtag. Vor dem Landgericht Itzehoe läuft derweil weiter der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter. Mehr als 60 Zeuginnen und Zeugen haben bereits ausgesagt - einige haben die Tat mit angesehen, andere haben den Angeklagten kurz davor oder danach gesehen, wieder andere hatten früher mit ihm Kontakt. Eine der wichtigsten Fragen ist: War der Täter zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig oder ist er psychisch erkrankt und dadurch möglicherweise schuldunfähig? Der Prozess ist bis Ende April angesetzt. Wann mit einem Urteil zu rechnen ist, ist noch unklar. Derzeit läuft weiter die Beweisaufnahme.