Hunderte Menschen trauern um Opfer der Messerattacke bei Brokstedt
Zum Gedenken an die beiden Todesopfer der Messerattacke in einem Zug bei Brokstedt haben sich am Sonntag Hunderte Menschen in der Vicelinkirche in Neumünster versammelt. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nahm an dem ökumenischen Gottesdienst teil.
Neben Familienangehörigen und Freunden der Opfer sowie Rettungskräften fanden sich auch der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und zahlreiche weitere Landespolitiker in der Kirche ein. In Neumünster hatten die bei dem Messerangriff am 25. Januar Getöteten, eine 17-Jährige und ein 19 Jahre alter Mann, die Berufsschule besucht.
"Wir werden niemals akzeptieren, dass so etwas in unserem Land geschieht", hatte Scholz bereits vor dem Gottesdienst bei seinem Besuch des SPD-Landesparteitags in Husum gesagt. Zwei junge Leute seien unschuldige Opfer einer völlig verrückten Tat geworden, so der Kanzler.
Erzbischof Heße: Anteilnahme ist überwältigend und macht Mut
Zu dem öffentlichen Gottesdienst in Neumünster hatten die Katholische und die Evangelische Kirche gemeinsam eingeladen. "Was bei Brokstedt geschehen ist, überfordert und übersteigt unsere Vorstellung", sagte Erzbischof Stefan Heße laut vorab veröffentlichtem Redetext. "So ein Gottesdienst macht nichts ungeschehen. Die Seelen von vielen Menschen werden noch lange wund sein. Aber das gemeinsame Gebet und das gemeinsame Gedenken trägt uns." Die große Anteilnahme sei überwältigend und mache Mut. Die Gesellschaft müsse im Dialog bleiben, so der Erzbischof weiter. "Deshalb haben wir heute auch besonders für den Zusammenhalt in den Städten und Dörfern gebetet."
Bischof Magaard: Menschen im ganzen Land sind erschüttert
In der schlichten Kirche brannten zehn große Kerzen. Die getötete 17-Jährige war in Elmshorn Ministrantin. Deren kleines Kreuz, das sie oft in der Kirche dabei hatte, brachten andere Messdienerinnen und Messdiener von dort nach Neumünster und banden es dort an ein großes Kreuz. "Schreckliches ist geschehen, eine sinnlose Gewalttat in einem Zug, die viele Opfer gefordert hat", sagte der Bischof der Evangelischen Kirche im Sprengel Schleswig und Holstein, Gothart Magaard. Die Menschen im ganzen Land seien erschüttert. Dass es mitten im Leben lebensgefährliche Gewalt und Tod gebe, sei schwer zu ertragen und mache wütend.
Auch die Landesbischöfin der Nordkirche, Kristina Kühnbaum-Schmidt, betete während der Gedenkfeier für die Opfer und Angehörigen. Die Menschen seien "erschrocken und fassungslos, voller Schmerz", auch suchend, zweifelnd und fragend. Für die muslimische Religionsgemeinschaft Schura sprach die stellvertretende Landesvorsitzende, Şeyda Sarıçam, ein Friedensgebet.
Mutmaßlicher Täter sitzt in Untersuchungshaft
Der mutmaßliche Täter, ein 33 Jahre alter Palästinenser, sitzt wegen zweifachen Mordes und versuchten Totschlags in vier Fällen in Untersuchungshaft. Bei dem Messerangriff in einem Regionalzug von Kiel in Richtung Hamburg am 25. Januar waren fünf weitere Menschen verletzt worden, drei davon lebensgefährlich.
Verantwortlichkeit zwischen Hamburg und Kiel weiter ungeklärt
Die Länder Schleswig-Holstein und Hamburg sind sich seit Tagen uneinig über die Verantwortung und versäumte Weitergaben von Informationen: Der mutmaßliche Messerangreifer Ibrahim A. saß zuvor wegen einer anderen Tat in Hamburg in Untersuchungshaft. Zuletzt hatte es Vorwürfe aus Kiel gegeben, wichtige Informationen zur Haft des Mannes in Hamburg seien nicht übermittelt worden. Hätte die Ausländerbehörde in Kiel von der Haft des mutmaßlichen Täters gewusst, hätte schon vor dessen Entlassung über seinen Aufenthaltsstatus entschieden werden können. Der Hamburger Senat weist diese Vorwürfe zurück.
Ibrahim A. soll im Hamburger Gefängnis auffällig gewesen sein
Fast zeitgleich mit dem Gottesdienst wurden neue Erkenntnisse über Ibrahim A. bekannt. Am Sonntag meldete die Deutsche Presse-Agentur, dass Ibrahim A. im Hamburger Gefängnis aggressiv gewesen sein soll und Bedienstete beschimpft haben soll. So soll er sich wenige Monate vor seiner Entlassung aus dem Hamburger Gefängnis mit dem Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, Anis Amri, verglichen haben. "Es gibt nicht nur einen Anis Amri, es gibt mehrere, ich bin auch einer", habe er zu Bediensteten gesagt. Das teilte die Justizbehörde auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag mit. Die Äußerung vom August 2022 sei in einem sogenannten Wahrnehmungsbogen in der Gefangenenpersonalakte festgehalten worden. Zudem gehe daraus hervor, dass Ibrahim A. am 6. August 2022 bei der Vorbereitung für die Freistunde auf dem Hof nach Wahrnehmung eines Bediensteten "vor sich hinstammelte": "Großes Auto, Berlin, das ist die Wahrheit".
Gegenüber einem weiteren Bediensteten äußerte er den Angaben zufolge auf dem Weg zum Hof zwei Mal, ob dieser auch "unter die Reifen" wolle. Ibrahim A. fiel nach Angabe der Behörde während seiner Untersuchungshaft wiederholt als verbal aggressiv und unangemessen auf. Er versuchte demnach auch, seinen Forderungen mit Beschimpfungen Nachdruck zu verleihen. Abgesehen vom Vorfall vom 6. August 2022 seien jedoch keinerlei Äußerungen dokumentiert, die einen extremistischen Bezug nahelegen könnten. Auch sein übriges Vollzugsverhalten sei insoweit unauffällig gewesen, hieß es.