Kameras, die auf Wolken starren - und die Energiewende voranbringen
Mit Klimawandel und Energiewende etablieren sich auch neue Forschungsfelder. Energiemeteorologe Jonas Stührenberg vom DLR Oldenburg etwa kann kurzfristig voraussagen, wo Solaranlagen von Wolken beschattet werden.
Was sich beim ersten Lesen nach banaler Wettervorhersage anhört, ist möglicherweise einer von vielen Bausteinen für eine gelingende Energiewende. Auf der Internetseite der Abteilung Energiesystemanalyse des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oldenburg heißt es denn auch, dass es das Ziel sei, "durch die Bereitstellung von detailliertem Orientierungswissen eine optimale Gestaltung und Steuerung vernetzter Energiesysteme mit hohen Anteilen erneuerbarer Energien zu ermöglichen, die ökonomisch und ökologisch vorteilhaft sowie gesellschaftlich akzeptiert sind." Was heißt das nun ganz konkret?
Die Leitfrage: Wo sind demnächst Wolken zu erwarten?
Stührenberg zum Beispiel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Vernetzte Energiesysteme des DLR und leitet das Projekt "Eye2Sky" (frei übersetzt "Blick in den Himmel"), eine Art Wolkenkameranetzwerk. Über 30 Kameras und Sensoren, die in Oldenburg und dem gesamten Nordwesten Niedersachsens installiert sind, bilden dieses Netzwerk. Die Kameras sind nach oben gerichtet und liefern alle 30 Sekunden Bilder an einen Hochleistungsrechner. Mithilfe weiterer Daten von Beobachtungssatelliten können Stührenberg und sein Team Höhe und Geschwindigkeit der Wolken sowie die Sonneneinstrahlung berechnen, erklärt der Wissenschaftler. "So können wir sagen, ob der Himmel an einem bestimmten Ort in 30 Minuten bewölkt ist oder die Sonne scheint." Und für wen ist das wichtig?
Das Problem: Unbeständige Stromproduktion
Es sind vor allem die großen Stromnetz-Betreiber und die Betreiber großer Solarparks, die in einigen Jahren von den Ergebnissen der Forschung profitieren sollen. Denn die Abkehr von zuverlässig stromerzeugenden Kohlekraftwerken und Atommeilern hin zu den erneuerbaren Energien bringt ganze andere Anforderungen an die Stromnetze mit sich. Windräder liefern Strom, wenn es Wind gibt. Photovoltaik liefert Strom, wenn die Sonne scheint, also keine Wolken und kein Hochnebel den Himmel trüben. Beide Systeme liefern in unseren Breiten naturgemäß also nicht beständig und gleichbleibend Energie. Die Netzbetreiber sind mit Stromspitzen konfrontiert, die das Netz überbelasten können. Oder eben mit einer Unterversorgung - dann müssen die Stromanbieter oft für viel Geld auf dem Strommarkt Energie nachkaufen.
Die Zukunft: Dezentrale Stromerzeugung
Zudem waren Stromnetze in der Vergangenheit quasi eine Einbahnstraße: Auf der einen Seite wird Strom eingespeist, auf der anderen Strom verbraucht. Mittlerweile und in Zukunft mit hoher Sicherheit noch viel mehr ist die Stromerzeugung dezentral - vor allem dank vieler Tausend Solaranlagen auf Dächern und selbst Balkonen. Eine genaue Prognose von Stromerzeugung und -verbrauch wird somit noch schwieriger für die Betreiber der Netze.
Die Lösung: Vernetzung der Systeme
Können nun aber relativ sichere Vorhersagen für die nächsten Minuten und Stunden getroffen werden, wo mit Wolken und wo mit viel Sonneneinstrahlung zu rechnen ist, können die Netzbetreiber entsprechend reagieren: So könnte Strom etwa bei großer Energieeinspeisung für sonnenärmere Tage gespeichert werden. Zudem könnte etwa bei einer weiteren Vernetzung auch mit Privathaushalten sowie Industrie und anderen Firmen immer genau dann der Strom verbraucht werden, wenn er in großen Mengen bereitsteht und somit günstiger ist, zum Beispiel für das Aufladen von E-Autos. Dazu muss man als Stromanbieter und Netzbetreiber wissen, wo und wann sich am Himmel Wolken zwischen Sonne und Solaranlage schieben. Womit man dann wieder beim DLR und Jonas Stührenberg wäre - und seinen Kameras, die auf Wolken starren.