Schule 3.0: Wie die Bildung von morgen aussehen könnte
Viele Schulabbrecher, fehlende Lehrkräfte und Fachkräfte in Unternehmen, Druck durch Digitalisierung - auch in Mecklenburg-Vorpommern steht das Bildungssystem vor großen Problemen. Schulen im Land suchen nach Lösungen.
Die Sommerferien stehen hierzulande vor der Tür. Auch in diesem Schuljahr wurden die Probleme wieder deutlich: viele Schulabbrecher, fehlende Lehrkräfte und Fachkräfte in Unternehmen, Druck durch Digitalisierung. Auch in Mecklenburg-Vorpommern fehlt es an Personal und Geld. Die soziale Ungleichheit bleibt hoch und die Zuwanderung verstärkt das Problem noch. Das zeigt der mehrere hundert Seiten umfassende nationale Bildungsbericht 2024 auf.
Quote bei Jugendlichen ohne Schulabschluss steigt
Bei den Zahlen der Jugendlichen, die die Schule ohne Abschluss verlassen, liegt Mecklenburg-Vorpommern mit einer Quote von 5,6 Prozent im Jahr 2023 zwar unter dem Bundesdurchschnitt von 6,9 Prozent, doch auch hier zeigt sich ein leichter Anstieg. Die Landesregierung setzt auf ein neues Konzept zur Beruflichen Förderung. "Mit den Partnerinnen und Partnern des Zukunftsbündnisses haben wir uns eng abgestimmt. Die berufliche Orientierung beginnt künftig in der Kita und wird bis zum Ende der Sekundarstufe II umgesetzt", sagt Bildungsministerin Simone Oldenburg (Die Linke).
Schulen setzen vermehrt auf praktische Projekte im Unterricht
Die Regionale Schule in Dargun (Landkreis Mecklenburgische Seenplatte) setzt das bereits um. Mit Erfolg. "Alle Schulabgänger haben ihren Abschluss geschafft. Von 21 haben 20 schon einen Ausbildungsplatz", sagt der Schulleiter Jörg Leischow stolz. Zufall sei das nicht. Die Schule kooperiert seit Jahren mit Unternehmen. Ein starker Partner ist EcoNautic - eine regionale Firma, die Teile für Turbolader, Airbags und Gasturbinen herstellt. Pro Halbjahr gehen Schülerinnen und Schüler im Rahmen des Ganztagsunterrichtes in den Betrieb. Mit Hilfe eines erfahrenen Ausbilders lernen sie am praktischen Beispiel. Zuletzt haben sie ein Modellauto gebastelt. Steffen Zahn, Geschäftsführer von EcoNautic, stellt nur eine Bedingung: "Wir wollen in diesem Kurs nur junge Leute, die Lust und Interesse an unserer Arbeit haben." Abgebrochen hat noch niemand. Vielleicht auch, weil die Schule schon vorher im Unterricht schaut, wer welche Fähigkeiten und Interessen hat.
Ostsee-Schule Wismar: Nominiert als beste Schule Deutschlands
Auf viel Praxis setzt auch die Ostsee-Schule Wismar. Max aus der 7. Klasse hat seine Matheaufgaben schon fertig. Er entscheidet selbstständig, wann er welchen Unterrichtsstoff macht, und ist nicht mit seinen Mitschülern gleichgeschaltet. Jetzt kümmert er sich um sein Herzensprojekt draußen, vor der Schule. "Ich entwickle hier ein automatisches Beetsystem. Es kann anpflanzen, es kann Unkraut schreddern, gießen, umgraben und die Feuchtigkeit im Boden messen", sagt der Regionalschüler. Das läuft über einen kleinen Computer, den Max selbst programmiert. So lernt er nicht nur etwas über Technik, sondern auch ganz nebenbei über Biologie. Aufgrund ihres Projektunterrichts ist die Ostsee-Schule Wismar auch für das Finale des Deutschen Schulpreises im Oktober nominiert. Dann treffen sich die 15 besten Schulen Deutschlands in Berlin.
Auch Lehramtsstudierende wollen mehr Praxis
Nicht nur Schülerinnen und Schüler sollen praktischer lernen, wenn es nach dem Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) der Universität Rostock geht. Dass im Schnitt jeder zweite Lehramtsstudierende sein Studium abbricht oder in einen anderen Studiengang wechselt, habe auch mit dem fehlenden Praxisanteil zu tun. Der AStA fordert ein Praxisjahr ähnlich wie es die Hochschule für Musik und Theater in Rostock (HMT) bereits anbietet. Zukünftige Musik- und Theaterlehrkräfte probieren sich über ein ganzes Jahr einmal wöchentlich an Schulen aus.
Angehende Lehrer sehen sich als "Lernbegleiter"
Eine Gruppe von Studierenden der Universität Greifswald setzt bereits jetzt auf frühen Kontakt zur Schule. Mathematik-Student Louis Wilk will vieles anders machen als seine Lehrerinnen und Lehrer: "Ich kenne es noch, dass der Lehrer vorne steht und Dozent ist. Davon müssen wir weg. Wenn ich Lehrer bin, sehe ich mich eher als Lernbegleiter." Diese Rolle erprobt er selbst an einer Greifswalder Schule und bespricht sich anschließend mit seiner Seminargruppe. Zu der gehört auch Felix Brandt, der glaubt, dass Technik in seiner Laufbahn eine große Rolle spielen wird. "Das Thema Hausaufgaben muss zum Beispiel überdacht werden, da man da viele KI-Produkte bekommt," so Brandt. Er sieht aber Potential darin, Künstliche Intelligenz im Unterricht zu nutzen.
Künstliche Intelligenz im Stundenplan und im Lehrerzimmer
Künstliche Intelligenz im Unterricht - das macht Gert Mengel schon an der Don-Bosco-Schule in Rostock. In einer 9. Klasse lässt sich der Schulleiter und Lehrer von seiner Assistentin helfen. Doch die junge Frau auf dem Bildschirm gibt es in Wirklichkeit nicht. Mengel hat sie erstellt - mit Hilfe von KI. Seine virtuelle Kollegin soll den Jugendlichen Chancen und Risiken von Künstlicher Intelligenz vermitteln. "Wir wollen ja kritisch denkende Jugendliche. Da spielt ein Thema wie zum Beispiel Deepfakes eine Rolle", sagt Mengel. Das sind Videos, die Personen etwas sagen lassen, was sie so nie geäußert haben. Im Unterricht lernen die Jugendlichen, wie sie solche Lügenvideos erkennen, beispielsweise Beispiel an unnatürlichen Lippenbewegungen.
Künftig mit KI Aufsätze kontrollieren
Nicht nur Schülerinnen und Schüler können KI nutzen. In Laage (Landkreis Rostock) erprobt ein Lehrerteam ein Programm, dass trainiert wird, Aufsätze zu korrigieren. Thomas Beutling, stellvertretender Schulleiter am Recknitzcampus, muss die Deutscharbeiten nur noch einscannen. Die KI macht den Rest. Sie streicht Rechtschreibfehler an und wertet die Aufsätze auch inhaltlich aus. "Noch klappt das nicht perfekt. Wir korrigieren alle Arbeiten auch nochmal selbst, vergleichen es mit dem Ergebnis der KI und können den Entwicklern dann zurückmelden, was verbessert werden muss", so Beutling. Er hoffe aber, dass so die Lehrkräfte in Zukunft auch entlastet werden können.
Lehrkräftemangel: Quereinsteiger werden immer wichtiger
Entlastung ist dringend nötig. Wie überall in Deutschland gibt es auch an den Schulen in Mecklenburg-Vorpommern zu wenige Lehrerinnen und Lehrer. Bis 2030 geht jede fünfte Lehrkraft in Rente, zu wenige junge Lehrerinnen und Lehrer kommen nach. In den kommenden Jahren muss das Land jährlich rund 700 Pädagoginnen und Pädagogen einstellen. Vor dem aktuellen Schuljahr waren es 617 neue Lehrkräfte, jeder Dritte war Seiteneinsteiger. Laut dem Bildungsbericht 2024 haben zwölf Prozent der Lehrkräfte keine klassische Lehramtsausbildung. In MV sind es genauso viele, wie das Bildungsministerium auf NDR-Anfrage mitteilte. Das Land hat in den letzten Jahren die Ausbildung von Seiteneinsteigern immer weiter ausgebaut. Mittlerweile durchlaufen sie eine Vorqualifizierung bevor sie an die Schule gehen. Später folgt ein zwei bis fünf Jahre langer berufsbegleitender Vorbereitungsdienst, ähnlich einem Referendariat. Seiteneinsteiger werden immer wichtiger. Ohne sie ist dem Lehrermangel nicht mehr beizukommen.
Digitaler Physiklehrer hilft in Dettmannsdorf
Fabian Gottwald ist kein Lehrer. Er arbeitet als studierter Physiker in der Automobilbranche in Braunschweig. Von dort schaltet er sich per Videostream in den Unterricht einer neunten Klasse am Evangelischen Bildungscampus in Dettmannsdorf (Landkreis Vorpommern-Greifswald). "Ich bringe das Fachwissen mit und meine Kollegin die Didaktik und Pädagogik", sagt Gottwald. Damit meint er Mareile Queren, die Grundschullehrerin und Biotechnologin ist: "Ich glaube, dass die Jugendlichen so auch Kontakt zur Arbeitswelt bekommen. Herr Gottwald kann ihnen erklären, was sie mit Physik später mal anfangen können. Und Onlinekonferenzen wie hier im Unterricht werden immer wichtiger in vielen Jobs."
Die Schule von morgen ist digital
Egal, wer antwortet - ob Kinder, Jugendliche oder Lehrkräfte - auf die Frage, wie die Schule von morgen aussieht, ist immer wieder von einer digitalen Schule die Rede. Martha Queren beispielsweise, Schulleiterin in Dettmannsdorf, wünscht sich einen kleinen Roboter: "Der könnte mich morgens begrüßen und mir dank seiner Künstlichen Intelligenz Aufgaben abnehmen." Eine Welt ohne Schulbücher hält Constantin Rohr, Zwölftklässler am Regionalen Beruflichen Bildungszentrum Müritz in Waren (Landkreis Mecklenburgische Seenplatte) für realistisch: "Die werden durch Lern-Apps und Schülerlaptops überflüssig. So kann man einfach und von überall auf Unterrichtsmaterial zugreifen." Der 19-Jährige nennt auch "itslearning", eine cloudbasierte Plattform, die das Land derzeit nach und nach allen Schulen bereitstellen will. Mariella aus einer 9. Klasse der Don-Bosco-Schule Rostock ergänzt: "Es kann nicht früh genug losgehen Tablets zu benutzen, vielleicht schon in der fünften Klasse. Dazu müssten Lehrer sie aber noch besser in den Unterricht einbauen." Das Thema Technik denkt Drittklässler Luca aus Dettmannsdorf ganz anders. Er würde lieber in Zukunft die Möglichkeit haben zur Schule zu fliegen.