Ein kleines Mädchen sitzt vor dem Fenster auf dem Fussboden im Kinderzimmer. © picture alliance / Fotostand Foto: K. Schmitt

In MV fehlen Kinder- und Jugendpsychotherapeuten

Stand: 20.01.2023 06:01 Uhr

Der Therapiebedarf für Kinder und Jugendliche ist mit der Corona-Pandemie gewachsen. Viele warten jedoch Monate auf einen Therapieplatz. Schon vor mehr als zwei Jahren kritisierte die zuständige Kammer die Versorgungslage in Mecklenburg-Vorpommern - geändert habe sich seitdem nichts.

von Carolin Kock

Die Folgen der Corona-Pandemie belasten Kinder und Jugendliche noch immer - und es rücken neue Krisen nach. Zu diesem Ergebnis kommt die mittlerweile fünfte COPSY-Studie über die seelische Gesundheit von sieben bis 17-Jährigen. Zwischen 32 bis 44 Prozent von ihnen haben Ängste und Zukunftssorgen durch den Ukraine-Krieg und die Inflation. "Es besteht dringender Handlungsbedarf, den belasteten Kindern und Jugendlichen zu helfen, damit sie psychisch wieder gesunden und im späteren Erwachsenenleben keine Langzeitschäden entwickeln", sagt die Hamburger Kinder- und Jugendpsychiaterin Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer. Vor allem Kinder, deren Eltern stark belastet sind, eine geringere Bildung haben und über beengten Wohnraum verfügen, gehören zur Risikogruppe.

Ostdeutsche Psychotherapeutenkammer kritisiert Versorgungslage

Doch diesem höheren Bedarf können die Kinder- und Jugendpsychotherapeuten in Mecklenburg-Vorpommern nur schwer nachkommen. Die Anfragen nach Therapieplätzen hätten deutlich zugenommen, die Wartezeiten seien weiterhin lang, so eine Sprecherin der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer (OPK). Die Übergänge zwischen den Versorgungsbereichen würden nicht mehr reibungslos funktionieren, während die Symptome der jungen Patientinnen und Patienten immer komplexer werden. Schon vor mehr als zwei Jahren kritisierte die Kammer die mangelnde Versorgung. Seitdem habe sich nichts geändert. Ein Grund: Noch immer gebe es zu wenig Kinder- und Jugendpsychotherapeuten mit Kassenzulassung.

Trotz Corona keine zusätzlichen Kassensitze

Wie viele Kassensitze für Kinder- und Jugendpsychotherapeuten es in Mecklenburg-Vorpommern gibt, bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA), in dem vor allem die Krankenkassen und Kassenärzte vertreten sind. Der GBA änderte im vergangenen Jahr zumindest die Bedarfsplanung für Kinder- und Jugendpsychiater. Das bedeutet für Mecklenburg-Vorpommern rechnerisch einen Kassensitz mehr. Für die Zahl der Kinder- und Jugendpsychotherapeuten ändert sich damit aber nichts. Die Ostdeutsche Psychotherapeutenkammer fordert deshalb befristete Sonderzulassungen. Die könnten von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) geschaffen werden. Anders als in anderen Bundesländern gibt es die hierzulande jedoch bis heute nicht. Von der KV heißt es auf Anfrage, dass nur ein Zulassungsausschuss im Einzelfall über Sondersitze entscheide, wenn es konkrete Anträge von Kinder- und Psychotherapeuten gibt. Ob es zusätzliche Bewerber gab, beantwortete der Ausschuss auf NDR Anfrage nicht.

Landesregierung wartet auf den Bund

Laut OPK könnte die Landespolitik Druck aufbauen und auch selbst nachsteuern. Sie schickte im Sommer 2022 auch an das Gesundheitsministerium MV einen Forderungskatalog, aber: "Die Resonanz auf unser Papier war in Mecklenburg-Vorpommern gering. Das war in anderen Bundesländern anders", so eine Sprecherin. Das Gesundheitsministerium sieht zwar auch einen höheren Versorgungsbedarf, verweist aber auf den Bund. Dieser plane gerade eine umfassende Reform der psychotherapeutischen Bedarfsplanung. Das Ministerium sieht vor allem ein Problem: "Momentan mangelt es in Mecklenburg-Vorpommern eher an geeignetem Fachpersonal als an offenen Stellen und Sitzen für Psychotherapeutinnen und -therapeuten." Dem widerspricht die OPK entschieden: "Wir haben kein Nachwuchsproblem. Auf offene Stellen gibt es auch genügend Bewerber." In Mecklenburg-Vorpommern ist derzeit nur eine halbe Stelle für Kinder- und Jugendpsychotherapeuten unbesetzt.

Wege auf dem Land sind für Patienten oft zu lang

Schon vor der Pandemie hatten die Kinder- und Jugendpsychotherapeuten auf dem Land ein spezielles Problem: Die jungen Patientinnen und Patienten können die weiten Wege zur Praxis häufig nicht zurücklegen, denn für die Eltern bedeutet das viel Zeitaufwand und hohe Kosten. Das kennt auch Annette Williamson aus ihrer Praxis in Demmin (Kreis Mecklenburgische Seenplatte). Vor zwei Jahren sagte sie dem NDR: "Ich könnte noch mehr Jugendliche behandeln, aber nach einer gewissen Zeit sagen viele, dass sie nicht mehr gefahren werden können. Ich mache mir dann noch lange Gedanken, ob das gut geht."

An dieser Situation habe sich bis heute nichts verändert, sagt Annett Williamson. Durch die hohen Spritpreisen sei es für viele Familien sogar noch schwieriger geworden. Eine mögliche Lösung wären Taxischeine für die jungen Patientinnen und Patienten, denn Annett Williamson darf per Gesetz keine Hausbesuche machen. Laut Gesundheitsministerium regelt das Sozialgesetzbuch, ob Taxischeine oder auch Fahrkosten bezahlt werden. Das sei nur dann möglich, wenn der Transport aus "zwingenden medizinischen Gründen" erforderlich ist. Das sei für Besuche bei der Psychotherapeutin und -Therapeuten in der Regel nicht erfüllt.

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 20.01.2023 | 16:10 Uhr

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