Geisternetze in der Ostsee: Umweltstiftung WWF arbeitet an Dauerlösung
Vor der Küste Mecklenburg-Vorpommerns liegen immer mehr Fischernetze auf dem Meeresboden - sogenannte Geisternetze. Die sorgen zum einen dafür, dass Mikroplastik ins Wasser gelangt. Zum anderen verfangen sich Tiere darin.
Morgens um 9 Uhr im Hafen von Barhöft nördlich von Stralsund: Andrea Stolte vom World Wide Fund For Nature (WWF) bespricht sich mit ihrem Taucherteam aus Rostock. "Hier in der südlichen Prohner Wiek ist das Netz, wo ihr vor zwei Wochen einen Seevogel gefunden habt", zeigt sie auf einer Karte. "Und das Netz möchten wir natürlich entfernen, weil es ja anscheinend noch fängt. Und dann haben wir gestern im nördlichen Bereich die Reusen gefunden." Der Auftrag für den Tag ist also klar: Die alten Netze müssen weg.
Projekt zum Boddenschutz
Der Einsatz ist Teil des Verbundprojekts "Vernetzte Vielfalt an der Schatzküste", finanziert vom Bundesamt für Naturschutz, in dem es darum geht, den Bodden gesund und sauber zu halten. Die Netze geben Mikroplastik ab, außerdem verfangen sich Fische, Krebse und auch Vögel darin. Im Sommer ist das Tauchen im Bodden aber gar nicht so einfach, erklärt Projektkoordinatorin Andrea Stolte. Im Sommer gebe es zwar kein Eis, wenig Wellengang und besseres Wetter, "aber die Sicht ist im Sommer besonders schlecht. Man hat viele Algen, viele Wasserpflanzen und die Sicht der Taucher liegt bei zehn Zentimeter."
Reusen bergen mit dem Stellnetzkutter
Zum Team gehört auch Fischer Jan Wienholz mit seinem Kutter "Condor". Damit werden später die Netze geborgen, weil die Taucher das aus reiner Muskelkraft nicht schaffen würden. "Der kleine Stellnetzkutter hebt normalerweise Stellnetze. Dafür ist er ausgelegt. Wie das mit den Reusen klappt, werden wir sehen", ist Andrea Stolte gespannt. Und dann geht es mit drei Fahrzeugen los in südliche Richtung: der Fischer in seinem Kutter, die Taucher in einem Schlauchboot und die Geisternetz-Experten vom WWF in einem Aluminium-Boot. Etwa ein Kilometer vor Klausdorf liegt das Ziel. Meeresbiologe Michael Rathke nimmt sich eine Befestigungsboje - einen kleinen gelben Ball an einem Seil - und taucht ab.
Eigene App für Geisternetze
Um die Geisternetze ausfindig zu machen, hat der WWF eine eigene App erstellt, namens "Ghostdiver". Zum einen können dort Taucher Fundorte melden, wenn sie selber Geisternetze finden. Zum anderen kartiert die Umweltstiftung den Meeresgrund mit Schallwellen. Wenn auf den Sonarbildern möglicherweise Geisternetze zu erkennen sind, wird das auch eingetragen. Taucher können dann prüfen, ob es sich wirklich um ein Netz oder andere Objekte handelt, die nicht unbedingt geborgen werden müssen.
Erfolgreiche Bergung
Nach nicht einmal zehn Minuten taucht Michael Rathke wieder auf. Der Fischer holt die Boje mit dem Seil an Land und kann dann das Netz wieder an Bord ziehen. Wenig später auch die Reuse. Technisch ist das kein Problem. Das Netz zu finden, dagegen schon, sagt Michael Rathke: "Es waren sogar mehr als gedacht. Ich dachte erst, es wäre eine Kette. Es ist schwierig, das dann unter Wasser auseinanderzuhalten. Was gehört wozu? Wie lang ist das? Das kann man alles nur abschätzen." Wenig später liegen vier Säcke mit alten Netzen an Land.
Suche nach der Dauerlösung
In den Netzen haben sich tatsächlich Tiere verfangen: Eine frische Flunder und ein toter Vogel im Stellnetz. Eine tote Grundel und viele kleine lebende Krebse in den alten Aalreusen. "Das ist zwar toll, wenn wir solche Erlebnisse haben wie heute", sagt Andrea Stolte, "aber es geht nicht einfach darum, viele Netze herauszuholen." Das unterscheide den WWF auch von anderen Organisationen. Vielmehr gehe es darum, eine Dauerlösung an den Küsten zu finden. Dazu arbeitet die Umweltstiftung mit Bundes- und Landesbehörden zusammen. "Das Ziel ist, dass sich Fischer melden und an Behörden wenden können. Damit sie Hilfe kriegen, wenn sie Netze verlieren. Die verlieren sie ja nicht freiwillig." Fischer, die die Netze nicht selbst bergen können, sollen schnelle Hilfe bekommen, damit kein langjähriger Schaden angerichtet wird.
Die Arbeit geht weiter
Für Andrea Stolte und ihr Team geht es in den kommenden Wochen in den Boddengewässern südlich von Darß und Zingst weiter. Erst wird dort wieder der Boden per Sonar untersucht und kartiert. Im September sollen die nächsten Netze geborgen werden.