Riskanter Einsatz: Umweltschützer bergen Geisternetze aus Ostsee
Vor Warnemünde haben die Umweltschützer von Sea Shepherd bereits mehrere hundert Kilo Geisternetze geborgen. Bis zum Ende der Woche liegen sie hier, fahren täglich raus und suchen nach Netzen.
Ob absichtlich liegen gelassen oder verloren: Alte Fischernetze machen einen großen Teil der Plastik-Verschmutzung in der Ostsee aus und belasten damit zunehmend die Umwelt. Sie sind außerdem eine tödliche Falle für Meerestiere. Die verloren gegangenen oder entsorgten Netze fangen immer weiter. Fische, Krabben oder auch Schweinswale verheddern sich häufig in ihnen und verhungern schließlich. Außerdem machen die oft aus Kunststoff hergestellten Netze einen großen Teil der Plastik-Verschmutzung in der Ostsee aus: insgesamt zwischen 30 und 50 Prozent des Meeresplastiks.
"Es gibt ein massives Problem in der Ostsee"
Geisternetze zu bergen ist riskant: Die alten Fischernetze sind nicht nur für Meerestiere gefährlich, sondern auch für die Taucher der Umweltschutzorganisation Sea Shepherd. Die Gefahr sich zu verheddern ist groß. Die Netze liegen nicht statisch im Wasser, sondern "fliegen" am Meeresgrund - daher auch ihr Name. Und wo die Netze anfangen und aufhören, ist durch schlechte Sicht oft nicht eindeutig erkennbar. Nur wer erfahren und beruflich dafür ausgebildet ist, sollte ein Geisternetz aus dem Meer holen. Wer mithelfen will und bei einem Tauchgang ein Netz entdeckt, könne den Standort weitergeben, zum Beispiel an die Küstenwache oder über die "GhostDiver App" des WWF, sagt Geisternetz-Referentin Andrea Stolte vom WWF.
Wo liegen die Netze?
Mithilfe dieser Meldestellen können die Netze dann angesteuert werden. Auf Karten haben Fischer außerdem ihre Stellorte verzeichnet und das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie hat alle Wrackstandorte kartografiert. Auch die Crew von Sea Shepherd hat sich im Vorfeld "Verdachtspositionen" herausgesucht und bei Erkundungstauchgängen schließlich festgestellt, ob dort wirklich Netze liegen. Eigentlich fänden sie aber bei jeder Tour etwas, erzählt Umweltschützerin Katie Mähler. Das zeige deutlich, wie massiv das Problem in der Ostsee sei.
Kein einfacher Job: Mit einem Messer werden die Netze unter Wasser von den Wracks getrennt, an denen sie in den meisten Fällen hängen bleiben. Mit sogenannten Hebesäcken werden die Netze dann an die Oberfläche gebracht - befüllt mit dem Gas aus den Flaschen der Taucher - und von einem Kran an Bord des Schiffes hochgezogen. Auch die Entsorgung muss besonders sorgfältig laufen, sagt Referentin Andrea Stolte. Die Geisternetze seien besonderer Müll, vor allem wenn giftige Bleileinen enthalten sind.
Die Ostsee hat ein Müll-Problem
In den meisten Fällen sind es Kunststoffnetze, die von den Umweltschützern aus der Ostsee geholt werden. Das macht ihre Gefahr noch größer: Sie würden noch jahrhundertelang weiterfischen, denn sie verwittern und zersetzen sich nicht. Und sie geben Schadstoffe ab: Durch die Strömung werden die Netze zerrieben und tragen durch das entstandene Mikroplastik deutlich zur Verschmutzung der Meere bei. Mehrere Umweltorganisationen schätzen, dass rund 5.000 bis 10.000 Geisternetze oder abgetrennte Netz-Teile jedes Jahr in der Ostsee landen.
Auf eigene Faust oder gesetzlich geregelt - wer ist verantwortlich?
Die Aufgabe, Netze aus dem Meer zu holen, könne nicht allein in privaten Händen liegen, sagt Referentin Andrea Stolte vom WWF. Die Ministerien und Ämter müssten Verantwortung übernehmen, die auch von der EU gefordert sei. Bereits 2019 hatte der WWF mehr staatliche Anstrengungen gefordert, damit herrenlose Fischernetze aus der Ost- und Nordsee geborgen werden. Mecklenburg-Vorpommerns Umweltminister Till Backhaus (SPD) hatte dann angekündigt, eine gemeinsame Initiative in Angriff zu nehmen.
Mittlerweile arbeitet der WWF gemeinsam mit dem Landesministerium für Umwelt in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein und dem Umweltbundesamt zusammen. Sie setzen sich für eine verbesserte Situation in den deutschen Meeren ein - dazu zählt auch die Entfernung von Fischereigeräten. Der WWF, Sea Shepherd und weitere Umweltschutzorganisationen hoffen, dass durch ihr Engagement in den nächsten Jahren immer weniger Geisternetze durch die Ostsee treiben.