Debatte um AfD-Verbot: Wie realistisch ist ein solches Verfahren?
Eine Protestwelle schwappt derzeit durch Mecklenburg-Vorpommern. Sie richtet gegen die Politik der AfD und befeuert die Debatte um ein mögliches Partei-Verbot. Wie realistisch ein solches Verfahren sein könnte, schätzt ARD-Verfassungsrechtsexperte Christoph Kehlbach im Interview bei NDR MV Live ein.
Auf dem Schweriner Marktplatz haben am Dienstagabend rund 1.600 Menschen gegen Rechtsextremismus demonstriert, am Montag kamen in Rostock rund 2.500 Menschen zusammen, um für den Erhalt der Demokratie zu demonstrieren. Schon am Wochenende hatten 1.200 Greifswalderinnen und Greifswalder gegen Rassismus demonstriert. Die Proteste richteten sich auch gegen die Politik der AfD. Teile der Partei werden derzeit vom Verfassungsschutz mehrerer Bundesländer als gesichert rechtsextrem eingestuft. Ein mögliches Verbotsverfahren der Partei wird diskutiert. Doch wie realistisch ist ein solches Verfahren?
Was sind die Voraussetzungen, um eine Partei zu verbieten?
"Die Hürden insgesamt sind relativ hoch", sagt ARD-Verfassungsrechtsexperte Christoph Kehlbach im Interview bei NDR MV Live. Zunächst müsse ein Verbotsantrag gestellt werden, entweder von der Bundesregierung, dem Bundestag, dem Bundesrat oder auch allen gemeinsam. Die Entscheidung, einen solchen Antrag zu stellen, sei eine politische, so Kehlbach weiter. Ist der Antrag einmal gestellt, entscheide das Bundesverfassungsgericht nach rein juristische Maßstäben über ein Parteiverbot.
Laut dem Grundgesetz sei eine Partei dann als verfassungswidrig einzustufen, wenn sie nach ihren Zielen oder auch nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf abzielt, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen oder zu beeinträchtigen, so Kehlbach. Zur freiheitlich demokratische Grundordnung gehören Kehlbach zufolge "Grundpfeiler unseres freiheitlichen Staates" wie etwa die Menschenwürde - "die Garantie für jeden Menschen, der hier lebt, nicht nur für Staatsbürger übrigens". Außerdem zählt er das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip sowie "dass niemand über dem Gesetz steht" dazu. Strebe eine Partei an, diese wesentlichen Punkte zu beseitigen oder zu beeinträchtigen, sei sie verfassungswidrig, so Kehlbach.
Daran scheiterte das NPD-Verbotsverfahren
Neben der inhaltlichen Frage gebe es eine zweite Voraussetzung für ein Parteienverbot. Als Beispiel führt Kehlbach das NPD-Verbotsverfahren vor einigen Jahren an. Im Urteil 2017 hatte das Bundesverfassungsgericht noch einmal klargestellt, dass für ein Verbot auch ausschlaggebend sei, dass eine gewisse Möglichkeit besteht, dass eine Partei diese Ziele auch erreichen kann. Das sei aus der Sicht von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung bei der NPD nicht der Fall gewesen, da diese weder im Bundestag noch in Landesparlamenten vertreten war. "Und deswegen hat das bei der NPD nicht geklappt, die verbieten zu lassen", erklärt Kehlbach.
Was für ein Verbotsverfahren der AfD sprechen könnte
Entscheidend für einen Antrag kann laut Kehlbach die politische Debatte sein, die in seinen Augen mit den aktuellen Demonstrationen und Kundgebungen "ziemlich Fahrt aufgenommen hat". "Solche Demos haben natürlich auch einen gewissen Einfluss auf das, was die Politik entscheidet oder nicht." Das gilt für Kehlbach nicht nur für Demonstrationen, sondern "generell für öffentliche Kundgebungen, an denen viele Menschen teilnehmen."
Inhaltlich sei vor allem ausschlaggebend, welche Belege oder Beweise die Antragsteller vorlegen können. Dabei könne der Verfassungsschutz in den drei Bundesländern, in denen die AfD als gesichert rechtsextremistisch beobachtet wird, eine Rolle spielen, aber "sicherlich auch dieses Geheimtreffen, das kürzlich publik wurde". Kehlbach zufolge sind dies mögliche "Mosaiksteinchen in einem großen Gesamtbild". Insgesamt sei ausschlaggebend, welche Belege man dem Bundesverfassungsgericht vorlegen könne, die eindeutig der AfD zuzurechnen sind. "Das ist wichtig", so Kehlbach und sei auch ein Punkt, den "das Verfassungsgericht ganz, ganz kritisch sehen würde."
Was im Moment gegen ein AfD-Verbot spricht
Was aus der Sicht des Verfassungsrechtsexperten momentan gegen ein AfD-Verbotsverfahren spräche, sei politisch vor allem, "dass man nicht weiß, wie es ausgeht." Man müsse, wolle man das Bundesverfassungsgericht von dem eigenen Standpunkt überzeugen, eben auch Belege liefern. "Und wenn das irgendwie schiefgehen sollte, könnte das politisch gesehen sogar Rückenwind für die AfD sein. Dann hätte man also gewissermaßen das Gegenteil erreicht von dem, was man möchte."
Insbesondere die juristischen Argumente seien abzuwägen. Etwa ob die AfD möglicherweise abstreiten oder das Gericht davon überzeugen könne, dass verfassungswidrige Aussagen von AfD-Wählern, AfD-Anhängern oder auch AfD-Mitgliedern "vielleicht gar nicht der Partei anzukreiden sind", so Kehlbach. Mit Partei-Ausschlüssen solcher Mitglieder könne sich die AfD mitunter "komplett abgrenzen". Dies seien Argumente, die abzuwägen seien, so Kehlbach. Auch, ob sich die AfD möglicherweise durch ein solches Verfahren "in eine Art Opferrolle begeben" und "das Narrativ verbreiten" könne, "alle anderen Parteien sind gegen uns, aber nicht, weil wir verfassungswidrig sind, sondern weil wir die Konkurrenz sind", so Kehlbach.
Wie realistisch ist ein Verbotsantrag?
Entscheidend sei aus seiner Sicht, wie die Debatte weitergeht und auch, ob es weitere solcher Proteste aus der Mitte der Gesellschaft gibt, die sich seiner Ansicht nach stark gegen die AfD-Politik wendeten - und ob die Politik darauf reagiere. Der Eindruck, dass in der Vergangenheit im öffentlichen Raum und auf Social-Media-Plattformen eine Seite ein starkes Übergewicht habe und lauter zu hören sei als die andere, kann sich laut Kehlbach gerade ändern. "Da bin ich tatsächlich sehr gespannt, wie das weitergeht."
Entzug öffentlicher Gelder statt Partei-Verbot?
Kehlbach verwies zudem auf ein aktuelles Verfahren, das eine Alternative zum Partei-Verbot aufzeigen könnte. Das Bundesverfassungsgericht wird in der kommenden Woche entscheiden, ob es möglich ist, einer Partei - im aktuellen Fall der NPD - die öffentliche Finanzierung zu streichen, weil sie inhaltlich verfassungswidrig agiert, ohne sie zu verbieten. Er vermutet, dass auch die Politik den Ausgang dieses Urteils abwarte, um zu prüfen, ob es "als eine Art milderes Mittel zum Verbot" taugen könnte. "Man nimmt gewissermaßen einer Partei, wenn sie denn verfassungswidrig ist, salopp gesagt, das Geld weg."