Auszug aus dem Frauenhaus: Wenn Selbstbestimmung zur Hürde wird
Dem Autonomen Frauenhaus Rostock fehlt derzeit Platz für Frauen in akuter Not. Weil den Bewohnerinnen viele Hindernisse beim Auszug bevorstehen, können nur wenige diesen Schutzort verlassen.
Neben den bestehenden Problemen wie fehlender Barrierefreiheit und mangelnder Rahmenbedingungen für psychisch Kranke oder suchterkrankte Frauen, kämen nun auch verstärkt große Hindernisse beim Auszug aus dem Frauenhaus hinzu, so Tanja Lange, Sozialarbeiterin im Autonomen Frauenhaus Rostock. Als Lange vor sieben Jahren im Frauenhaus angefangen hat zu arbeiten, erzählten ihr die Kolleginnen, dass die meisten Frauen im Durchschnitt nach drei Monaten wieder ausziehen würden. Heute ist das jedoch anders: "Das höre ich auch von anderen Kolleginnen, dass mittlerweile sogar bei weniger komplizierten Fällen die Aufenthaltsdauer bis zu einem halben Jahr beträgt", erzählt die Sozialarbeiterin. "Und je länger eine Frau im Frauenhaus bleiben muss, desto weniger Frauen kann man über das Jahr aufnehmen." Auch in Neubrandenburg und Greifswald zeichnet sich ein ähnliches Bild ab, wie die dortigen Leiterinnen der Frauenhäuser bestätigen.
Umzug und Einrichtung neuer Wohnungen finanziell kaum zu stemmen
Grund dafür seien unter anderem die Wohnraumpolitik und fehlende Sozialwohnungen in den Städten. So sind derzeit alle Sozialwohnungen der städtischen Wohnungsgesellschaft Wiro in Rostock vermietet, bestätigt Unternehmensprecher Carsten Klehn. Darunter leiden vor allem Betroffene mit Kindern, Frauen mit Schulden oder Rentnerinnen. Sie haben es zunehmend schwerer, eine Wohnung zu finden. Das liegt zum einen daran, dass auch Schulden häufig eine Folge von Gewalt in Beziehungen sind. Aber auch Rentnerinnen oder alleinerziehenden Mütter fehle laut Lange schlichtweg das Geld für eine Kaution oder die Einrichtung einer neuen Wohnung. So reiche oft das Geld vom Jobcenter nicht aus, um sich Möbel zu kaufen. Dieses gäbe beispielsweise vor, dass ein Stuhl nur 15 Euro kosten dürfe, allein im Sozialkaufhaus würden diese schon 20 Euro kosten, erzählt Lange.
Vor allem Migrantinnen finden keine Wohnung
Das Frauenhaus in Rostock hat derzeit einen 50-prozentigen Anteil an Migrantinnen. Die haben es laut der Sozialarbeiterin besonders schwer, eine Wohnung zu finden. Denn für Menschen, die wenig Deutsch sprechen und den hohen bürokratischen Anforderungen ausgesetzt sind, ist es ein noch größerer Aufwand, auszuziehen. Auch in Greifswald führt das zu Problemen beim Auszug, bestätigt die dortige Leiterin des Frauenhauses, Steffi Oppermann. "Oft müssen auch erstmal aufenthaltsrechtliche Gelegenheiten geklärt werden, bevor sich die Frau in die Situation begeben kann, eine Wohnung zu suchen."
Bürokratie stellt Frauen vor weitere Hürde
Hinzu kommt neben den ganzen Briefen von Jobcenter oder Migrationsamt auch die Unsicherheit. "Viele sagen, dass diese unsichere Zukunft für sie noch belastender ist, als die Gewalt, die sie zuhause erleben. Denn die Gewalt, die ich zuhause erlebe, die kenne ich, mit der habe ich gelernt umzugehen und da habe ich das Gefühl von mehr Kontrolle", beschreibt Lange die Lage von Migrantinnen. Das führe auch dazu, dass Frauen wieder zurück in die gewaltgeprägte Beziehung gehen würden, weil alles andere unschaffbar wirke. Allein in der Hansestadt Rostock gab es im vergangenen Jahr 278 Fälle von häuslicher Gewalt, die polizeilich aufgenommen wurden. Im gesamten Bereich des Polizeipräsidiums Rostock beläuft sich die Zahl sogar auf 1.130 Fälle.
Gerade ältere, migrantische oder geistig behinderte Frauen brauchen nach dem Auszug aus dem Frauenhaus noch eine Anlaufstelle, die ihnen bei dem bürokratischen Aufwand hilft. "Also ich denke auch, dass Frauen mit solchen Bedarfen total gut selbstbestimmt leben könnten, wenn sie ein bisschen mehr Unterstützung hätten und auch Sozialarbeiterinnen bessere Rahmenbedingungen hätten, um sich mehr Zeit zu nehmen", so die Sozialarbeiterin aus Rostock.