136 Menschen bei Fluchtversuch durch die Ostsee ertrunken
Rund 5.600 Menschen haben nach dem Mauerbau 1961 versucht, über die Ostsee aus der DDR zu fliehen. Ein Forschungsteam der Universität Greifswald untersucht, wie viele Flüchtende dabei ums Leben kamen.
Ein Forschungsteam der Universität Greifswald hat bislang 136 Menschen ermittelt, die beim Versuch aus der DDR über die Ostsee zu flüchten, ums Leben gekommen sind. In den kommenden Monaten will es noch weitere 129 Verdachtsfälle untersuchen. Durch die Corona-Pandemie ist das Forscherteam in Zeitverzug gekommen, vor allem weil die Recherche in Archiven nicht möglich war. Dadurch war die weitere Finanzierung in Gefahr. Inzwischen aber entschied das Wissenschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommerns, das Projekt weiterhin zu fördern.
Die meisten Fluchtversuche im Spätsommer
Im Spätsommer, wenn die meisten Urlauber abgereist waren und die See noch aufgeheizt, machten sich offenbar die meisten Menschen auf den Weg, um über die Ostsee aus der DDR zu fliehen. Das konnte das Forscherteam aus Hunderten Totenscheinen und Sterberegistern rekonstruieren. Sie geben Auskunft darüber, wann die meisten Wasserleichen gefunden wurden und damit auch, wer sich auf den Weg gemacht habe, erklärt Projektmitarbeiterin Merete Peetz. "Der Großteil der Flüchtlinge, die wir finden konnten, waren im Alter zwischen 15 und 30 Jahre und vorwiegend männlich."
Die Geschichte hinter der Flucht
Das Ziel des Greifswalder Forschungsprojektes ist es, jeden einzelnen Fall nachzuweisen und die Geschichte hinter jeder Flucht zu erzählen. Das ist eine Detektivarbeit, bei der ihnen auch oft der Zufall hilft. Merete Peetz: "Bei Recherchearbeiten im Stadtarchiv Stralsund habe ich von einem Mitarbeiter erfahren, dass einer seiner Nachbarn versucht hat über die Ostsee zu fliehen und dabei umgekommen ist. Und er wusste nur: Der ist irgendwie auch mit einem anderen geflohen."
Unbekannte Wasserleiche im Sterberegister
Im Sterberegister in Grevesmühlen fand Merete Peetz den Namen eben dieses Fluchtpartners - und den Hinweis auf eine weitere unbekannten Wasserleiche. "Dann wussten wir ja auch, aus welchem Ort dieser Mensch stammt und haben in diesem örtlichen Archiv durch die Meldekartei die Informationen zu ihm und seiner Familie gefunden, dass diese Familie ursprünglich aus Westdeutschland kam, aus Bad Segeberg." So konnte das Forschungsteam durch den Hinweis aus dem Stralsunder Stadtarchiv einen ganz neuen Todesfall als gescheiterten Fluchtversuch belegen.
Forscher hoffen auf Hinweise von Angehörigen
Das Forschungsteam ist auch darauf angewiesen, dass sich Angehörige von Fluchtopfern oder Hinweisgeber melden. Am Ende ihrer Arbeit stehen dann eine Zahl und genau so viele Geschichten von Menschen, die mit einer gefährlichen Flucht über die Ostsee ein neues Leben beginnen wollten - und dabei ihr Leben verloren.