Wie ein Dorf in Niedersachsen die Energiewende vorantreibt
Im Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel ist nicht nur die Staaten-Gemeinschaft gefragt. Auch Kleinstädte und Dörfer können die erforderliche Energiewende vorantreiben - und davon profitieren. Ein gutes Beispiel ist der Ort Steyerberg in Niedersachsen.
Für den langjährigen Bürgermeister Heinz-Jürgen Weber ist die Sache klar: Steyerberg hat in Sachen Klimaschutz vieles richtig gemacht. Ganz einfach, indem der Ort auf Windkraft setzt. "Wir sind eine der wenigen Kommunen in Deutschland, die eigene Stromquellen besitzen - in Form einer Windenergie-Anlage", sagt der CDU-Politiker im Podcast "Mission Klima - Lösungen für die Krise". "Und da sind wir auch besonders stolz drauf."
Denn der Ort im Landkreis Nienburg/Weser profitiert von den Erträgen, die über die Energiewerke Steyerberg in den Haushalt fließen. "Wir investieren knapp über eine Million Euro und bekommen in 20 Jahren ungefähr 3,7 Millionen Euro zurück", macht Weber die einfache Rechnung auf. "Das heißt: Wir haben dann 2,7 Millionen Reingewinn gemacht. Das ist Geld, das was wir für den Bereich Bildung und Sonstiges ausgeben können." Im vergangenen Jahr sind in Steyerberg insgesamt zehn neue Windräder erreichtet worden, eins davon wird schon bald der Gemeinde gehören.
Zwei Windräder kommen noch hinzu
Im Flecken Steyerberg leben etwas mehr als 5.000 Menschen, die nächstgelegene Großstadt ist Hannover. Die Gemeinde hat die Energiewerke Steyerberg gegründet, die das genannte Windrad betreiben wird. Aufs Jahr gerechnet produziert das Windrad so viel Strom wie die Privathaushalte von Steyerberg verbrauchen. Bei dem einen Windrad soll es aber nicht bleiben. Demnächst kommen zwei weitere Windräder für die Energiewerke hinzu.
Denn: In einem zweiten Windpark in Steyerberg stehen Windräder, von denen viele in diesem Jahr repowert werden. Das heißt: Die alten Windräder werden abgebaut - und an selber Stelle werden neue Windräder errichtet. Diese sind größer und können mehr Strom liefern. Mit dem Strom aus den zwei neuen Windrädern wird dann auch noch der Bedarf von den meisten Betrieben im Ort abgedeckt sein.
Günstige Strompreise für alle Bewohner im Ort
"Ein Ziel ist, dass jeder im Ort etwas davon hat, dass sich Windräder drehen", sagt Weber, der die Projekte in seiner achtjährigen Amtszeit entscheidend vorangetrieben hat. "Deshalb haben wir hier mit dem Projektierer vertraglich ausgehandelt, dass es einen Steyerberger Stromtarif gibt, der 10 bis 15 Prozent unter dem ortsüblichen Preis liegt. Also jeder Bürger, der sich dann ummeldet, wenn der Windpark repowert ist, der bekommt den günstigen, grünen Strom nach Haus, der direkt hier vor der Haustür produziert wird."
"Wie wollen wir in dem Tempo den Planeten retten?"
Frustriert ist Weber aber darüber, dass die Genehmigung und der Bau der Windräder sehr lange gedauert hat. "Das ist einfach eine Katastrophe, dass wir acht Jahre lang warten mussten", sagt der Lokalpolitiker. "Das würde ich mir schon für keinen Normalbetrieb wünschen, geschweige denn für etwas, bei dem wir versuchen unseren Planeten noch lebenswert zu halten. Das muss alles schneller gehen. Das muss viel schneller gehen."
Ein Chemie-Unternehmen liefert die Fernwärme
Selbst wenn die neuen, leistungsstarken Windräder dann stehen - für ein Unternehmen im Ort wird die Stromerzeugung nicht reichen. Lange nicht. Das Unternehmen heißt Oxxynova - ein Chemie-Unternehmen, das ein bedeutender Arbeitgeber in der Region ist. Die Belegschaft stellt Vorprodukte für Polyester her - und dafür wird sehr viel Energie benötigt.
Aber schon bald werden die Steyerberger auch von der Fabrik profitieren. Das Zauberwort heißt: Fernwärme. "Ein chemischer Produktionsprozess liefert sehr oft Abwärme und auch oft Abwärme, die selber für die Produktionsprozesse nicht weiter genutzt werden können", erklärt Oxxynova-Geschäftsführer Klaus Puell. "Und diese industrielle Abwärme wir jetzt in das Fernwärme-Netz einspeisen, damit öffentliche Gebäude und auch Privathaushalte in Steyerberg sehr, sehr günstige Energie bekommen - und vor allem saubere Energie."
Ein großer Schritt für die Klimabilanz
Das Fernwärme-Netz entsteht gerade in Steyerberg. 29 Kilometer an Rohren sind im vergangenen Jahr im Boden verlegt worden. Die Fernwärme wird am Ende die Hälfte der Steyerberger Haushalte heizen. Für den Lokalpolitiker Weber ist das ein großer Posten in der Klimabilanz des Ortes. "Die Oxxynova verbraucht die Energie, um ihre Produktion zu machen, und sie hat die Abwärme bislang immer durch den Schornstein entsorgt", sagt Weber.
Mithilfe eines eingebauten Wärmetauschers verpufft diese Wärme künftig nicht mehr. "Wir sparen hier ungefähr 4.600 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr - und das ist für solch einen kleinen Ort ein enormer Wert."
Hohe Strompreise zwingen zum Handeln
Zur Zeit hat das Oxxynova-Werk einen CO2-Ausstoß in Höhe von 100.000 Tonnen pro Jahr. Ein Viertel davon wegen des hohen Energiebedarfs. Der Plan von Geschäftsführer Klaus Puell sieht deshalb vor, eigene Windräder aufs Firmengelände zu stellen. Diese sollen zumindest den Stromverbrauch des Werkes komplett decken - mit "grünem Strom". "Wir haben einen sehr großen Standort mit großen Freiflächen, wo es sich anbietet, dass wir auf dem Gelände Windkraft-Anlagen installieren", sagt Puell. "Wir müssen unsere CO2-Emissionen einfach weiter zurückfahren." Auch die steigenden Strompreise fördern das Umdenken. "Die Energie wird immer teurer. Da muss man sich zwangsweise schon aus wirtschaftlichen Gründen auf den Weg machen. Und das haben wir gemacht. Das ist einfach das Gebot der Stunde", sagt der Oxxynova-Geschäftsführer. Neben den firmeneigenen Windrädern gibt es weitere Pläne: ein Wasserstoff-Projekt und ein Forschungsprojekt für synthetische Kraftstoffe.
Wie lassen sich Menschen für die Energiewende gewinnen?
"Der Ort Steyerberg ist ein tolles Beispiel, wie es in der Zukunft aussehen könnte", sagt Andreas Löschel. Er ist Wirtschaftswissenschaftler und hat an der Ruhruniversität Bochum den Lehrstuhl für Umwelt-/Ressourcenökonomik und Nachhaltigkeit inne. Außerdem hat er schon an Berichten des Weltklimarats mitgearbeitet - und er berät die Bundesregierung zur Energie der Zukunft. Löschel findet, dass in Steyerberg vieles gut gelaufen sei. "Einer der Schlüssel für ein Gelingen der Energiewende vor Ort ist, die Leute mitzunehmen und einzubinden in die Projekte. In Steyerberg gibt es ganz viele Ehrenamtliche, die sich engagieren." Zudem sei es wichtig, aufzuzeigen, dass man mit der Umstellung auf erneuerbare Energien einen Mehrwert für alle schaffen kann - etwa mehr Geld in der Gemeindekasse und günstige Strompreise für die Einwohner. "All das schafft mehr Akzeptanz, es braucht eine aktive Teilhabe der Bürger", meint Löschel.
Der Wissenschaftler betont zudem: "Es ist wichtig, dass sich nicht nur die Politik hinter die gesetzten Zeile der Klimaneutralität stellt. Auch die Bürger müssen sich bewusst machen, was Klimaneutralität bedeutet." In der Umsetzung brauche es eine breite Unterstützung, Da dürfe nicht jeder Einzelne nur auf seine Vorteile schauen - etwa wenn es darum geht, Flächen für neue Windräder zu finden.
Der "Klima-Bürgermeister" ist abgewählt
Heinz-Jürgen Weber wird den Wandel in Steyerberg nicht weiter mitgestalten können - zumindest nicht als Bürgermeister. Er hatte Ende November 2021 seinen letzten Amtstag. Bei der Kommunalwahl im Herbst hatte er überraschend gegen seinen Herausforderer verloren, den parteilosen Kandidaten Marcus Meyer. Dieser kam auf gut 62 Prozent der Stimmen.
"Mit Klimaschutz lockt man nicht jeden hinterm Ofen hervor"
Im Gespräch mit dem NDR sagt der neue Bürgermeister, er wolle die Energiewende-Projekte weiterführen. Aber er denke auch, dass das Thema Klima zur Niederlage seines Vorgängers beigetragen habe. "Ich glaube dass es weniger an den Inhalten lag, weil die Inhalte sicherlich gut sind. Es geht mehr darum, wie man die Menschen erreicht hat", sagt Meyer. "Denn bei vielen war der Eindruck, dass man innerhalb von Steyerberg fast nur Klimathemen bearbeitet hat. Und dann ist Klima vielleicht auch nicht das Thema, mit dem man jeden hinterm Ofen hervorlockt."