Was das Urteil zum Bundeshaushalt für den Norden bedeutet
Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass das sogenannte Corona-Sondervermögen nicht umgewidmet werden darf. Der Bund wollte das Geld, das aus Krediten stammt, nun vor allem für den Klimaschutz ausgeben. Im Haushalt fehlen daher erstmal 60 Milliarden Euro. Wie reagieren die norddeutschen Bundesländer?
Das Urteil war ein Erdbeben für die Ampel-Koalition und für ihre Finanzpolitik. Der Klimatransformationsfonds steht jetzt auf der Kippe. Aber auch andere Bereiche sind betroffen, denn das Geld muss voraussichtlich an anderer Stelle eingespart oder umgeschichtet werden.
Kompromisse zwischen Bund und Ländern nochmal infrage gestellt?
Zwischen Bund und Ländern ging es in den vergangenen Monaten viel um Geldfragen: Wer für die Unterbringung von Geflüchteten bezahlt zum Beispiel oder wie das Deutschlandticket finanziert wird. Könnten die mühsam gefundenen Kompromisse nun durch das Verfassungsgerichts-Urteil und das 60-Milliarden-Euro-Loch beim Bund infrage gestellt sein?
Niedersachsen: Mittelbare Auswirkungen auf Landeshaushalt genau prüfen
Auf die Finanzen der norddeutschen Bundesländer wirke sich das Verfassungsgerichts-Urteil nicht unmittelbar aus, sagte der Sprecher des Finanzministeriums Niedersachsen, Johannes Pepping: "Die niedersächsische Landesregierung nimmt das Urteil natürlich mit Respekt zur Kenntnis. Wir sind aber auch davon überzeugt, dass die laufenden Beratungen über den Haushalt 2024 nicht vom Urteil betroffen sind." Man werde aber "sehr genau prüfen, welche Auswirkungen sich mittelbar auf den niedersächsischen Landeshaushalt ergeben", so Pepping.
Hamburg: Erschwernis für viele wichtige Projekte
Die "mittelbaren" - also langfristigen - Auswirkungen machen auch anderen Ländern zu schaffen. Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD): "Wir müssen davon ausgehen, dass der Bund jetzt noch restriktiver mit Bund-Länder-Finanzthemen umgehen wird. Insofern ist das jetzt eine Erschwernis für viele wichtige Projekte, die wir im föderalen Kontext miteinander haben." Man müsse darauf achten, "dass wichtige Investitionen im Bereich Transformation/Klimaschutz trotzdem gewährleistet werden können", sagte Dressel.
Mecklenburg-Vorpommern: Länder sind besorgt
Nicht nur Investitionen für den Klimaschutz könnten ein Problem werden - auch ganz allgemein seien die Länder im Hinblick auf künftige Finanzdebatten besorgt, meint der Finanzminister aus Mecklenburg-Vorpommern, Heiko Geue (SPD): In der Regel laufe es so, dass der Bund argumentiere, zu wenig Geld zu haben und die Länder stärker in die Mitfinanzierung nehmen wolle. Die Länder würden dann sagen, "dann bitte, Bund, gib uns nicht ständig neue Aufgaben, neue Standards - wir haben die hohen Kosten und einen hohen Personalbedarf". Denn die Herausforderungen, vor denen die Länder stehen, seien in den vergangenen Jahren massiv gestiegen, so Geue: "Wir haben das politische Normalgeschäft zu finanzieren. Wir haben dazu die Krisenfinanzierung bekommen. Und wir haben den dritten wichtigen Bereich: die Bewältigung der großen Transformationsaufgaben wie Klimawandel, demografischer Wandel, digitaler Fortschritt."
MV-Minister Geue: Bürokratie abbauen und Prioritäten setzen
Dafür sind laut Geue Investitionen notwendig - und das Geld dafür muss organisiert werden. "Die Dreifachbelastung der Haushalte ist dauerhaft so enorm, dass wir Prioritäten setzen müssen. Ich fordere den Bund auf, dass wir noch stärker als bisher Bürokratie abbauen, stärker in die Aufgabenkritik gehen und Prioritäten setzen."
Länder wollen prüfen, ob ihre Haushalte verfassungskonform sind
Ob das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch die Finanzpolitik der Bundesländer betrifft, wollen nun alle norddeutschen Länder prüfen. Sein Bundesland habe angekündigt, im nächsten Jahr eine Sondertilgung von 270 Millionen Euro vorzunehmen, und rund 600 Millionen Euro im Sondervermögen stünden noch zur Verfügung, sagte Geue. "Aber für solche Maßnahmen, die etwas mit der Corona-Pandemie zu tun haben und deren Überwindung. Vor dem Hintergrund des Verfassungsgerichts-Urteils werden wir jetzt überprüfen, ob die Mittel auch weiter so verwendet werden können oder ob wir für die restlichen 600 Millionen eine andere Vorgehensweise vornehmen sollten." Diese Prüfung sei aber noch nicht abgeschlossen, so Geue.
Ähnlich sieht es auch in den anderen norddeutschen Bundesländern aus: Sie alle haben noch Geld aus dem Corona-Sondervermögen übrig, haben nach eigenen Angaben aber einen anderen Umgang damit als der Bund und gingen deshalb nicht davon aus, dass ihre Finanzplanung von dem Urteil betroffen sein könnte.
Schleswig-Holstein will "Haushaltsnotlage" für 2023 feststellen
Der Finanzausschuss des Landes Schleswig-Holstein hat extra ein Gutachten in Auftrag gegeben, um die Auswirkungen auf den eigenen Haushalt überprüfen zu lassen. Um sich Handlungsspielraum zu sichern, wollen CDU und Grüne, die im Land regieren, dass eine "Haushaltsnotlage" für Schleswig-Holstein für 2023 festgestellt wird. Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) sagte dazu auf NDR Info: "Die Politik ist durchgeschüttelt. Wir sind in einer neuen Situation, weil die Schuldenbremse zum ersten Mal in der Praxis in Zeiten multipler Krisen angewendet wurde. Und wir haben eindeutig eine Notlage." Das Land habe "mehrere Jahre verschiedener Krisen" hinter sich: Corona, den Ukraine-Krieg mit hohen Energiepreisen und Inflation "und wir haben natürlich die Herausforderung, auf den Klimawandel reagieren zu müssen".
Heinold: Regelwerk der Schuldenbremse noch mal anschauen
Heinold argumentierte, es gehe darum, den "Jährigkeitsgrundsatz" einzuhalten, auf den sich das Bundesverfassungsgericht berief. "Erlaubt ist, dass das Parlament sich Jahr für Jahr mit der Frage beschäftigt - haben wir eine Notlage oder nicht?" Es könne "natürlich keine Dauersituation sein, dass wir eine Notlage haben, aber auf die Herausforderungen, die wir haben, müssen wir Antworten finden". Heinold warb dafür, "dass wir uns das Regelwerk der Schuldenbremse noch mal anschauen, weil wir eine Antwort darauf brauchen, wie wir den Klimawandel begrenzen können."
Unionsfraktion hatte gegen Umschichtung von Geldern geklagt
Das Bundesverfassungsgericht hatte am Mittwoch eine Umschichtung von 60 Milliarden Euro im Bundeshaushalt von 2021 für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Der Bund darf zur Bekämpfung der Corona-Krise gedachtes Geld damit nicht für den Klimaschutz nutzen. Das könnte sich stark auf den sogenannten Klima- und Transformationsfonds auswirken, aus dem die Bundesregierung zahlreiche Förderprogramme - unter anderem für den Austausch alter Öl- und Gasheizungen - bezahlen wollte. Die Unionsfraktion im Bundestag hatte gegen das Umschichten geklagt.