"Oha! Zwei Welten an einem Tisch": Mit Migration überfordert?
Ein Thema, zwei gegensätzliche Meinungen - das ist die Idee für das Dialog-Format "oha! Zwei Welten an einem Tisch" anlässlich der Bundestagswahl. NDR Info bringt dafür jeweils zwei Menschen aus dem Norden zusammen - zu insgesamt vier Themen. Hier geht's um die Zuwanderung.
Im Wahlkampf ist es eines der meistdiskutierten Themen: Wie wollen wir in Deutschland mit Migration und Geflüchteten umgehen? Sind verschärfte Grenzkontrollen und mehr Abschiebungen ein guter Weg? Oder sind die bestehenden Gesetze und Regelungen ausreichend? Strittig ist auch, wie es am besten gelingen kann, Zugewanderte in unsere Gesellschaft einzubinden. Über all diese Fragen sprechen Regina Meyn und Timo Knop bei "oha! Zwei Welten an einem Tisch".
Regina Meyn hilft Geflüchteten
Regina Meyn arbeitet drei Tage pro Woche ehrenamtlich in der Rendsburger Kleiderkammer für Geflüchtete. Insgesamt kommt sie auf bis zu 30 Wochenstunden, denn die 59-Jährige ist zugleich Vorsitzende des Vereins, der die Kleiderkammer organisiert. Warum engagiert sie sich so stark? "Ich habe sehr viel Glück in diesem Leben: Ich habe ein Haus, ich habe eine Familie, ich habe Sicherheit. Wenn es mir gut geht: Warum soll ich von dem, was ich habe, nicht etwas abgeben?"
Eine soziale Ader hat Regina Meyn schon immer gehabt. Früher arbeitete sie als Krankenschwester und freie Therapeutin.
"Es gibt einfach Situationen, da braucht man Hilfe. Und dafür stehe ich!" Regina Meyn
Schon seit knapp zehn Jahren hilft Regina Meyn geflüchteten Familien, die es nach Rendsburg verschlägt. "Ich habe mir vorgestellt, wie es wäre, wenn ich mit meinen Kindern flüchten müsste und ich komme in ein mir völlig fremdes Land. Dann wäre es doch schön, wenn da jemand ist, der hilft." Deshalb wolle sie die Menschen dabei unterstützen, in Deutschland Fuß zu fassen. Sie hilft etwa bei Behördengängen oder organisiert Arzttermine.
Timo Knop: "Viele fühlen sich nicht mehr sicher"
Timo Knop aus Hamburg arbeitet im Außendienst, er ist viel in Norddeutschland unterwegs. Was ihm dabei auffalle: "Bremen, Kiel, Lübeck, Hannover - überall hat sich das Stadtbild in den vergangenen zehn Jahren sehr stark verändert." Sein Eindruck sei, dass vielerorts der Anteil an Migranten sichtbar zugenommen hat. "Viele, mit denen ich spreche, beschleicht dieses Gefühl: Das ist nicht mehr meine Stadt, mein Land - irgendetwas passiert hier gerade." Knop fragt: "Wann ist es genug der Vielfalt? Wann ist dann mal eine Haltelinie? Das fragen sich viele Leute."
"Meine Sorge ist, dass der Kuchen irgendwann nicht mehr für alle reicht. Was machen wir mit all den zugewanderten Menschen, wenn die schlecht bezahlten Arbeitsplätze nicht mehr da sind, weil Roboter, KI oder asiatische Fabriken die Jobs übernehmen?" Timo Knop
Knop sagt zum Thema Integration: "Niemand muss deutscher werden als der Deutsche. Jeder darf seine Kultur und seine Werte behalten, sofern sie mit den westlichen Werten vereinbar sind. Dann darf jeder nach seiner Fasson glücklich werden."
So lief die "oha!"-Debatte über Migration
Timo Knop ist es wichtig klarzustellen, dass er nicht der AfD nahesteht. "Ich mache hier bei der Debatte mit, weil ich nicht will, dass immer nur die extremen Positionen gehört werden." Auf seinen vielen Reisen durch Norddeutschland habe er den Eindruck gewonnen, dass die Bevölkerung nicht bereit sei, noch mehr Geflüchtete aufzunehmen. "Immer wieder höre ich in meinen Gesprächen, dass sich Leute nach den Attentaten von Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg nicht mehr sicher fühlen."
Regina Meyn hält dagegen: "Das ist ja nur ein Gefühl. Das sind einzelne Taten, die von den Medien und der Politik aufgegriffen und aufgebauscht werden." Die Rendsburgerin spricht von einer Massenhysterie. Sie hätte sich eine andere, eine besonnene Reaktion auf die Attentate gewünscht. "So wie es Norwegen nach den Anschlägen von Anders Behring Breivik im Jahr 2011 gemacht hat." Die geflüchteten Menschen, die in Deutschland ankommen, seien nicht per se ein Problem.
Das sieht Timo Knop auch so. Er schätze zudem "den kulturellen Impact" der Migranten. Aber der Außendienstler macht auch deutlich, dass er von Geflüchteten erwartet, dass sie hier die Gesetze befolgen. "Ich habe grundsätzlich ein Problem mit Menschen, die sich hier nicht an die Kapelle halten."
Regina Meyn gibt zu bedenken, dass die Situation für die Geflüchteten oft schwierig sei. "Die Menschen haben in den Container-Unterkünften rund um die Uhr Langweile. Wir haben es in Deutschland nicht geschafft, ihnen eine Perspektive oder eine Beschäftigung zu geben."
Mit Blick auf den Fachkräftemangel im Land wünscht sich Regina Meyn, dass Deutschland weiterhin Geflüchtete aufnimmt. "Dann müssen wir nicht die Fachkräfte aus der fernen Welt einkaufen." Timo Knop hingegen sieht die Städte und Gemeinden schon jetzt heillos überfordert: "Die schiere Zahl der Menschen ist zu hoch. Ich finde: Wir müssen ergründen, wie viele Menschen wir gut integrieren können und dann entsprechend die Zahl der Geflüchteten begrenzen."
Beide sind sich einig, dass bei der Integration so manches schief läuft. "Wenn wir ein offenes und buntes Land bleiben wollen, dann müssen sich die Menschen hier integrieren können, wenn sie es wollen", sagt die Rendsburgerin. Es sei enorm wichtig, dass die Kinder eine gute Schulausbildung erhalten und die Eltern gute Sprachkurse.
Timo Knop hofft, dass die etablierten Parteien das Thema Migration "noch in den Griff bekommen. Ich kenne einige, bei denen ist der Geduldsfaden schon gerissen - und die wählen jetzt die AfD."
So fällt das Fazit aus
Regina Meyn sagte hinterher: "Ich habe mich bei der Debatte nicht wohl gefühlt. Ich hätte lieber mehr auf der Sachebene diskutiert. Herr Knop hingegen hat sehr viele Phrasen aus der Medienlandschaft aufgegriffen. Das finde ich schade. Ich hatte nicht das Gefühl, dass es eigene Ansichten waren. Es ging bei ihm viel um gefühlte Wahrheiten. Ich würde sagen: Er ist ein Mensch, mit dem ich beim Thema Migration nicht auf einen Nenner kommen kann. Aber generell würde ich so eine Debatte sofort wieder machen."
Timo Knop sagte hinterher: "Ich fand das Gespräch sehr schön, es war auf Augenhöhe. Es war eigentlich so, wie ich es mir erhofft hatte. Ich finde toll, dass es Menschen wie Regina Meyn gibt, die anderen helfen. Und ich verstehe sehr gut, woher sie ihre Meinung hat. Aber sie sieht das große Bild nicht. Sie sieht die Angst nicht, die viele in Deutschland haben. Und ihre Argumente kannte ich bereits. Ich glaube, ich konnte sie mit meinen Argumenten nicht überzeugen. Aber das ist in Ordnung."
Das Video zu dieser Folge von "oha! Zwei Welten an einem Tisch" können Sie auch im YouTube-Kanal von NDR Info sehen. Alle vier Videos des "oha!"-Dialog-Formats sind bereits in der ARD Mediathek zu finden. Die drei weiteren Artikel gibt es hier: