Nach den Landtagswahlen: Tag der Analysen
Nach den Gewinnen von AfD und BSW bei den Wahlen in Thüringen und Sachsen wird die Regierungsbildung in beiden Bundesländern wohl herausfordernd. Mit der AfD möchte keine Partei koalieren, entscheidend sein könnte das BSW.
In Sachsen wird die CDU vor der AfD stärkste Kraft, in Thüringen ist es genau umgekehrt: Dort gewinnt die AfD erstmals die Wahlen zu einem Landesparlament. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) erreicht aus dem Stand in beiden Bundesländern ein zweistelliges Ergebnis. Eine Zusammenarbeit mit der AfD haben alle Parteien ausgeschlossen. In beiden Bundesländern sei die Regierungsbildung dadurch kompliziert, sagt Parteienforscher Jochen Müller von der Universität Greifswald im NDR. "In jedem Fall sind ungewöhnliche Bündnisse erforderlich. Insbesondere die Verbindung zwischen Christdemokraten und BSW dürfte eine besondere Rolle bei den anstehenden Verhandlungen spielen."
Das BSW zeigt sich offen für Gespräche. "Das haben wir von Anfang an gesagt. Was aber klar sein muss: Wir werden uns an einer Regierung nur beteiligen, wenn es wirklich echte Änderungen gibt", sagte die Oldenburgerin Amira Mohamed Ali, Vorsitzende der Partei Bündnis Sahra Wagenknecht auf NDR Info.
Absturz der Linken - SPD und Grüne einstellig
Die SPD verharrt in beiden Bundesländern im einstelligen Bereich. Die Grünen fliegen in Thüringen aus dem Landtag, in Sachsen schaffen sie es knapp über die Fünf-Prozent-Hürde. Die Linke stürzt in Thüringen um fast 18 Prozentpunkte ab. In Sachsen bleibt sie dem Landtag nur durch den Gewinn von zwei Direktmandaten erhalten, wodurch die Fünf-Prozent-Hürde für sie aufgehoben ist. Die FDP ist - wie bereits in Sachsen - nun auch in Thüringen nicht mehr im Landesparlament vertreten.
Unzufriedenheit mit Bundesregierung nur ein Faktor
Parteienforscher Müller sagt, Parteien der Bundesregierung verlieren bei Landtagswahlen grundsätzlich. "Entsprechend sind diese Entwicklungen nicht überraschend und nicht spezifisch für diese beiden Wahlen." Die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung sei aber nur ein Faktor. Die AfD wählten demnach vor allem "Personen, die kritisch sind gegenüber Zuwanderung, kritisch mit Blick auf den Islam und die die EU kritisch bewerten". Auch Menschen mit populistischen, demokratiekritischen und völkischen Einstellungen wählten eher AfD, sagt Müller. "Das ist kein ostdeutsches Phänomen, es ist noch nicht mal ein deutsches Phänomen." In vielen europäischen Ländern gebe es das Phänomen seit etwa 20 Jahren. Der Anteil von Personen mit populistischen und rechtsextremen Einstellungen sei im Osten lediglich etwas höher als im Westen Deutschlands.
SPD: Weil und Schwesig nennen Ergebnisse "erschreckend"
Als "erschreckend" hat Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) die Ergebnisse der AfD bezeichnet. Es stelle sich die Frage, wie es gelingen könne, diese Wählerinnen und Wähler wieder für Parteien zu gewinnen, die klar auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Es sei "offenkundig", dass das Resultat "weit vom Anspruch der SPD als bundesweiter Volkspartei entfernt" sei, sagte er.
Auch Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig bezeichnete die Ergebnisse als "erschreckend". "Es ist für alle Demokraten ein schlimmes Ergebnis, wenn eine als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei stärkste Kraft in Thüringen ist", sagte sie. In Sachsen habe sich hingegen gezeigt, dass sich die Bürgerinnen und Bürger in schwierigen Zeiten hinter dem Ministerpräsidenten sammeln. Die SPD habe ihr Minimalziel in beiden Bundesländern erreicht.
Günther: CDU ist Gewinner mit Herausforderungen
Nach Ansicht von Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) ruhen die demokratischen Hoffnungen in Sachsen und Thüringen allein auf seiner Partei. Angesichts der schockierend hohen Zustimmung für die AfD und das BSW stünden seine Kollegen in den beiden Bundesländern jetzt vor der großen Herausforderung, in dieser schwierigen Situation handlungsfähige Regierungen zu bilden, sagte er. Niedersachsens CDU-Landeschef Sebastian Lechner sieht seine Partei als Gewinner der Landtagswahlen - aber ein "Gewinner-Gefühl" wolle sich angesichts der AfD-Ergebnisse nicht einstellen. Selbstbewusst gab sich der Vorsitzende des CDU-Landesverbandes in Mecklenburg-Vorpommern, Daniel Peters. Seine Partei sei "im Osten die letzte verbliebene Volkspartei", erklärte er. An den Christdemokraten werde es liegen, in Thüringen und Sachsen Regierungen zu bilden.
AfD im Norden feiert Erfolg
Schleswig-Holsteins AfD-Landessprecher Kurt Kleinschmidt sagte, dass aus seiner Sicht "hervorragende Wahlprogramm" sei für das gute Abschneiden der Partei verantwortlich. Es handle sich bei den Wählern nicht um Protestwähler - die AfD habe ein festes Potential, das sogar noch wachse. Von einem "riesigen Erfolg" sprach Mecklenburg-Vorpommerns AfD-Landeschef Leif-Erik Holm. Auch Hamburgs AfD-Chef Dirk Nockemann fand das Ergebnis "sehr erfreulich".
FDP: Eigenes Wahlergebnis ist "mies"
Schleswig-Holsteins FDP-Vorsitzender Oliver Kumbartzky nannte das Abschneiden seiner Partei "erschreckend", aber erwartbar. Der stellvertretende Vorsitzende der Hamburger FDP, Andreas Moring, bezeichnete die Wahlergebnisse seiner Partei als "mies - da gibt es auch nichts dran rumzudeuteln." Mecklenburg-Vorpommerns FDP-Landesgeneralsekretär David Wulff nannte das doppelte Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde besorgniserregend.
Grüne: "Niederlage aller demokratischen Kräfte"
Für die Landesvorsitzende der Grünen in Niedersachsen, Greta Garlichs, ist das Ergebnis eine "Niederlage aller demokratischen Kräfte". Es stelle eine Zäsur in der Geschichte ihrer Partei dar. Laut einer der beiden Landesvorsitzenden der Grünen im Nordosten, Katharina Horn, müssten beide Landtagswahlen "allen Demokratinnen und Demokraten zu denken geben". Nach Ansicht der Grünen-Vorsitzenden Anke Erdmann aus Schleswig-Holstein müssen sich nach den Landtagswahlen stabile Koalitionen jenseits der AfD finden.
Der Chef der Linken in Mecklenburg-Vorpommern, Hennis Herbst, zeigte sich mit Blick auf den Machtverlust in Thüringen enttäuscht. Auch Hamburgs Landesvorsitzender der Linken, Thomas Iwan, bezeichnete das Ergebnis der Landtagswahlen insgesamt als "super bitter".
Demos gegen AfD
In Norddeutschland kam es nach den Wahlen an mehreren Orten zu Demonstrationen gegen die AfD - unter anderem am Montagabend in Hannover. Dort demonstrierten etwa 600 Menschen. Am Sonntagabend versammelten sich in Hamburg mehrere Hundert Menschen, um gegen den Rechtsruck und die AfD zu demonstrieren. Sie zogen zur AfD-Parteizentrale an der Schmiedestraße.