Moor und Klimaschutz: Welche Zukunft haben die Landwirte?
Seine Klimaziele wird Deutschland wohl nur erreichen, wenn die vielen trockengelegten Moore wiedervernässt werden. Aber: Das ist leichter gesagt als getan. Denn auf einem Großteil dieser Moorflächen wird heute Landwirtschaft betrieben. Die gute Nachricht: An Lösungen wird schon gearbeitet - auch im Norden.
In Bargischow in Mecklenburg-Vorpommern wird an der Zukunft gebastelt - zumindest, was die Zukunft von trockengelegten Mooren angeht. Das Dorf kurz vor der Insel Usedom ist umringt von weiten Wiesen und Feldern, die nichts anderes sind als trockengelegte Moorflächen. Auf einer Fläche, die rund 1.300 Fußballfeldern entspricht, wird das Moor nun wiedervernässt. Dafür wird das Gebiet in sieben Teile aufgeteilt, damit die Wissenschaftler mit unterschiedlich hohen Wasserständen experimentieren können. Dazu werden Gräben angelegt, in denen das Wasser stehen kann, und Deiche, die dafür sorgen, dass die umliegenden Orte nicht überflutet werden.
Klimaschutz und Landwirtschaft unter einen Hut bringen
Bei dem Pilotprojekt geht es darum herauszufinden: Welche Pflanzen können auf wiedervernässten Flächen am besten wachsen? Und: Wie kann die Landwirtschaft dort wirtschaften? Das Ziel ist, möglichst beides unter einen Hut zu bekommen: den Klimaschutz und die Landwirtschaft. Denn trockengelegte Moore sind mit ihren hohen CO2-Emissionen ein großes Problem fürs Klima.
Folgende Zahlen verdeutlichen dies sehr gut: Obwohl nur etwa fünf Prozent der Landfläche in Deutschland Moore sind, sind sie für etwa ein Drittel aller CO2-Emissionen aus der Landwirtschaft verantwortlich. "Moor muss nass", sagen deshalb Politiker jetzt häufig. Schätzungsweise 90 bis 95 Prozent der Moore hierzulande sind über die Jahrhunderte trockengelegt worden. Insgesamt machen die Moore laut Bundesumweltministerium mehr als sieben Prozent der deutschen Treibhausgas-Emissionen aus.
Wiedervernässtes Moor: "Da geht mir das Herz auf"
Anke Nordt kennt sich bestens mit dem Projekt in Bargischow aus. Die Landschaftsökologin arbeitet am Greifswald Moor Centrum - einer Zusammenarbeit von der Universität Greifswald mit einer Moorschutz-Stiftung und einem Naturverein. Ihr geht beim Anblick von wiedervernässten Moorflächen das Herz auf. "Ich erfreue mich an diesen Flächen, die wieder naturnäher sind und auch nicht so intensiv für die Landwirtschaft genutzt werden - und sie sind Rückzugsraum für viele Tierarten." Aber die Moor-Expertin kann auch die Landwirte verstehen, die Sorge haben, dass eine Wiedervernässung ihre Existenz kosten könnte, weil sie die Flächen nicht mehr wie gewohnt bewirtschaften können.
Je nasser der Moorboden, umso besser fürs Klima
Eine Frage interessiert das Forscherteam in Bargischow natürlich besonders: Was bringt die Wiedervernässung dem Klimaschutz? Um diese Frage beantworten zu können, werden vor Ort ständig die "Treibhausgas-Flüsse" gemessen - vereinfacht gesagt: Die Wissenschaftler messen unter anderem die klimaschädlichen Gase Kohlendioxid und Methan.
Für verlässliche Aussagen müssten zunächst die Daten eines ganzen Jahres gesammelt werden. Aber es gibt schon Erfahrungswerte. Pro Hektar trockengelegter Moorfläche werden ungefähr 30 Tonnen pro Jahr an CO2-Äquivalenten frei, wie Anke Nordt im Podcast "Mission Klima - Lösungen für die Krise" berichtet. "Und wenn es eine Nasswiese ist, dann reduzieren wir das hoffentlich auf fünf Tonnen, acht Tonnen oder zehn Tonnen, je nachdem, wie weit wir den Wasserstand im Sommer hochhalten können." Denn auf den Wasserstand im Torfboden kommt es maßgeblich an. Trockene Sommer können also die Sache erschweren - zumal ein Tag strömender Regen nichts groß bewirkt. Kurzum: Ein Moor lässt sich mitunter nicht so leicht vernässen.
Experten gehen davon aus, dass - über den Daumen gepeilt - pro zehn Zentimeter höherem Wasserstand fünf Tonnen CO2 pro Hektar und Jahr eingespart werden können. Dem Klima ist als auch schon geholfen, wenn Flächen nicht komplett wiedervernässt werden.
Landwirte brauchen neue Maschinen für die Ernte
Und wenn ein einst trockengelegtes Moor wieder nass ist? Mit welchen Maschinen können Landwirte auf solchen Flächen arbeiten? "Die große Herausforderung wird sein, wie man diese Biomasse erntet und sie bis zum Feldrand transportiert", sagt Anke Nordt. "Dafür gibt es noch keine wirklich guten Lösungen. Es wird eher in die Richtung gehen, dass man eine Maschine hat, die erntet und eine hohe Leistung hat. Und dann kleinere Maschinen, die einfach nur die Biomasse, also das Erntegut, abtransportieren."
Und was können Landwirte überhaupt auf den wiedervernässten Moorböden anpflanzen? Aus anderen wiedervernässten Mooren weiß man: Dies können Schilf, verschiedene Sauergräser oder Rohrkolben sein. Rohrkolben sind schilfartige Pflanzen mit einem langgezogenen dunklen Blütenstand am oberen Ende. Experten sprechen von Paludikultur. "Gemeint ist damit die Bewirtschaftung in nassen Mooren mit standortangepassten Pflanzenarten", erklärt Anke Nordt. Der Anbau auf feuchten Flächen ist keine neue Erfindung, im Gegenteil. Bevor die Moore trockengelegt wurden, haben die Menschen dort auch schon Landwirtschaft betrieben.
Paludikultur und das Henne-Ei-Problem
Bleibt die Frage, wie gut die Landwirte Erzeugnisse aus einer Paludikultur verkaufen können. Hier kommt Torsten Galke vom Unternehmen Moor and More ins Spiel. Er schaut mit seinem Team, welche Produkte man mit der Ernte aus einem wiedervernässten Moor herstellen und auf den Markt bringen kann. Noch steht das Ganze am Anfang. "Da sind wir im Henne-Ei-Problem gefangen: Niemand fängt an, ein Produkt zu entwickeln für einen Rohstoff, den es nicht gibt. Und niemand baut einen Rohstoff an für Produkte, die es nicht gibt", sagt Galke. "Und deswegen haben wir uns damals gegründet. Wir haben uns gesagt: 'Wir müssen mal anfangen!' Weil wir die Moore jetzt vernässen müssen. Das muss bald passieren. Und deswegen entwickeln wir schon mal Produkte.“
Rohrkolben eignen sich gut für Dämmung
Mit den ersten Produkten hat Galke ein mobiles Minihaus gebaut, mit dem er durch Deutschland tourt. Für die Dämmung hat er Rohrkolben verwendet. "Der Rohrkolben bildet von selbst ein Schwammgewebe. Den Rohrkolben kann man einfach kleinhacken und einblasen in der Wand. Und dann hat man schon eine fertige Dämmung", erklärt Galke. Weitere Moor-Produkte sind: Schilfmatten, mit denen man Dächer decken oder auch Wände dämmen kann, und Möbelplatten aus Gras.
Bislang ist alles Handarbeit. Immerhin: Torsten Galke ist gerade dabei, eine automatisierte Produktion zu entwickeln, damit die Grasplatten zum Möbelbau nicht mehr von Hand gefertigt werden müssen. Er rechnet damit, dass er etwa zwei Jahre brauchen wird, bis die Anlage fertig ist - und dann möchte er den Landwirten das Angebot machen, dass er ihnen die Rohrkolben oder die Gräser abkauft, daraus Produkte herstellt und möglicherweise auch die Landwirte an dem Gewinn aus dem Verkauf beteiligt - wie in einer Genossenschaft.
"Das politische Handeln ist dramatisch langsam"
Für einen Erfolg des Projekts von Torsten Galke spricht, dass das Tempo bei der Moor-Wiedervernässung künftig deutlich gesteigert werden muss. "Zurzeit werden in Deutschland jährlich ungefähr 2.000 Hektar vernässt", sagt Moor-Forscherin Anke Nordt. "Um die Klimaschutz-Ziele einzuhalten, müssten aber 50.000 Hektar pro Jahr vernässt werden."
Auch dem Agrarwissenschaftler Harald Grethe von der Humboldt-Universität zu Berlin geht der Prozess noch viel zu langsam. "Wo ich die Geschwindigkeit des politischen Handelns wirklich dramatisch langsam finde: Wir wissen an vielen Standorten gar nicht genau, welche Teile der Moore wir wiedervernässen können", so Grethe. Er ist Experte für den klimafreundlichen Umbau der Landwirtschaft. Zu klären sei noch für jeden Hof, welche Fläche vernässt werden kann und was das für angrenzende Häuser bedeutet. Zwar gebe es dafür in vielen Regionen schon Ansätze. Aber der Masterplan für ganz Deutschland fehle, sagt Grethe. Die Wiedervernässung der Moore in Deutschland sei eine gesellschaftliche Herausforderung so groß wie der Kohleausstieg.
Die Ungewissheit ist das Schlimmste
Anke Nordt meint, die politischen Rahmenbedingungen seien elementar. Ein wichtiger Punkt sei dabei die Agrar-Förderung, die bisher nicht gut zum Wiedervernässen von landwirtschaftlichen Flächen passe. "Es geht bis hin zu der Frage, wie viel der Boden wert ist. Und er ist nun einmal weniger wert, wenn er einen höheren Grundwasserstand hat. Dies führt wiederum dazu, dass der Landwirt weniger kreditwürdig ist, wenn seine Fläche weniger wert ist." Das wiederum könnte ein Problem sein: Um auf eine völlig andere Produktion umzustellen, müssten die Landwirte große Investitionen tätigen - in neue Maschinen beispielsweise. Es gibt erste Förder-Möglichkeiten für Landwirte, die ihre Moorflächen wiedervernässen, aber es ist noch viel Luft nach oben.
Vielen Landwirten, die bislang auf trockengelegten Moorflächen wirtschaften, macht ohnehin etwas anderes noch mehr zu schaffen: die Ungewissheit, was genau auf sie zukommt.
Alle Folgen des Podcasts "Mission Klima - Lösungen für die Krise" sind auch in der App von NDR Info und in der ARD Audiothek zu finden.