Medikamentenmangel: Hersteller beklagen fehlende Gewinne
Überfüllte Kinderarztpraxen, Kliniken am Limit, fehlende Fiebermedikamente oder Antibiotika für die Kleinen. Die Kindermedizin erlebt derzeit einen Stresstest, dem sie kaum noch standhalten kann.
Ungewöhnlich häufige Atemwegserkrankungen werden plötzlich zu einer großen Gefahr. Medikamente fehlen mancherorts. Wie konnte es so weit kommen? Im Interview mit NDR Info äußert sich Hubertus Cranz, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller e.V.
Wie sind wir in Deutschland in diese Lage geraten?
Hubertus Cranz: Es sind viele Faktoren, die hier zusammenkommen: Wir haben leider eine besonders hohe Nachfrage im Augenblick aufgrund des hohen Krankenstandes - vieler Personen, leider auch besonders vieler Kinder! Vor dem Hintergrund ist es eine Situation, auf die sich die Industrie in dieser Form auch nicht einstellen konnte. Auf der anderen Seite haben wir eine Situation, dass doch sehr viele strukturelle Probleme auch im Gesamtsystem vorhanden sind. Das heißt, wir haben ein System extrem geregelter Deckel der Preise. Vor allen Dingen ist hier das sogenannte Festbetragssystem von Bedeutung. Und das hat dazu geführt, dass wir in Deutschland ein sehr niedriges Preisniveau haben. Das wiederum hat dazu geführt, dass einzelne Hersteller heute gar nicht mehr im Markt sind, weil sie es letztendlich sich nicht leisten konnten, die Produkte weiterhin zu produzieren.
Nehmen wir mal das Beispiel Fiebersaft. Der ist ja für Hersteller ein attraktives Produkt und eigentlich auch ein gesicherter Absatzmarkt. Und dennoch ist eben die Zahl der Produzenten für den deutschen Markt eingebrochen - viele sind ausgestiegen. Warum ist das so?
Cranz: Auf den ersten Blick scheint es so zu sein, wie sie sagen. Aber wenn man sich das System genauer ansieht, ist es so, dass für die Fiebersäfte ein extrem niedriger Preis von Seiten der Krankenversicherung erstattet wird. Dieser wird festgelegt durch das sogenannte Festbetragssystem. Und dieser Preis ist so niedrig, dass es für die Hersteller extrem schwierig ist, die Produkte auf dem Markt zu halten, sobald die kleinsten Schwierigkeiten auftreten! Natürlich leidet die Industrie wie wir alle unter den extrem steigenden Inflationsraten. Und das hat eben dazu geführt, dass die Kostensituation der Hersteller sich verschlechtert hat. Auf der anderen Seite - und das kann jeder gut nachvollziehen: Wenn die Preise sozusagen gedeckelt sind, dann wird die Marge natürlich immer enger. Und letztlich führt es dann häufig dazu, dass man in die roten Zahlen kommt. Und damit die Firma überleben kann, vor allen Dingen auch langfristig überleben kann, lohnt es sich dann nicht, die Produkte weiterhin auf den Markt zu bringen.
Der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will jetzt per Gesetz eingreifen. Er will Preisregeln bei Arzneimitteln für Kinder ändern: Also für bestimmte Präparate künftig das bis zu 1,5 -fache des Festbetrags von den gesetzlichen Krankenkassen übernehmen lassen. Und so würden sich ja die Gewinnspannen der Hersteller deutlich erhöhen. Ist das denn in Ihrem Sinne?
Cranz: Wenn es überhaupt eine Gewinnspanne gäbe - das wäre schön! Die augenblickliche Situation bei vielen der Produkte ist so, dass es gar keinen Gewinn gibt. Und der Hersteller trotzdem - auch aus seiner Verantwortung heraus - die Produkte auf den Markt bringt. Aber grundsätzlich ist natürlich die Überlegung von Seiten des Bundesgesundheitsministeriums richtig. Es ist gut, dass man das Thema jetzt angeht. Das hat man lange Zeit nicht ganz so wahrgenommen. Im Augenblick ist es so, dass man sich - und das ist auch richtig so - natürlich auf dieses besondere Problem der Fiebersäfte konzentriert. Aber es ist nicht nur ein Problem der Fiebersäfte. Es ist ein strukturelles Problem, was wir im Gesamtmarkt haben. Das betrifft viele, viele Produkte, viele, viele Wirkstoffe. Insoweit wäre es aus unserer Sicht wichtig, dass man die Thematik insgesamt angeht und nicht nur speziell einzelne Produktgruppen.
Es soll diese neuen Preisregelungen auch für bestimmte Krebsmedikamente und Antibiotika für Erwachsene geben. Bringt das wirklich etwas?
Cranz: Ja, das würde natürlich schon etwas bringen. Wenn wir eine Situation haben, wo wir eine Preisdeckelung haben und auf der anderen Seite erheblich steigende Kosten, dann ist das natürlich schon wichtig, dass man dieses Gesamtsystem jetzt angeht. Und natürlich würde eine Änderung im Festbetragssystem, aber vor allen Dingen auch bei den Rabattverträgen, schon die Gesamtsituation entspannen. Bei dem Rabattvertrag-System geht es vor allen Dingen darum, dass man nicht nur mehr Verträge macht mit einem Anbieter, sondern idealerweise mehrere Anbieter berücksichtigt. Das verringert die Abhängigkeiten und macht das Gesamtsystem letztlich sicherer.
Ein Argument, das wir auch immer hören: Wir seien zu abhängig von Anderen in der Produktion. Was ist denn mit bundeseigenen Produktionsstätten? Das ist auch ein Vorschlag, der gerade kursiert. Ist das realistisch?
Cranz: Das ist kurzfristig nicht realistisch, das ist auch mittel- und langfristig nicht sinnvoll. Es ist ja so, dass auch weiterhin die meiste Zahl der Arzneimittel verfügbar ist. Jeder einzelne Fall, wo ein Arzneimittel nicht verfügbar ist, ist bedauernswert und muss auch angegangen werden. Aber es ist ja nicht so, dass die Industrie nicht in der Lage wäre, generell auch die Arzneimittel zu produzieren und zur Verfügung zu stellen. Aber ein völliger Systembruch im Sinne, dass der Staat zum Unternehmer wird, das kann nicht sinnvoll sein. Und das haben wir auch in der Vergangenheit gesehen, dass so etwas ja nicht zu dem gewünschten Ziel führt.
Nein, ich denke, wir brauchen jetzt eben die Korrekturen, die offenbar auch angedacht werden. Und wir brauchen einen guten Austausch, Dialog, der auch vor allen Dingen durch den Beirat beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte erfolgt. Dann können wir aktuelle Probleme angehen und gleichzeitig aber auch strukturelle Probleme überwinden. Wenn wir so doppelgleisig fahren, dann kommen wir auch zu einem wesentlich besseren System.
Das Gespräch führte Liane Koßmann, NDR Info