Medikamenten-Flohmarkt? "Das hört sich nach offener Drogenszene an"
Viele Arztpraxen sind wegen grassierender Atemwegsinfekte gerade voll. Zugleich stockt der Nachschub bei bestimmten Medikamenten - und das nicht nur bei Arzneimitteln für Kinder.
Einer von vielen Vorschlägen, um den akuten Lieferengpass zu überbrücken, lässt aufhorchen: Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, sagt, angesichts der Lage helfe nur Solidarität. Wer gesund sei, müsse vorrätige Arznei an Kranke abgeben. "Wir brauchen so etwas wie Flohmärkte für die Medikamente in der Nachbarschaft", so Reinhardt. Im Interview mit NDR Info äußert sich nun Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, zu dem Vorschlag.
Was halten Sie von dem Vorstoß des Präsidenten der Bundesärztekammer?
Eugen Brysch: Der Bundesärztekammer-Präsident möchte ja so eine Art Basar organisieren. Man darf da schon sagen: Kreative Ideen sind gut, aber unbekannte Medikamente von unbekannten Menschen untereinander zu verteilen und weiterzugeben, das hört sich eher nach einer offenen Drogenszene an.
Wenn wir uns über Grippemittel unterhalten - etwa über fiebersenkende Mittel oder über schleimlösende Arzneien bei Atemwegserkrankungen, dann sind es doch eher Medikamente, von denen man sagen könnte: Da reicht man auch im Freundeskreis mal etwas weiter. Warum soll das nicht auf Nachbarschaftsebene funktionieren?
Brysch: Da funktioniert schon sehr viel. Am Patientenschutz-Telefon erfahren wir von WhatsApp-Gruppen, wo sich beispielsweise junge Familien austauschen und sich untereinander helfen. Diese Hilfe ist ganz wichtig - auch in der Familie, auch von Nachbar zu Nachbar. Aber laut Bundesärztekammer soll ja eine Art Flohmarkt organisiert werden. Und da darf ich doch ein Fragezeichen dranmachen.
Ist das nicht eine Frage, wie man es angeht?
Brysch: Ich denke, wir müssen mit großer Vorsicht damit umgehen. Der Bundesärztekammer-Präsident hat ja auch gesagt, man solle Medikamente weitergeben, die schon abgelaufen sind. Gerade bei Säften muss man aber aufpassen: Wann sind sie geöffnet worden? Die Säfte sind nämlich nicht dauerhaft haltbar. Da brauche ich ein großes Vertrauen untereinander. Medikamente sind nicht auf einem Trödelmarkt zu handeln. Sie sind lebensnotwendig, und da muss man wissen: Was ist mit der Blisterverpackung? Was ist mit der Aufbewahrung? Was ist mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum? Da wischt der Bundesärztekammer-Präsident ein bisschen locker drüber hinweg. Aber bei dieser Thematik ist Ernsthaftigkeit angebracht.
Was halten Sie von dem Appell an Apotheken und an den Großhandel, Medikamente nicht zu horten, sondern transparent auf den Tisch zu legen, was an Medikamenten wirklich verfügbar ist?
Brysch: Tatsächlich ist es so, dass es ziemlich undurchsichtig ist, welche Groß-Apotheke, welcher Handel, welche Medikamente hat. Und genau das ist das Problem. Wir brauchen hier Transparenz. Aber die Bundesregierung hat ja auch aus der Corona-Krise nichts gelernt. Bei den Masken hatten wir das vor drei Jahren, jetzt bei den Medikamenten. Es fehlt tatsächlich etwas, was steuernd eingreift. Übrigens dürfen wir nicht vergessen: Früher war es üblich, dass Apotheken genau diese Medikamente, über die Sie gerade gesprochen haben, selbst zubereitet haben, direkt in der Apotheke. Auch dazu müssen wir wieder kommen.
Was haben Sie darüber hinaus für Vorschläge, wie man aus dieser akuten Knappheit bestimmter Arzneimittel herauskommt?
Brysch: Das Bundesgesundheitsministerium muss zunächst erst einmal dafür sorgen, dass wir im nächsten Jahr nicht wieder in die gleiche Krise rutschen. Und dafür muss ein Transparenz-Gesetz in Bezug auf die Lagerung und Bevorratung dieser Medikamente endlich realisiert werden.
Und darüber hinaus ist die Frage zu klären: Ist das nicht auch europaweit zu regeln? Brauchen wir die Grundproduktion der Medikamente nicht gerade hier? Wir erleben ja gerade, dass viele dieser Medikamente aus asiatischen Ländern kommen. Gerade in China bricht aber eine neue Infektionswelle aus. Das heißt, die brauchen diese Medikamente gerade selbst. Zu sagen, nur der billigste Produzent kriegt den Zuschlag, muss ein Ende haben. Es muss derjenige den Zuschlag bekommen, der dauerhaft garantiert, dass das Medikament auch da ist. Dafür ein paar Euro mehr auszugeben, ist richtig und wichtig. Aber hier ist das Gesundheitsministerium in der Verantwortung, das deutschlandweit und abgestimmt in Europa zu realisieren. Wir können den anderen ja nicht, weil wir mehr zahlen als die anderen, einfach die Medikamente wegkaufen. Das ist keine Solidarität!
Das Gespräch führte Ulrike Heckmann, NDR Info.