Flohmärkte für Medikamente? Was Experten aus SH dazu sagen
Erkältungswelle trifft Arzneimittelengpass: Wegen Lieferschwierigkeiten sind viele Medikamente momentan nicht zu bekommen - etwa Schmerzmittel, Hustensäfte und Antibiotika.
Ein Vorschlag des Bundesärztekammerpräsidenten Klaus Reinhardt, auf Flohmärkten auch abgelaufene Medikamente auszutauschen, sorgte für heftige Kritik. "Die Lage ist extrem angespannt", sagt Elisabeth Mürnseer. Sie betreibt zwei Apotheken in Itzehoe und Hohenlockstedt (Kreis Steinburg). "Im Moment ist es so, dass wir jubeln und uns gegenseitig erzählen, wenn wir einen Patienten ohne Probleme beliefern konnten." Die Regel sei eher, dass kein Kunde, der mit drei Rezepten hereinkommt, auch mit den drei aufgeschriebenen Medikamenten aus der Apotheke herausgehe. Neben den Engpässen bei Medikamenten für Kinder fehle auch vieles für Erwachsene: "Mittel gegen Bluthochdruck und Antidepressiva, aber auch Antibiotika, die man im akuten Fall braucht und auf die man nicht mehrere Wochen warten kann."
Mürnseer hat es sich zur Aufgabe gemacht, Lösungen für die Kunden zu finden, mit Ärzten Rücksprache zu halten, nach Alternativen suchen - wie es viele Apotheker und Apothekerinnen tun. Das koste alles sehr viel Zeit. Die Idee des Präsidenten der Bundesärztekammer, auf Flohmärkte für Medikamente in der Nachbarschaft zu setzen, auch für abgelaufene Medikamente, hält Mürnseer trotz der angespannten Lage für extrem gefährlich: "Arzneimittel sind keine Hustenbonbons. Sie wissen nicht, was ein abgelaufenes Arzneimittel für einen Schaden anrichten kann." Der könne schon allein durch ein unwirksames Medikament entstehen.
Apotheker: Abgelaufene Medikamente sind unberechenbar
Ist ein Medikament abgelaufen, beginnen Zersetzungsprozesse, erklärt Georg Zwenke, Geschäftsführer des schleswig-holsteinischen Apothekerverbands: "In Notfällen, wenn jemand ins Krankenhaus kommt, müssen die Ärzte natürlich wissen: Was hat der Patient eingenommen? Welche Wirkstoffe hat er im Körper? Und das weiß man bei Arzneimitteln nicht, die sich möglicherweise schon zersetzt haben." Das hohe Risiko ist laut Zwenke aber nicht das einzige Problem an der Flohmakt-Idee.
Arzneimittel-Flohmarkt - ein Straftatbestand
"Wer mit Arzneimitteln ohne Zulassung handelt - und das wären solche, die verfallen sind - verwirklicht einen Straftatbestand", so Zwenke. Eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe sei dafür vorgesehen. Außerdem wäre der, der auf einem Flohmarkt Arzneimittel vertreibt, auch ein Apotheker ohne Zulassung. Und das hat nach Zwenkes Ansicht einen guten Grund: "Arzneimittel gehören in die Apotheke." Dort werde kontrolliert, ob die Arzneimittel in Ordnung sind. Der Flohmarkt-Vorschlag ist für ihn "eine absolut aberwitzige Idee."
Der Apothekenverband setzt als Lösung für den Engpass auf Exporte aus dem europäischen Ausland: "In Südeuropa haben wir diese Infektionslage wie hier in Nordeuropa nicht." Großhändler und Apotheken würden versuchen, aus Ländern Arzneimittel zu beschaffen, die momentan einen geringeren Bedarf haben. "Die andere Lösung wäre, dass wir selber herstellen." Dazu müssten die Apotheker allerdings die Zutaten und Wirkstoffe haben, so Zwenke.
Patientschützer: "Medikamente sind nicht auf dem Trödelmarkt zu handeln"
Wirkstoffe und Zutaten sind genauso von Lieferengpässen betroffen, wie fertige Medikamente. Weil der Kostendruck hoch ist, gibt es weltweit nur noch wenige Hersteller: "Wir haben uns zu sehr auf die außereuropäische Produktion verlassen", sagt auch Eugen Brysch von der Stiftung Patientenschutz. "Bricht da etwas weg, sind wir ziemlich allein." Dafür müsse die Politik Verantwortung übernehmen. Auch Brysch sagt: "Medikamente sind nicht auf dem Trödelmarkt zu handeln. Sie sind lebensnotwendig." Um Medikamente weiterzugeben, brauche man großes Vertrauen, wie das Medikament vorher gelagert und wann es geöffnet wurde.
"Der Vorschlag von privaten Arzneimittelflohmärkten klingt zunächst charmant und pragmatisch", heißt es aus dem Gesundheitsministerium. "Allerdings sollte aus fachlicher Sicht davon Abstand genommen werden." Die Abgabe von verfallenen Arzneimitteln sei aus guten Gründen arzneimittelrechtlich verboten.