Gerichtsurteil: Polizeikosten bei Hochrisikospielen rechtens
Das Bundesverfassungsgericht hat den jahrelangen Streit um die Polizeikosten bei Hochrisikospielen im Profifußball beendet. Die Bundesländer dürfen diese Kosten in Rechnung stellen.
Dieses Urteil verkündete das Gericht in Karlsruhe am Dienstagmorgen. Damit ist der zehn Jahre dauernde Streit um die Gebühren beendet. "Auf diese Weise sollen die Mehrkosten der Polizeieinsätze nicht durch die Gesamtheit der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, sondern jedenfalls auch durch die wirtschaftlichen Nutznießerinnen und Nutznießer der Polizeieinsätze geschultert werden. Das ist ein verfassungsrechtlich legitimes Ziel", erklärte der Vorsitzende des Ersten Senats, Stephan Harbarth.
Erster Gebührenbescheid an die DFL schon 2015
Grundsätzlich geht es um das "Verursacherprinzip" bei kommerziellen Veranstaltungen mit mehr als 5.000 Personen. So werde laut Gericht das Ziel verfolgt, "nur diejenigen Veranstaltungen zu erfassen, die einen deutlichen polizeilichen Mehraufwand hervorrufen".
2015 hatte das Land Bremen nach dem Derby zwischen den Erzrivalen Werder und dem Hamburger SV der Deutschen Fußball Liga (DFL) erstmals eine Rechnung in Höhe von 425.000 Euro für einen Polizeieinsatz gestellt. Die DFL wehrte sich dagegen, musste aber juristische Niederlagen vor dem Oberverwaltungsgericht Bremen und dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hinnehmen. Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht wurde im April 2024 eröffnet.
DFL und Fanbündnis "Unsere Kurve" enttäuscht
Die DFL argumentierte vergebens, dass die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit außerhalb der Stadien eine staatliche Kernaufgabe sei, die grundsätzlich aus Steuermitteln zu finanzieren sei. Das Gericht sah es anders. "Für uns ist das natürlich enttäuschend, aber das haben wir zu akzeptieren", erklärte DFL-Anwalt Bernd Hoefer. "Wie die weiteren Folgen aussehen werden, müssen die nächsten Wochen und Monate zeigen", sagte Hoefer weiter: "Darüber will ich jetzt nicht spekulieren."
Auch das Fanbündnis "Unsere Kurve" zeigte sich entsetzt. "Es ist zu befürchten, dass damit der staatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland langfristig schwerer Schaden zugefügt wird", hieß es in einem Statement.
Für Jost Peters, Vorstand der Fan-Interessensgemeinschaft, verkomme durch das Urteil die "Polizeiarbeit zur simplen Dienstleistung". Für andere Großveranstaltungen wie das Oktoberfest müsse diese Regelung nun auch gelten.
Bremen als Vorbild für andere Bundesländer?
Knapp zwei Millionen Euro hat Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) der DFL über die Jahre in Rechnung gestellt. Die Hälfte davon musste Werder beim Ligaverband begleichen, der Rest wurde vorerst gestundet. "Die Entscheidung ist voll befriedigend, da bleibt nichts offen. Es ist ein sehr schöner Tag", sagte er, nachdem das Urteil am Dienstagvormittag in Karlsruhe gesprochen worden war. Das Ergebnis zeige, "dass es sich lohnt zu kämpfen", betonte der 73-Jährige.
"Die Entscheidung ist voll befriedigend, da bleibt nichts offen." Bremens Innensenator Ulrich Mäurer
Da Mäurer in seiner Praxis des Rechnungsschreibens bestätigt wurde, dürfte er weitere Mitstreiter in anderen Bundesländern finden. Vor allem Hamburg, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz gelten als Kandidaten.
So hatte die Hamburger Bürgerschaft bereits im September entschieden, dass die Fußballvereine aus der Hansestadt grundsätzlich an Polizeikosten beteiligt werden sollen. Sport- und Innensenator Andy Grote (SPD) will jedoch keinen Alleingang des Stadtstaates. Er fordert ein bundesweit einheitliches Vorgehen.
In dieselbe Kerbe schlug auch Oke Göttlich, Präsident des FC St. Pauli. Müssten der Kiezclub und der HSV zahlen, Vereine aus anderen Bundesländern aber nicht, wäre das Wettbewerbsverzerrung, erklärte er.
FC St. Pauli fürchtet mehr Hochrisikospiele
Der FC St. Pauli verwies zudem in einem Schreiben auf seiner Homepage darauf, dass der Veranstalter von Fußballspielen nicht Verursacher von Ausschreitungen sei, "wenn beispielsweise auswärtige Fans anreisen, die unserem Verein feindlich gegenüber eingestellt sind. Wir zahlen dann die Zeche für das Fehlverhalten einiger auswärtiger Fans." Der Verein und seine Anhänger erlebten zahlreiche Anfeindungen. "Diese Anfeindungen können dazu führen, dass wir als FC St. Pauli öfter Hochrisikospiele durchführen müssen und dementsprechend höhere Kosten haben. Kosten, die anderen Clubs mit weit mehr Geld nicht entstehen." Dies könne nicht im Sinne einer bundesweiten Gleichbehandlung sein.
Der HSV spricht von "einem irritierenden Urteil", das die staatliche Sicherheitsarchitektur infrage stellt. Die öffentliche Sicherheit dürfe nicht privatisiert werden, sagte Vorstand Eric Huwer.
Niedersachsen: Behrens begrüßt Urteil
Daniela Behrens, Ministerin für Inneres und Sport in Niedersachsen, begrüßte derweil das Urteil. Das Bundesverfassungsgericht habe damit Klarheit geschaffen, so die SPD-Politikerin. "Wenn zu erwarten ist, dass es bei einer kommerziellen Veranstaltung wie einem Hochrisikospiel zu einer Eskalation der Gewalt kommt, darf der Staat die Veranstalter für zusätzlich anfallende Einsatzkosten zur Kasse bitten", sagte die 56-Jährige.
Das Land Niedersachsen werde die Entscheidung des Gerichts nun "genau analysieren und weitere Schritte sorgsam abwägen", so Behrens: "Fest steht, dass wir in Niedersachsen ohnehin erst dann Gebühren erheben könnten, wenn wir eine entsprechende gesetzliche Regelung schaffen."
Mäurer schlägt Fonds vor
Die Verantwortlichen streben allerdings eine bundesweit einheitliche Lösung an. Deshalb hat Mäurer eine jährliche Beteiligung der DFL in Höhe von rund 20 bis 30 Millionen Euro in Form eines Fonds vorgeschlagen.
Das ist in etwa die Summe, die für die ungefähr 50 Hochrisikospiele in der Bundesliga und der Zweiten Liga pro Saison anfällt. 1.000 bis 1.500 Polizisten sind in der Regel bei solchen Begegnungen im Einsatz.
Werder wünscht sich Solidargemeinschaft
Werder fürchtet nach dem Urteil einen Wettbewerbsnachteil und hat die Bundesliga zur Solidarität aufgerufen. "Wir müssen nun im Ligaverband Diskussionen führen. Werder darf nicht alleine die Zechen zahlen. Das wäre eine Benachteiligung für uns, das tut uns weh", sagte Tarek Brauer, Geschäftsführer Organisation und Personal des Bundesligisten, in Karlsruhe.
"Die DFL ist mindestens Co-Veranstalter, und auch die Gästefans tragen zu einem Hochrisikospiel bei. Wir wünschen uns die Solidargemeinschaft der Liga und eine faire Verteilung der Kosten", ergänzte Brauer.
KSV-Boss Schneekloth: "Andere Entscheidung gewünscht"
Bei Bundesliga-Aufsteiger Holstein Kiel herrschte nach dem Urteil ebenfalls Enttäuschung. "Wir hätten uns eine andere Entscheidung gewünscht, akzeptieren diese und werden nun abwarten, welche politischen Konsequenzen sich hieraus für uns möglicherweise ergeben", sagte KSV-Präsident Steffen Schneekloth.
Er betonte, es nicht für sachgerecht zu halten, den Vereinen, der DFL oder dem Deutschen Fußball-Bund die Kosten aufzuerlegen, "da es sich um Einsätze im öffentlichen Raum handelt und die Polizei hier eine öffentliche Aufgabe wahrnimmt. Zudem trägt der Fußball erheblich zum Steueraufkommen und zur Schaffung von Arbeitsplätzen sowie zur regionalen Wirtschaftsstärkung bei. Damit wäre es gerichtfertitigt, anfallende Kosten für den Einsatz von Polizeikräften aus Steuermitteln zu bezahlen."
Gewerkschaft der Polizei begrüßt Urteil
Die Gewerkschaft der Polizei hält dagegen die Regelung, höhere Kosten bei Risikospielen auf die DFL umzulegen, für sinnvoll. Auch in Schleswig-Holstein, sagt der GdP-Vorsitzende Torsten Jäger. "Wir sind sehr gespannt, ob im Einzelfall eine Diskussion entsteht, ob es sich tatsächlich um ein Risikospiel handelt oder auch nicht. Die taktische Bewertung muss aber immer bei der Landespolizei liegen", forderte Jäger.
"Rechtlich ist es möglich, Gebühren für sogenannte Hochrisikospiele zu erheben. Wenn das politisch gewollt ist, erwarten wir, dass die dann erhobenen Gelder den Landespolizeien oder unserer Landespolizei zugute kommen."
Bund der Steuerzahler: Kleinere Clubs nicht mit großen gleichstellen
Als "Erfolg" wertet der Bund der Steuerzahler das Urteil der Karlsruher Richter. Gleichzeitig sei es aber wichtig, die DFL und damit die Vereine nur zur Kasse zu bitten, wenn es sich um Spiele mit hohem Gefahrenpotenzial handelt. Kleinere Vereine sollten zudem nicht mit großen gleichgestellt werden.
Rainer Kersten vom Bund der Steuerzahler Schleswig-Holstein sagte: "Man kann einfach Holstein Kiel oder St. Pauli nicht vergleichen mit Bayern München oder Dortmund. Und darum haben wir vorgeschlagen, dass alle Vereine, die in der DFL organisiert sind, gemeinsam in Abhängigkeit von ihren Fernseheinnahmen, in einen Topf einzahlen und aus diesem Topf die besonderen Kosten der Polizei getragen werden".
MV: Pegel will Urteil "genau prüfen und analysieren"
Neben Spielen der ersten beiden Bundesligen sind auch Begegnungen der Dritten Liga und sogar Partien in den Regionalligen mit mehr als 5.000 Besuchern von dem Urteil betroffen. So könnte das Land Mecklenburg-Vorpommern dem FC Hansa Rostock künftig die Mehrkosten für Polizeieinsätze bei Hochrisikospielen in Rechnung stellen. Ob dies auch geschehen wird, ließ Christian Pegel (SPD), Minister für Inneres, Bau und Digitalisierung in Mecklenburg-Vorpommern, jedoch offen.
"Wir sehen dieses Urteil nicht als einfache Blaupause für alle zukünftigen Situationen. Wir werden dieses Urteil jetzt sehr genau analysieren und prüfen, welche Konsequenzen wir in Mecklenburg-Vorpommern daraus ziehen werden. Dabei werden sicherlich auch die Verläufe der kommenden Hochrisikospiele bei den künftigen Bewertungen eine Rolle spielen", erklärte der SPD-Politiker.
Hansa Rostock: Wehlend lehnt Solidaritätstopf ab
Jürgen Wehlend, Vorstandsvorsitzender von Hansa Rostock, zeigt sich zwar respektvoll gegenüber dem Urteil, äußert aber Bedenken. "Ein Abwälzen des Aufwands auf die Vereine wird die Sicherheit nicht erhöhen", sagte der 59-Jährige im Interview mit NDR 1 Radio MV. Er plädiert stattdessen für eine gemeinsame Anstrengung, um die Sicherheit in den Stadien zu verbessern.
Dabei dürfe es nicht darum gehen, den finanziellen Aufwand auf die Schultern der Vereine abzuwälzen. Auch die Idee eines sogenannten gemeinsamen "Soli-Topfes" - einer Finanzierungsquelle zur Deckung der Polizeikosten - lehnte Wehlend ab. Die Deutsche Fußball Liga (DFL) hatte bereits klargestellt, dass sie ein solches Konstrukt nicht umsetzen werde.
"Schere zwischen Clubs wird auseinander gehen." Statement VfL Osnabrück
Nach Ansicht von Rostocks Ligakonkurrent VfL Osnabrück "nehmen die Länder somit, ob gewollt oder ungewollt, Einfluss auf den Wettbewerb innerhalb einer Liga und zwischen Vereinen – wir glauben, dass die Reichweite dieser Konsequenz von den Bremer Politikern überhaupt nicht berücksichtigt worden ist. Auch wird durch dieses Urteil in Abhängigkeit von der Anwendung die Schere zwischen den Clubs unterschiedlicher Ligen noch größer auseinander gehen, da die Polizeikosten bei gleichen Anwendungsfällen unterschiedlich große Auswirkungen auf das Gesamtbudget haben werden."