Sprudelndes Abwasser in den Becken der Rostocker Kläranlage. © Nordwasser
Sprudelndes Abwasser in den Becken der Rostocker Kläranlage. © Nordwasser
Sprudelndes Abwasser in den Becken der Rostocker Kläranlage. © Nordwasser
AUDIO: Die "stille Pandemie"? Antibiotika-Resistenzen im Abwasser (5 Min)

Antibiotika-Resistenzen - Hamburger Forscher untersuchen Keime im Abwasser

Stand: 20.10.2024 09:00 Uhr

Antibiotikaresistenzen werden als wachsende Bedrohung für die öffentliche Gesundheit betrachtet. Forschende in Hamburg nutzen Abwasser-Monitoring, um die Verbreitung resistenter Keime zu erfassen und zu untersuchen, wie man gegen sie vorgehen kann.

von Nele Rößler

Ein unscheinbarer Gullydeckel auf dem Gelände des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) könnte der Zugang zur Bekämpfung eines der größten Gesundheitsprobleme unserer Zeit sein: Antibiotikaresistenzen.

Was auf den ersten Blick nach einer gewöhnlichen Kanalöffnung aussieht, dient auch als Messstation. Künftig wollen Forschende des UKE zusammen mit der Universität Hamburg hier regelmäßig Proben aus dem Abwasser nehmen. Diese sollen Aufschluss darüber geben, wie sich resistente Bakterien in der Stadt verbreiten - und ob sie möglicherweise aus dem Abwasser wieder in den Lebenskreislauf der Menschen gelangen. Hier im UKE ist nur eine von 15 Probe-Stationen. 

Krankenhäuser-Abwässer besonders verschmutzt

Johannes Knobloch, Facharzt für Mikrobiologie am Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg © Nele Rößer/NDR
Johannes Knobloch untersucht die Ausbreitung antibiotikaresistenter Bakterien im Hamburger Abwasser.

Aber diese ist womöglich aussagekräftiger als andere. Abwässer aus Krankenhäusern enthalten besonders viele Medikamentenrückstände - von Schmerzmitteln bis zu Hormonpräparaten. Und auch Mikroorganismen mit Antibiotikaresistenzen.

"Hier kann die Haupt-Abwasserleitung des UKE gut angezapft werden kann. Da sind schon alle Stationen reingeflossen und wir haben hier keine Störung des Straßenverkehrs", erklärt Johannes Knobloch, Facharzt für Mikrobiologie am UKE. Die Probenentnahme erstreckt sich aber über die gesamte Stadt Hamburg, denn sein Forscherteam will ein möglichst detailliertes Bild der bakteriellen und mikrobiologischen Zusammensetzung des Abwassers gewinnen.

Verbreitung von antibiotikaresistenten Bakterien

Im Team um Knobloch stehen antibiotikaresistente Keime im Fokus. So wie der Erreger MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus). Diese Bakterien können schwerwiegende Infektionen, darunter Harnwegs- oder Wundinfektionen nach Operationen, verursachen und lassen sich mit herkömmlichen Antibiotika nicht mehr bekämpfen.  

Weitere Informationen
Ein Reagenzglas wird gegen das Licht gehalten. © Screenshot
1 Min

Antibiotikaresistenzen - ein weltweit wachsendes Problem

Auf einer Fachtagung in Plön suchen Forschende nach Lösungen und Alternativen. Können spezielle Viren, sogenannte Phagen, helfen? (26.9.2024) 1 Min

Aber nicht jedes Bakterium mit einer Antibiotikaresistenz ist so gefährlich wie der sich immer weiterverbreitende Erreger MRSA, sagt Peter Kämpfer von der Justus-Liebig-Universität Gießen. Er betont, dass die Resistenz eines Bakteriums alleine noch keine Infektion auslöst. "Das Bakterium muss erst einmal den Menschen besiedeln und krank machen können", erklärt er. Der Ernst der Lage zeige sich erst, wenn ein Bakterium bereits eine Infektion verursacht und gleichzeitig gegen das eingesetzte Antibiotikum resistent ist. In diesem Fall wird die Therapie enorm erschwert, da herkömmliche Medikamente nicht mehr wirken und alternative Behandlungsmethoden erforderlich sind. 

Kläranlagen filtern nicht alle Keime

Die Konsequenzen von Antibiotikaresistenzen sind gravierend: Infektionen dauern länger, das Risiko für Komplikationen steigt, dadurch erhöht sich die Sterblichkeit. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Resistenzen unter Bakterien verbreiten können. Denn die Mikroorganismen tauschen genetische Informationen aus, einschließlich der Resistenzgene. Dafür müssen die Bakterien allerdings aufeinandertreffen. Und das ist im Abwasser der Fall.

Kläranlagen sind zwar in der Lage, einige Schadstoffe herauszufiltern, aber nicht zu 100 Prozent. Je mehr Antibiotika eingesetzt werden, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Keime nicht herausgefiltert werden: Dann können auch andere Organismen durch Genaustausch Resistenzen erhalten. Die Folge ist, dass zunehmend mehr resistente Bakterien im Umlauf sind. Diese Verbreitungswege besser zu verstehen, ist das Ziel der Hamburger Forschenden. 

Weitere Informationen
Das Klärwerk Köhlbrandhöft vor der Kulisse des Hamburger Hafens. © picture alliance/dpa | Marcus Brandt

Frühwarnsystem für Keime: Datenschatz im Abwasser wird gehoben

Das Gesundheitsministerium lässt bundesweit Coronaviren und andere Erreger im Abwasser überwachen. Hamburg beteiligt sich mit dem Klärwerk Köhlbrandhöft an dem Großprojekt. (3.5.2023) mehr

Hohe Biodiversität könnte resistente Keime hemmen

Eine zentrale Frage ist: Können sich resistente Keime über Oberflächengewässer, die in der Freizeit genutzt werden, wieder auf Menschen zurückübertragen? Oder umgekehrt: Lässt sich anhand des Abwassers erkennen, welche Resistenzen bereits in der Bevölkerung kursieren? Das Team erhofft sich Antworten durch molekulargenetische Analysen, die selbst kleinste Organismen und ihre genetischen Eigenschaften identifizieren. 

Eine These existiert bereits. Die Forschenden vermuten, dass eine hohe Biodiversität im Wasser die Ausbreitung der Resistenzen hemmen könnte. Also: Wenn sich viele verschiedene Mikroorganismen im Wasser befinden, ist es unwahrscheinlich, dass sich ein antibiotikaresistentes Bakterium durchsetzt. Sollte sich dies bestätigen, ist die Förderung der Biodiversität in Gewässern ein entscheidender Faktor für die öffentliche Gesundheit.  

Kommt Grenzwert für resistente Organismen?

Langfristig soll das Hamburger Projekt ein kostengünstiges und effizientes Monitoring-System entwickeln, um das Vorkommen resistenter Bakterien in der Stadt zu überwachen. So wie Behörden heutzutage den Anteil des Darmbakteriums E. coli in Gewässern prüfen, um die Infektionsgefahr abzuschätzen. In Zukunft könnte es so einen Grenzwert für antibiotikaresistente Organismen geben - und möglicherweise auch einen für die Biodiversität der Gewässer.

"Langfristig wird es darum gehen, mit möglichst wenigen Parametern, möglichst kostengünstig ein besonders gutes Monitoring für die Gesunderhaltung der Bevölkerung zu erreichen", sagt der Mikrobiologe Knobloch. Ein Schritt hin zu einer präventiven Gesundheitsstrategie, die auf die frühzeitige Erkennung und Eindämmung von Resistenzen setzt.

Weitere Informationen
Ein transparenter menschlicher Kopf mit farbig gekennzeichneten Gehirnarealen und Wellenlinien. © fotolia.com Foto: psdesign1

Wissenschaft und Bildung bei NDR Info

Wissen schafft Bildung: Unter diesem Leitmotiv beleuchtet NDR Info regelmäßig Themen aus der Wissenschaft - von Pränataldiagnostik bis Traumforschung. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Wissen | 16.10.2024 | 15:51 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Umweltschutz

Ein Smartphone mit einem eingeblendeten NDR Screenshot (Montage) © Colourbox Foto: Blackzheep

NDR Info auf WhatsApp - wie abonniere ich die norddeutschen News?

Informieren Sie sich auf dem WhatsApp-Kanal von NDR Info über die wichtigsten Nachrichten und Dokus aus Norddeutschland. mehr

Eine Frau schaut auf einen Monitor mit dem Schriftzug "#NDRfragt" (Montage) © Colourbox

#NDRfragt - das Meinungsbarometer für den Norden

Wir wollen wissen, was die Menschen in Norddeutschland bewegt. Registrieren Sie sich jetzt für das Dialog- und Umfrageportal des NDR! mehr

Mehr Nachrichten

Rund 120 ehrenamtliche Helfer waren am eingeladen. © Sven Jachmann Foto: Sven Jachmann

Dankesfrühstück in Brokstedt für 120 ehrenamtliche Helfer

Knapp zwei Jahre nach der Messerattacke am Bahnhof hat Brokstedts Bürgermeister 120 ehrenamtliche Helfer zum Dankesfrühstück eingeladen. Auch Ministerpräsident Günther war da. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zu künstlicher Intelligenz: Eher Chance oder Risiko?